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07 Oct
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Die Pilotphase hat begonnen. Der Apotheken-Lieferservice Aponia hat mocci in Dienst gestellt. Weitere rund 30 Partner kommen die nächsten Wochen als Realtester für das Design-E-Bike und den Lastentransporter für die letzte Meile hinzu. Im ersten Halbjahr 2023 startet die Kleinserie, ein Jahr später die Großproduktion. Das Fahrrad hat keine Kette, dafür einen digitalen Antrieb. Eine neue Ära innerstädtischer E-Mobilität bricht an. Denn digital ist auch die gesamte Geschäftsplattform. Yao Wen und Dimitrios Bachadakis haben mocci geschaffen. Dabei haben beide überhaupt keinen Tech-Hintergrund. Die ehemaligen Siemens-Manager kennen sich aber mit Produktions- und Lieferketten-Management aus. In zwei Jahren kommt ihr mocci mit drei Rädern.

7. Oktober 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Mit einem banalen Satz hat es begonnen: „Lass uns doch mal E-Bikes machen“, sagte vor sieben Jahren Yao Wen zu ihrem Geschäftspartner Dimitrios Bachadakis. Nachdem die Fragezeichen bei Bachdakis verblassten und sich beide intensiv über die zunächst wenig originell klingende Idee ausgetauscht hatten, nahmen sie sich der „coolen“ Sache an. „Wir sind sehr agil, wenn es um die Entwicklung neuer Geschäfsmodelle mit einem nachhaltigen, skalierbaren Charakter geht“, sagt der 48 Jahre alte Deutsch-Grieche. Eine ungewöhnliche Entscheidung: Denn die Inhaber der Münchner CIP Group sind eigentlich als Logistikdienstleister und Lieferkettenmanager für große Unternehmen in einem ganz anderen Metier unterwegs. Es reiche ein Satz, um einen permanenten Gedankenaustausch mit der in China geborenen Wen, 58, seit Ende der achtziger Jahren in Deutschland, loszutreten, lacht Bachadakis und beschreibt das Verhältnis als Symbiose. Beide kennen sich aus der Arbeit bei Siemens, beide haben im Rahmen eines Management-Buy-Out 2004 eine Spezialablteilung des Münchner Technologiekonzerns übernommen.

                         Dimitrios Bachadakis                                                                                     Fotos mocci

Aus der Ein-Satz-Idee ist 2015 mocci entstanden - ein digitales Fahrrradkonzept. Das E-Bike hat einen Design-Preis gewonnen, trotz oder vielleicht gerade wegen seines klobigen Aussehens. Ein Hingucker ist es allemal. Wen und Bachdakis haben ein System entwickelt, mit dem umweltfreundlich, effizient, günstig in Herstellungs- und Betriebskosten und vor allem wartungsarm die letzte Meile in der Logistikkette überwunden werden soll. Bachadakis zählt eine Fülle von Vorteilen auf: Robust und einfach gebaut mit recyclingfähigem Kunststoff sei das Bike; Rahmen, Vorder- und Hinterrad bestehen aus einem Strukturbauteil; Speichenbrüche konventioneller Räder sind ausgeschlossen, viele sonst übliche mechanische Fahrrad-Komponenten fehlen; Führerschein ist nicht erforderlich, als normales E-Bike auch nicht versicherungspflichtig; von Zeitersparnissen gar nicht erst zu reden, da man keinen Parkplatz suchen muss.

Zu einer „richtigen Disruption“ (Bachadakis) wird mocci mit seinem seriellen Hybridantrieb: Ohne Kette wird die an der Hinterachse liegende Antriebseinheit von der Pedale über ein Kabel betrieben. Das hat nicht nur den Vorteil, dass mit dem Treten der Pedale zusätzlich zum austauschbaren Akku etwas Strom erzeugt wird. Es entsteht so zugleich eine Softwareplattform, die zentrales Steuerelement für Batterie- und Antriebsmanagement ist, ebenso aber für die skalierbare Produktion des Fahrrads wie auch ungeahnte Anwendungsfelder für die Kunden. Sogar selbstlernend ist das System, da sich der Antrieb dem Fahrverhalten des Bikers anpasst. „Der serielle Hybrid ist ein Gateway zu einer neuen Software-Plattform, eröffnet die zentrale Steuerung das Fenster in eine neue Welt“, sagt Betriebswirt Bachadakis.

