Wer macht sich schon Gedanken über Patente und Markenrechte, wenn man gerade erst ein Start-Up gegründet hat? Geld und Zeit kostet eine solche Anmeldung beim Deutschen Patentamt (DPMA) oder Europäischen Patentamt (EPA) auch noch. Das EPA hat in einer Studie nun festgestellt, dass der Schutz von geistigem Eigentum jedoch die Finanzierung durch Investoren erleichtern und damit den Aufbau beschleunigen kann. Dabei gibt es durchaus auch Unterstützung für junge Unternehmen bei der Sicherung ihres intellektuellen Eigentums.
17. Oktober 2023 - Von Rüdiger Köhn, München
Unternehmensgründer haben wahrlich wichtigeres zu tun, als sich in der frühen Phase ihrer jungen Firma über Patent- und Markenrechte Gedanken zu machen, um einen Firmennamen oder eine Erfindung beziehungsweise eine Eigenentwicklung rechtlich zu schützen. Das ist, als würde man von einem jungen Berufseinsteiger erwarten, sich mit dem ersten Arbeitstag Gedanken über die Rente zu machen (was eigentlich vernünftig ist, aber niemand daran denkt). Und dann kommen noch Anwaltskosten und Gebühren für die Anmeldung eines Patentes hinzu, was gerade zu Beginn die ohnehin klammen Finanzen belastet, vom zusätzlichen Zeitaufwand völlig abgesehen.
Das Europäische Patentamt EPA (European Patent Office - EPO) indes kommt zu dem Schluss: Start-Ups, die in der Gründungs- oder einer frühen Wachstumsphase über Patent- und Markenrechte verfügen, bekommen von Investoren leichter Kapital. Durchschnittlich sei die Wahrscheinlichkeit gegenüber einem Nicht-Schutz genau 10,2-mal größer, sich eine Finanzierung zu sichern, rechnet eine der größten Behörden Europas vor.
Eine Studie des EPA und des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EU-Markenamt, EUIPO) hat den Einfluss von Patent- und Markenrechten auf die wirtschaftlichen Erfolge von neu gegründeten Unternehmen in Europa untersucht. Mit dem Ergebnis bestreitet die hoheitliche europäische Patentorganisation natürlich auch Eigenwerbung und will Jungunternehmer motivieren, ihr entwickeltes geistiges Eigentum (Intellectual Property - IP) möglichst früh durch eine Patentanmeldung zu sichern.
Patente und Markenrechte können neue, aufstrebende Unternehmen davor schützen, dass sich Dritte geistiges Eigentum unautorisiert aneignen oder Ideenklau betreiben. Gedacht ist der Schutz, um Innovationsvorsprünge zu sichern. Zugleich kann er einen strategischen Vorteil auf dem Markt schaffen.
Nach der Studie haben durchschnittlich 29 Prozent der europäischen Start-Ups geistige Eigentumsrechte bei Patentbehörden - bei nationalen Ämtern und/oder beim EPA - angemeldet. Dabei gibt es im Branchenvergleich große Unterschiede, um sich vor Kopien durch Konkurrenten zu schützen. In der Biotechnologie ist der Anteil am höchsten, fast 50 Prozent neugegründeter Unternehmen in diesem Sektor verfügt über Patent- oder Markenrechte. Weitere schutzrechtsintensive Branchen sind Wissenschaft und Technik (25 Prozent der Jungfirmen in dem Sektor mit Patent-, 38 Prozent Markenanmeldungen), Gesundheitswesen (20 Prozent, 40 Prozent) und das verarbeitende Gewerbe (20 Prozent, 36 Prozent).
Grafiken/Foto EPA
Auch macht es einen Unterschied, ob Schutzrechte bei nationalen Patentbehörden oder bei der EPA als länderübergreifende (supranationale) Patentorganisation mit 44 Mitgliedsländern beantragt werden. Laut Studie - Achtung: Eigenwerbung - ist die Chance auf eine Finanzierung in der Frühphase bei einer EPA-Anmeldung mehr als fünfmal so hoch gegenüber rein nationalen Rechten an geistigem Eigentum (IP), sechsmal höher bei Marken. Davon können „Deep Tech“-Start-Ups, also Gründungen im anspruchsvollen Hochtechnologie-Bereich mit einer langen Aufbau- und Entwicklungsphase, besonders profitieren. Diese erfordern einen langem Atem und hohe Investitionen: Patent- und Markenschutz sichert langfristig das IP und kann so „geduldige“ Investoren mit Ausdauer anziehen und beruhigen.
Überhaupt geben solche Schutzrechte nach Ansicht der Autoren der Studie wichtige, vertrauensschaffende Signale von Start-Ups an Kapitalgeber wie Venture-Capital-Fonds, indem sie mehr Aufmerksamkeit schaffen. Ebenso erhöhe sich die Attraktivität für VCs und verbessere die Aussicht auf gute Renditen ihres Engagements. Denn durch Patente und Markenrechte sinkt der Wettbewerbsdruck, werden auskömmlichere Preise für Produkte und Dienstleistungen sowie steigende Erlöse durch zusätzliche Lizenzeinnahmen ermöglicht.
