Zwei Welten prallen aufeinander: das Handwerk und die Digitalisierung. Dabei hat die Branche mit vielen Kleinbetrieben den Übergang in die neue Zeit bitter nötig. Daniel Schmidt, Simon Grossmann und Mathias Scheithauer haben die Herausforderung angenommen und 2022 das Start-Up Handwerker des Vertrauens (HDV) gegründet. Das Netzwerk will alle Prozesse übernehmen, die in der Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggeber und Handwerker anfallen, und dafür Künstliche Intelligenz einsetzen. HDV ist weder App noch SaaS-Modell, vielmehr ein digitaler Organisator. Nach dem Motto von Daniel Schmidt: „Die beste Software für den Handwerker ist gar keine." Der soll sich auf eines konzentrieren - handwerken.
28. August 2023 - Von Rüdiger Köhn, München
Daniel Schmidt hat es zunächst ganz pragmatisch - und etwas zu naiv - mit Kaltakquise versucht. Um „seinen“ Markt zu erschließen, las er ziemlich analog Datenbanken von Handwerkskammern aus, um an Adressen und Telefonnummern zu kommen. Er rief Handwerker an und fragte sie, ob das, was er ihnen anbiete, interessant klinge. Dabei sei er teils böse beschimpft worden. Die Beleidigungsquote habe bei etwa zehn Prozent gelegen. Der Frust war groß: Nicht einen Handwerker konnte er für sein Projekt gewinnen.
„Das passt“, sagt Daniel Schmidt, Gründer und Geschäftsführer des Start-Ups Handwerker des Vertrauens (HDV). Handwerk und Digitales scheinen zwei Welten zu sein, die nicht weiter auseinander liegen können. „Das Handwerk ist die am wenigsten digitalisierte Branche in Deutschland.“ Der Handwerker, Bauunternehmer und eben auch Initiator des im Januar 2022 gegründeten Unternehmens aus Troisdorf bei Köln hat sich trotzdem allen Ernstes vorgenommen, das Metier zu digitalisieren und ein digitales Netzwerk aufzubauen. Er trifft damit im Grunde einen Nerv, da das Handwerk, das ja goldenen Boden haben soll, unter schwierigen Rahmenbedingungen arbeiten muss und so manche Existenz gefährdet ist - obwohl die Perspektiven doch rosig aussehen.
Daniel Schmidt Fotos HDV / Titel: Wirtschaftsministerium NRW/Rawpixel Ltd.
„Viele Handwerker sind Einzelkämpfer, allenfalls mit einer Handvoll Mitarbeiter“, sagt Schmidt, 34 Jahre. „Die haben oftmals keinen Bock auf Digitalisierung, einfach zu viel um die Ohren und scheuen Veränderungen.“ Dabei dränge die Zeit. „Es muss etwas passieren!“ Die Not im Handwerk sei groß, der Fachkräftemangel gewaltig, es fehlten Auszubildende, die Produktivitätsentwicklung zeige seit Jahren nach unten, hohe Energie- und Materialkosten drückten. Auf der anderen Seite nehme der Auftragsstau zu; über viele Jahre werde es allein wegen der Installation von Photovoltaik-Anlagen, des Austauschs von Heizungen, der erforderlichen Modernisierungen und Sanierungen reichlich Arbeit geben. „Da steckt so viel Musik drin, hat das Handwerk ein riesiges Potential", reklamiert er tatsächlich den goldenen Boden für die Branche.
Handwerker des Vertrauens könnte einen Beitrag leisten, dieser Misere zu begegnen. Von Anbeginn war Schmidt klar, dass das mit Mathias Scheithauer, 34, und Simon Grossmann, 35, gegründete Start-Up nicht bloß eine „coole Software“ entwickelt, die man als Abo à la Software-as-a-Service (SaaS) verkauft. In diesem Metier gelten andere Regeln: „Die beste Software für den Handwerker ist gar keine“, sagt jemand, der als Bauunternehmer weiß, worüber er spricht. HDV sei kein Werkzeug auf einer App, das die Arbeit erleichtert. „Wir nehmen dem Handwerk einfach Arbeit ab.“
HDV positioniert sich als Bindeglied zwischen Auftraggeber und Handwerker. Es übernimmt die komplette Kommunikation, erstellt Angebot und Leistungsbeschreibung mit Kostenvoranschlag; Abrechnungen, Reklamationen, sämtliche Kundenkontakte liegen im Aufgabenbereich des HDV, inklusive Versicherungen. Der Handwerker entscheidet, ob er den Auftrag zu den errechneten Konditionen übernimmt. In dem Modell tritt dieser als Subunternehmer auf.
Das ist der Unterschied zu anderen Plattformen, die vermitteln und ein reines „Matching“ betreiben, eine Provision berechnen, dann nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ Handwerker und Auftraggeber allein lassen. „Wir sind in jeder Hinsicht Ansprechpartner und stehen auch dafür gerade“, verspricht Schmidt. „Baut einer Mist, müssen wir dafür aufkommen."