                         Dimitrios Bachdakis und Yao Wen

mocci ist - vorerst - nichts für den privaten Stadt-, Touren- oder gar Mountainbike-Fahrer. Das Konzept des Smart Pedal Vehicles (SPV) ist auf gewerbliche Anwendungen ausgerichtet. Für Dienstleistungen im weitesten Sinne; für Apotheken- oder Pizza-Lieferservice, Hausmeister, Facility Manager oder Handwerker, für Pflegedienste, städtische Services und natürlich Paket-Zusteller. Es kann auf dem Campus, also großen geschlossenenen Einheiten wie Unversitäten oder riesigen Gebäude- und Fabrikkomplexen, eingesetzt werden, für Logistik in Lagerhäusern oder die Belieferung von Werken.

Eine Idee ist das längst nicht mehr. In dieser Woche hat mocci die Pilotphase in München begonnen; mit dem Apotheken-Lieferdienst Aponia. Insgesamt werden in den nächsten Wochen 30 Partner das Konzept im Realbetrieb testen. Dazu gehören Europas größter Agrarkonzern BayWa, die Messe München, die Stadtwerke München, die Logitsikkonzerne Dachser und Bolloré, die Restaurantketten L´ Osteria und Enchilada, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Schaeffler, die Universität Weiden sowie die TU Chemnitz.

Großserien-Produktion ab 2024

Schon im weiteren Verlauf der Pilotphase wird mit dem Vertrieb, der Produktion sowie der Auslieferung begonnen. Die Kommerzphase soll nach der bisherigen Planung im ersten Halbjahr 2023 beginnen. Für das erste Jahr ist eine Kleinserie von 1500 E-Bikes und noch einmal etwa so viele Anhänger vorgesehen. Als Transportmöglichkeit können neben den Trailern die üblichen Boxen-Aufbauten in allen Versionen genutzt werden. Die Großserien-Produktion soll 2024 beginnen. „Hunderttausende“ will Bachadakis in der Serienproduktion einmal international fertigen lassen.

Für ihn ist mocci - aus dem Chinesischen übertragen „magisches Fortbewegen“ - wegen der digitalen Vernetzung und den sich daraus ergebenden Geschäftsmöglichkeiten ein bislang einzigartigen Konzept. Es wird, davon ist er überzeugt, seinen Markt finden. Analysten schätzen das Absatzvolumen von Transporträdern bis 2030 auf sieben Millionen Stück in Europa. Bachdakis hält gar eine Zahl von zehn Millionen Stück für möglich. „Wenn das Angebot da ist, wird sich das Lastenfahrrad durchsetzen.“ Die heutige Nachfrage basiere auf konventionellen Fahrzeugen. Sie hätten ihre Vorteile, seien aber sehr serviceanfällig. Immer häufiger sind von der Post oder auch UPS die dreirädrigen Arbeitsräder mit ihren Aufbauten zu sehen, die durch die engen Straßen der Städte manövrieren. Sie basieren auf den herkömmlichen E-Bikes, deren Speichen und Ketten regelmäßig kontrolliert werden müssen, der Verschleiß groß ist.

Um die Marktchancen für das neue Bike-Konzept steht es auch wegen der Kosten nicht schlecht. Operativ fallen sie wegen des Wegfalls der mechanischen Kraftübertragung und der Reduzierung von Komponenten mit deutlich geringerer Wartungsanfälligkeit niedriger aus. Und die Anschaffung ist im Vergleich zu den bestehenden elektrischen Lastenrädern wettbewerbsfähig. mocci soll mit einem Preis von 5000 Euro starten, womit es sich im Preisgefüge normaler E-Bike bewegt. Dass die von Post oder UPS eingesetzten Dreiräder mit 10.000 Euro und mehr deutlich teurer sind, hängt mit den Sonderkonstruktionen, Aufbauten und den geringen Stückzahlen zusammen. Dafür können diese jedoch erheblich mehr Nutzlast transportieren. Das 35 Kilogramm schwere mocci-Bike kann eine Nutzlast von bis zu 160 Kiliogramm aufnehmen; da muss aber der Fahrer noch abgezogen werden. Die rechnerische Reichweite ist auf 80 Kilometer ausgelegt, hängt aber von Fahrweise, Fahrweg und von den Transportlasten ab.