Erhöhte Aufmerksamkeit hat allerdings auch einen Haken: Es gibt Unternehmensgründer, die bewusst keine Patentanträge einreichen, um nicht auf ihre Entwicklungen und Ideen hinzuweisen. Denn es gibt professionelle Scouts und Anwälte, die sich durch die veröffentlichten Listen wühlen, auf denen Patent- und Markenanmeldungen aufgeführt sind, wenn auch nicht Details bekanntgegeben werden. Diese Furcht ist neben Kosten und Zeitaufwand ein immer wieder genannter Grund.
Im europäischen Vergleich weisen Finnland und Frankreich mit jeweils 42 Prozent den höchsten Anteil von Start-Ups auf, die Schutzrechte angemeldet haben. Dicht darauf folgen mit ebenfalls überdurchschnittlichen Werten Deutschland sowie Österreich (jeweils 40 Prozent), Italien (39 Prozent), Norwegen (37 Prozent), Schweden und Dänemark (jeweils 34 Prozent), Schweiz (32 Prozent) und die Tschechische Republik (31 Prozent).
In Deutschland liegt nach Branchen betrachtet Biotech mit einem Anteil von 72 Prozent der Start-Ups ebenfalls vorne bei einem der oder beiden Schutzrechtarten. Das verarbeitende Gewerbe (Produktion) weist mit 57 Prozent den zweithöchsten Anteil auf, dichtauf liegen Wissenschaft und Technik (55 Prozent), Gesundheitswesen und Nachhaltigkeit (jeweils 54 Prozent).
EPA-Präsident António Campinos
„Startups sind dynamische Katalysatoren für Innovation und wirtschaftliches Wachstum“, sagt António Campinos, Präsident des Europäischen Patentamts. Sie hätten das Potenzial, neue Lösungen zu entwickeln, mit denen die drängendsten Herausforderungen für eine nachhaltigere Zukunft angegangen werden könnten. „Wir müssen also Wege finden, um unsere Startups weiter zu unterstützen.“
Mit dem eingeführten Einheitspatent der EPA, das die Prozesse der Patenterteilung deutlich vereinfacht und beschleunigt sowie wesentlich kostengünstiger ist als die klassischen Patentanträge, ist in den Augen von Campinos ein wichtiger Schritt gemacht worden, Start-Ups den Zugang zum Patentsystem zu erleichtern. Mit dem „EPO Deep Tech Finder“ als neue Beobachtungsstelle für Patente und Technologie gibt es zudem ein Instrument, mit dem potenzielle Investoren Start-Ups identifizieren und bewerten. „Wir bringen die kreativen Köpfe mit denjenigen zusammen, die über Mittel verfügen, um den Innovationsmotor am Laufen zu halten“, sagt der Präsident.
João Negrão, der Exekutivdirektor des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ergänzt: „Immaterielle Vermögenswerte machen heute den größten Teil des Wertes eines Unternehmens aus.“ Formale Rechte an geistigem Eigentum seien ein Schlüssel zu Finanzierungen und Kooperationen. „Dies ist besonders wichtig für neu gegründete, innovative Unternehmen, die in der Regel in der Anfangsphase außer ihrem geistigen Kapital nur wenige Vermögenswerte besitzen.“ Unterstützt werden können Start-Ups durch den KMU-Fonds der EU- Kommission, der vom EUIPO mit nationalen und regionalen Ämtern für geistiges Eigentum der EU umgesetzt hat (KMU: Kleine und Mittelständische Unternehmen).
„Wir sehen jedoch, dass Europa bei der Finanzierung von Unternehmensgründungen hinter anderen Regionen in der Welt zurückbleibt“, warnt Negrão. Obwohl im Jahr 2021 laut Studie Venture-Capital-Investoren in Europa Finanzierungen in Höhe von rund 110 Miliarden Euro (verglichen mit 9,4 Milliarden Euro in 2013) getätigt haben, sei die Lücke etwa zu den Kapitalinvestitionen in den USA gewaltig. „Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen verstärken, um das geistige Eigentum als Instrument für den Zugang zu Finanzmitteln, Wachstum und nachhaltiger Entwicklung für Unternehmen in der EU insbesondere für KMU zu fördern, damit unsere innovativen Startups florieren können“, sagt Negrã.
Die Studie hat gezeigt, dass junge Unternehmen mit zunehmender Reife an Patent- sowie Markenschutz denken und Anträge stellen. Während es in der Seed-Phase gerade einmal zehn Prozent sind, steigt der Anteil schon in der frühen Wachstumsrate (Serie-A- und Serie-B-Finanzierung) auf 28 Prozent und sogar auf 44 Prozent in einer späten Phase ab Serie C (siehe Grafik).
Basis für die Studie und die Auswertungen durch das EPA sind demographische und finanzielle Informationen über Start-Ups, die der kommerzielle Datenbank-Anbieter Crunchbase erstellt. Er sammelt Informationen junger Unternehmen weltweit. So flossen in die Studie Informationen von nahezu 300.000 Firmen ein, die mit den Daten der EPA kombiniert und abgeglichen worden sind. Die daraus ermittelten Stichproben umfassen Gründungen, die an Finanzierungsrunden beteiligt waren, Erfahrungen mit dem Ausstieg (Exit) gemacht haben oder diejenigen, denen keines von beiden widerfahren ist.
Die Studie: https://link.epo.org/web/publications/studies/en-patents-trade-marks-and-startup-finance-study.pdf