Natürlich sei es noch eine Vision, die Prozesse komplett zu automatisieren, schließlich auch mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zu perfektionieren. „Da sind wir längst noch nicht, sondern haben nur den ersten von vielleicht vier oder fünf Schritten erreicht.“ Das Handwerk sei viel zu individuell und kleinteilig, als dass man alles automatisieren könne. Aber mit der Plattform könnte es gelingen, schon einmal im Vorfeld einen großen Anteil von Interessen zu filtern und zu sondieren. Viele Kunden kontaktieren nämlich einen Handwerker zunächst nur, um einen Kostenüberblick zu erhalten; nicht selten kommt danach kein Auftrag zustande, ist der Handwerker umsonst vor Ort gewesen, der ein Angebot erstellt und viel Zeit investiert hat. „Das wollen wir ihm abnehmen, er kann sich viel Mühe ersparen, damit wesentlich effizienter werden und sich auf das konzentrieren, was seine Stärke ist - sein Handwerk.“
Schmidt mit Co-Gründer Mathias Scheithauer
Daniel Schmidt hat aus dem anfänglichen Frusterlebnis gelernt. „Wir sind dazu übergegangen, mit konkreten Aufträgen an Handwerker heranzutreten“, sagt er. „Dann hören sie zu und wir stoßen auf Interesse.“ Es scheint zu funktionieren: Dem erst jungen, seit etwas mehr als einem Jahr operierenden Start-Up gelingt es, sich selbst aus den erzielten Provisionseinnahmen von zehn Prozent eines Auftragswert zu finanzieren. HDV arbeite rentabel. Rund 1000 Handwerker hat es bisher vermittelt. Immerhin hätten schon 3000 bis 4000 Betriebe ihr Interesse an dem Netzwerk gezeigt. Geldgeber gibt es nicht, trägt sich der Aufbau des Start-Ups selbst.
Rentables Wachstum strebt HDV vorrangig mit der digitalen Plattform für die Standard-Handwerksbetriebe mit fünf oder sechs Mitarbeitern an. Je größer das Netzwerk von Kunden und Geschäftspartnern wird, um so öfter kehren gleiche oder ähnliche Prozesse wieder, können diese besser abgestimmt, Erfahrungen gesammelt und Preisgestaltung automatisiert werden. Um ein breiteres Fundament zu schaffen, arbeitet das Start-Up bereits mit sechs Wohnungsbaugesellschaften und Hausverwaltungen zusammen, für deren etwa 10.000 Wohnungen Instandhaltungen oder Sanierungen übernommen werden. Zudem sind zwei Versicherungen Partner; Namen nennt Schmidt nicht. Aber solche Kooperationen sind Gold wert, um die Akzeptanz des Modells zu erhöhen und die Geschäfte zu skalieren. „All das dient dazu, unsere Datenbasis auszuweiten, Einheitspreise zu generieren und mit den Handwerkern in Kontakt zu treten.“
Aktuell denkt Schmidt inmitten der Startphase bereits über ein zweites, passendes Standbein nach: der Aufbau eine Montageteams, das vor Ort selbst Aufträge erledigt. Zwei der derzeit neun Mitarbeiter sind Monteure. Das Angebot kann zunächst nur räumlich begrenzt in der Region um Köln sein. Denkbar sei, in anderen Teilen Deutschlands Handwerker in ein solches Montage-Netzwerk einzubinden, die etwa mit entsprechenden standardisierten Prozessen und einheitlich ausgestatteten Werkzeugkoffern arbeiten, gewissermaßen zertifiziert durch den HDV. „Wir wollen damit nicht in Konkurrenz zu den Handwerkern treten, sondern sie unterstützen“, betont der Gründer. Dahinter steht das Ziel, mit solchen Dienstleistungen gutes Geld zu verdienen, um sich weiter zu refinanzieren. Der HDV-Chef entfaltet Kreativität, wenn es darum geht, Geldquellen zu erschließen, um unabhängig von Investoren zu bleiben - vorerst.
Bis zur Suche nach Geldgebern sei noch viel zu tun. Die Plattform „verfeinern“ und weiter zu professionalisieren, zu automatisieren, Daten zu sammeln, schließlich Künstliche Intelligenz zu implementieren. In den nächsten zwei Monaten beginne man damit, diese auf erste interne Prozesse zu übertragen. Unterstützung in Sachen KI erhält HDV von der Fraunhofer-Gesellschaft. Dann jedoch muss der „richtig große Schritt“ erfolgen: Marketing. „Was nützt die gute Idee, wenn uns niemand kennt.“ Damit kann Schmidt allerdings erst starten, wenn die digitalen Abläufe sitzen, die Datengrundlage stimmt. Das, so hofft er, wird in zwölf bis 14 Monaten der Fall sein. Vielleicht sei dann tatsächlich der Zeitpunkt erreicht, auf die Suche nach einem Investor zu gehen. Mit der Marketing- und Kommerzphase, in der es um das Skalieren und um eine zunehmend flächendeckende Präsenz des digitalen Netzwerkes geht, wird HDV Kapital benötigen, allein schon um den Mitarbeiterstab mit guten, aber knappen Mitarbeitern auszuweiten.