Serieller Hybrid als Durchbruch

Es war die Idee des seriellen Hybrides, die dem Projekt mocci zum Durchbruch verholfen hat. Mit einem Kettenantrieb, sagt Bachadakis, wäre eine große Tech-Errungenschaft nicht gelungen. Dabei sei schon die Hardware mit den zu 95 Prozent recyclingfähigen Kunststoffen statt der üblichwerweise genutzten Materialien Stahl und Aluminium eine Innovation.  Über ihr Netzwerk sind die Gründer von mocci an die TU Chemnitz gekommen, die ein Exzellenz-Cluster im Bereich Leichtbau sind. Dort ist das Material für den Rahmen und die anderen Hardware-Teile entwickelt worden. Mit der zentralen Steuerung und der entstandenen Plattform, die  von angeheuerten Experten entwickelt worden sind,  ist zugleich die Grundlage geschaffen, alle Komponenten in das System zu integrieren.

mocci hat die Hoheit über Technik und Daten. In der Bike-Industrie ist das nicht selbstverständlich. Oftmals bestimmen Komponentenanbieter, etwa die von Gangschaltungen, wo es lang geht. So aber behalten die Münchner das Sagen, wo welche Komponenten beschafft und eingebaut werden. Derzeit entsteht alles in Deutschland. Doch mit den Ambitionen, das Geschäftsmodell weiltweit in die USA und nach Asien zu tragen, wird lokale Fertigung in den jeweiligen Ländern möglich. Ebenso kann man flexibler in den Komponentenlieferungen sein, bei enstehenden Lieferengpässen schneller reagieren.

Mit der Organisation von Lieferketten kennen sich Yao Wen und Dimitrios Bachdakis bestens aus. Das ist spätestens seit 2004 ihr Kerngeschäft. Die Erfahrungen, vor allem auch das Kunden-Netzwerk mit großen Konzernen aus der Auto-, Elektronik-, Maschinenbau oder Energiebranche konnte das etablierte Unternehmen CIP Group auch für sein Start-Up nutzen. CIP beschafft und liefert im Kundenauftrag Produkte sowie technisch anspruchsvolle Materialien aus Asien; elektronische Bauteile, Rohstoffe, kritische Energie- und Industrie-Komponenten. In jedem zweiten Haushalt in Europa stehen Haushaltsgeräte mit Komponenten, die CIP beschafft hat; zum Beispiel elektronische Platinen für Kühlschränke. Dabei wird die gesamte Lieferkette sichergestellt, von der Produktion in 35 Werken in 30 Ländern Asiens über den Transport bis zur Fertigungslinie des Auftraggebers, verbunden mit der operativen Abwicklung aller Bestell- und Versandprozesse zwischen Hersteller und Kunden. CIP beliefert nach eigenen Angaben deutsche Unternehmen jährlich mit mehr als 50 Millionen elektrischen, elektronischen und mechanischen Bauteilen.

Entstanden ist die Gruppe aus einem Management-Buy-Out einer zentralen Einkaufs- und Beschaffungseinheit des Siemens-Konzerns in München. Dort baute Yao Wen eine Abteilung auf, die die konzernintern genutzten Dienstleistungen eines Lieferkettenmanagements auch Dritten angeboten hat, um zusätzliche Umsätze zu generieren; ein zu jener Zeit üblicher Ansatz von Siemens, intern entwickeltes und genutztes Know How extern zu vermarkten. Im Zuge der Verschlankung des Technologiekonzerns sollte das Drittgeschäft ausgegliedert werden. Yao Wen wollte es herauskaufen und fragte Dimitrios Bachadakis, der für Wen als Key-Account-Manager gearbeitet hatte, ob er einsteigen wolle. Von Anbeginn arbeitete die CIP Group profitabel.

Nur ein Jahr nach Gründung ging sie eine enge Kooperation mit dem damals noch unbekannten, kleinen Solarmodul-Hersteller Yingli Solar ein, ausgelöst durch die Anfrage eines großen deutschen Konzerns, der solche Module benötigte. Die engen Kontakte von Chinesin Wen, die während ihrer Arbeit bei Siemens viel Zeit in Asien verbracht hatte, führten dazu, dass Yingli und CIP ein Gemeinschaftsunternehmen für den Vertrieb von Solarmodulen in Europa und Amerika gründeten, an dem die Deutschen 40 Prozent hielten. Es wurde zum strategischen Vertriebsvehikel für den Vorstoß der Chinesen in die Welt. Auch wenn sie nur in der Minderheitsposition waren, entwickelte sich dieses Geschäft für CIP zum größten in der Gruppe. Anfangs unbekannt und klein, ist Yingli zum führenden Solarmodul-Produzenten der Welt geworden und ging in New York an die Börse. Wegen unterschiedlicher strategischer Aufassungen wurde die zwölf Jahre währende Kooperation 2017 beendet - zwei Jahre, nachdem die CIP Mobility GmbH gegründet wurde, hinter der mocci steht.