Es wird einer Zäsur gleichkommen. Dann müssen, die Gründer auch für sich selbst Weichen stellen. Ein Handwerker und Bauunternehmer, ein Unternehmensberater und ein Marketingexperte mit Konzern-Erfahrungen - breiter kann ein Gründerteam kaum aufgestellt sein. Daniel Schmidt stammt aus einer Handwerkerfamilie. Sein Vater gründete in den 1990er Jahren ein Bauunternehmen. Der Junior stand mit 13 Jahren das erste Mal auf einer Baustelle und verbrachte dort die Sommerferien. Die klassische Handwerker-Ausbildung hat er nicht gemacht. Nach dem Abitur studierte er an der TH Köln Bauingenieurwesen, fügte dann nebenberuflich an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen noch einen Studiengang Finanzen und Rechnungswesen hinzu. Er trat in den Familienbetrieb Schmidt Bau GmbH ein, wo er heute als Geschäftsführer das Bau- und Erschließiungsträgergeschäft betreibt. HDV baut er nebenbei und parallel auf.
Die Idee von der Digitalisierung im Handwerk ist Schmidt auf einer Baumesse in München gekommen. Ihn drückte seit jeher der Schuh, kennt das kleinstrukturierte Handwerk, deren Probleme und Leiden zur Genüge. Kumpel Simon Grossmann konnte er damit in den Bann ziehen. Sie kennen sich aus Schul- und Abi-Zeiten, in denen die beiden schon einmal in die letzte hintere Ecke des Klassenzimmers auf dem Gymnasium in Troisdorf verbannt wurden. Ständig lenkten sie ab, quatschten und alberten. Sie störten den Unterricht, ohne dass jedoch ihre guten Leistungen darunter litten und gute Noten abgeliefert wurden. Drei Jahre waren sie unzertrennlich. Nach dem Abi gingen sie getrennte Wege, weshalb der Kontakt über Jahre nur noch lose war. Simon Grossmann studierte an der European Business School in Wiesbaden Wirtschaftswissenschaften, verbrachte unter anderem zwei Jahre in Hongkong und ist heute Direktor bei der Unternehmensberatung Alvarez & Marsal.
Wiedergetroffen und Auge in Auge gegenübergestanden haben sie sich nach Jahren auf der Hochzeitsfeier eines Freundes. Nach dem dritten Bier erzählte Freund Daniel von seiner Idee. Drei Tage nach der Feier meldete sich Kumpel Simon, der meinte, dass man mal darüber reden sollte. Drei Monate später, im September 2021, fingen sie an, das Projekt auszuarbeiten; im Januar 2022 waren sie beim Notar, ein halbes Jahr später ging HDV operativ an den Start. Wobei: Grossmann ist operativ gar nicht eingebunden, arbeitet weiterhin als Unternehmensberater. Während Schmidt das Innenleben der Branche bestens kennt, hat Grossmann dessen Idee eine Struktur gegeben, um sie in einem größeren Stil aufzuziehen.
Als Dritter kam Anfang dieses Jahres Mathias Scheithauer hinzu, den die Gründer Monate zuvor auf einer Start-Up-Veranstaltung getroffen haben und der nun als Geschäftsführer für das Marketing zuständig ist. Bis dahin war er als Marketingspezialist selbständig gewesen und arbeitete in den Jahren zuvor für den Bayer-Konzern in Leverkusen in der Kommunikation und im Public Affairs. Noch bevor Scheithauer im vergangenen Februar Geschäftsführer geworden ist, hat er Gründer Schmidt erst einmal in die Welt der sozialen Medien einführen müssen, die der bis dato nicht kannte. Scheithauer griff sich dessen Smartphone und installierte mal eben die eine oder andere relevante App. Es gibt nun einmal keine bessere, kostenlose Werbung! Der Marketing-Experte wird in den kommenden Monaten wesentlich die Geschicke von HDV mitbestimmen.
Davon hängt nicht zuletzt ab, wie es weitergeht. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, im Laufe des nächsten Jahres zu entscheiden, ob wir zu einhundert Prozent dabei sein werden“, sagt Schmidt. Das könnte auch für Grossmann gelten. Noch bleiben die beiden ihren etablierten Strukturen erhalten, weil man nach eineinhalb Jahren durchaus erfolgreichen Aufbaus einfach noch nicht auf der sicheren Seite stehen kann. Denn neben einem flächendeckenden digitalen Netzwerk gehört zur Vision auch, ein Qualitätssiegel im Handwerk zu werden, das für gute, pünktliche, zuverlässige und saubere Arbeit stehen soll. „Wir werben schließlich mit dem Vertrauen, wie der Name ja besagt. Da muss das Leistungsangebot stimmen, im Zweifel auch einmal aussortiert werden.“ Nur so könne ein qualitativ hochwertiges Netzwerk errichtet werden, in dem Handwerker sich etablierten und immer mehr hinzukämen.
Daniel Schmidt weiß, dass eine Verbrüderung von Digitalisierung und Handwerk keine banale Sache und eine mächtige Herausforderung ist, die ihm neben Idealismus auch Durchhaltevermögen abverlangt. „Wäre es alles so einfach, hätte das doch längst schon jemand gemacht“, lacht er.
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