Das Managament-Buy-Out sei eine Chance gewesen, in das Unternehmertum umzusiedeln, sagt der in Deutschland geborene Sohn griechischer Einwanderer. Damals war er 29 Jahre alt. Entrepreneurship sei schon immer seine „präferierte Option“ gewesen. Und schnell habe er gelernt, dass man als Unternehmer ganz anders ticke. Die Affinität dazu sei immer da gewesen. Schon als Jugendlicher habe er sich selbst organisiert, um seinen Eltern nicht zur Last zu fallen. „Ich wollte immer selbst bestimmt sein und mein eigenes Geld verdienen.“ Und ob er bei Siemens, so gerne er auch dort gewesen war, bei allen noch so guten Karrierechancen glücklich werden würde? „Je länger ich da war, um so mehr kamen Zweifel.“

Nicht viel anders denkt Yao Wen, die mit dem Aufbau des Drittkundengeschäftes bei Siemens ja schon so etwas wie einen Entrepreneurship-Spirit entwickelte. Ende 1985 kam sie mit 21 Jahren nach Deutschland, nachdem sie in China Deutsch studiert hatte. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Germanistik an der Universität Augsburg begann sie 1990 ihre Karriere bei Siemens, wo sie dann von 1997 bis 2004 das Drittkundengschäft im Bereich Beschaffung und Logitsik leitete.

Yingli Solar weckt Gespür für Nachhaltigkeit

Es war Yingli, das bei Wen und Bachadakis die Sensibilität für Nachhaltigkeit und Klimaschutz schuf und die Idee von mocci als umweltfreundliches städtische Mobilitätskonzept förderte. Es waren aber auch die erklecklichen - nicht bezifferten - Einnahmen aus dem Vertriebsgeschäft mit Solarmodulen, vor allem aber der Verkauf der Anteile am Gemeinschaftsunternehmen, die die Finanzierung des Projektes aus eigener Kraft ermöglichten. Bis heute, bis zum Start der Pilotphase und bis zu Kleinserienfertigung.

Doch haben die Gründer Größeres vor, weshalb nun eine Serie-A-Finanzierungsrunde angelaufen ist. Mit der Großserien-Produktion von 2024 an müssen die Fertigungskapazitäten wie auch das Vertriebssytem ausgebaut werden. „Es geht an die Skalierung und Internationalisierung“, sagt Bachadakis. Mehr noch: In etwa zwei Jahren soll ein Dreirad nach dem mocci-System auf den Markt kommen, kündigt er an. Das befinde sich derzeit im Konzept- und Design-Stadium. Damit werden auch die Paketzusteller als eine große Kundengruppe gezielter adressiert. Das Dreirad sei das „Missing Link“ im anvisierten breiten Angebot von Pedelec-Anwendungen.

Zwei Jahre Vorsprung - mindestens

Bachdakis will mehr und seine Vision erfüllen. Mit mocci sei die Infrastruktur geschaffen, in einer späteren Phase, datengertriebene, digitalisierte Geschäftsmodelle den Kunden zu ermöglichen, die sie wiederum deren Kunden anbieten können. Da geht es nicht allein um Leasing-, Miet- oder Abrechnungsmodelle. Transporte könnten nach Gewicht oder Volumen berechnet werden. Luftdruckmessen oder Ermittlung des Wartungsstandes seien möglich. Das mag nichts Neues für Fahrzeuge oder Maschinen sein, für Fahrräder schon. „Wir sind die Ersten in der Branche, die mit der digitalen Infrastruktur in der Lage sind, solche Themen anzugehen“, sagt Dimitrios Bachadakis. Zu erkennen sind ähnliche, konkurrierende Entwicklungsprojekte nicht. Würde jemand heute mit der Entwicklung beginnen, benötigt man nach seinen Angaben mindestens zwei Jahre. „Diesen Vorsprung müssen wir nutzen.“

https://cipgroup.com/de/vmi-sourcing/digital-intelligent-mobility/

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