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11 Apr
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Das Deutschland-Ticket startet am 1. Mai. mo.pla ist am 1. April online gegangen. Die Mobilitätsplattform aus Augsburg hat sich zum Ziel gesetzt, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auf dem Land durch das Angebot von Rufbus-Diensten attraktiver zu machen - damit die dort lebenden Menschen auch das Auto mal stehen lassen. Das Start-Up der Gründer Robert Kamischke, Florian Baierl und Sebastian Kolb, zwei von ihnen bauen es im Nebenjob auf, soll kein lokaler Dienstleister sein, sondern will das Konzept in möglichst vielen Regionen deutschlandweit in Zusammenarbeit mit Bus-Unternehmen ausrollen. mo.pla kann ein Katalysator werden, um die 49-Euro-Pauschale in der Provinz hoffähig zu machen.

11. April 2023 - Von Rüdiger Köhn, München 

Der Linienbus fährt nur jede Stunde, mit einer Route auf weiter Flur, die man nicht unbedingt braucht. Ein Rufbus, On-Demand-Verkehr genannt, kann Abhilfe schaffen, um rechtzeitig am gewünschten Ziel anzukommen. Gebucht wird er über die App mo.pla. Der Fahrpreis wird automatisch abgebucht. Der Fahrgast wird vom privaten Busunternehmen an der virtuellen Haltestelle, also irgendwo an der Straße, abgeholt und abgesetzt; wie eine Stunde vorher bestellt. Die digitale Mobilitätsplattform, die hinter der App steht, kann mehr: Sie übernimmt die Disposition, plant die optimalen Routen, dient dem Busfahrer als Navigationssystem, übernimmt die routinemäßigen Führerscheinkontrollen und wichtige Teile des Fahrzeugchecks.

Seit Anfang April ist „Anrufbus Flex“ der Augsburger mo.pla - die Abkürzung für „Mobilitätsplattform“ - live. Sie soll die Mobilität derjenigen verbessern, die nicht in Ballungsräumen, sondern in Randlagen oder in ländlichen Regionen leben - und nicht das Auto benutzen wollen. Pünktlich ist damit auch das Deutschland-Ticket für 49 Euro über die App zu buchen, dessen Vorverkauf am 3. April begonnen hat.

Haken an mo.pla: Die gerade gestartete Initiative für ein Stück Gleichberechtigung von Land- und Stadtbevölkerung im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gibt es erst nur in den Landkreisen Wittenberg und Anhalt-Bitterfeld, nördlich von Leipzig; ein Einzugsgebiet mit einem Umkreis von 50 Kilometer.

                                             Robert Kamischke                         Fotos MoPla

Dort arbeiten die mo.pla-Gründer Robert Kamischke, Florian Baierl und Sebatsian Kolb mit dem regionalen Busunternehmen Vetter zusammen, das nach einer Vorbereitung von einem Jahr den Rufbus-Dienst - auch „Linienbedarfsverkehr“ genannt - in der dünn besiedelten Region einsetzt. Rund einhundert Kleinbusse aus einer Vetter-Flotte von insgesamt 600 Fahrzeugen stehen für diesen Dienst zur Verfügung.

„Wir schaffen ein weiteres Beförderungsangebot in der Fläche und in ländlichen Regionen, und zwar dort, wo flexible Verkehre fixe ÖPNV-Linien ersetzen können“, sagt Kamischke, einst Manager beim Roboterbauer Kuka und hauptberuflich IT-Berater für die industrielle Vernetzung bei der kanadischen Beratungsgesellschaft CGI. „Bedarfsverkehre mit kleineren Fahrzeugen sind dort nicht selten wesentlich effizienter und zielführender als große Busse, die mit starren Fahrzeiten und -routen meist leer durch die Gegend ziehen."

                                                                 Florian Baierl

Die in Bitterfeld und Wittenberg lebenden knapp 300.000 Menschen genießen mit dem Angebot von mo.pla ein Privileg, das einem Großteil der Deutschen vorenthalten bleibt: Rund 55 Millionen Menschen leben im Umland größerer Städte oder im ländlichen Raum, die ein wesentlich schlechteres ÖPNV-Angebot vorfinden als die 27 Millionen Einwohner in Großstädten und Metropolregionen. Ohne Auto geht kaum etwas, weshalb in vielen Haushalten zwei oder gar drei davon in der Garagen stehen.

                                                                 Sebastian Kolb

Der Kritikpunkt am Deutschland-Ticket: Städter sind wegen der deutlich besseren Infrastruktur bevorteilt, während dieses ÖPNV-Angebot wegen des großmaschigen und lückenhaften Netzes auf dem Land nur eingeschränkt nutzbar ist. Von den bundesweit insgesamt 230.000 Haltestellen liegen 45 Prozent in Städten, 55 Prozent sind über weite, weniger besiedelten Flächen des Landes verstreut..

Für Robert Kamischke besteht angesichts dieser Diskrepanzen Handlungsbedarf. „Flexible Bedienformen machen den Nahverkehr in ländlichen Regionen attraktiver, und erst dann macht das Deutschland-Ticket auch dort mehr Sinn.“ Will meinen: Wenn die Menschen ihr Auto stehen lassen oder gar ganz darauf verzichten sollen, braucht es echte Alternativen. Sie können so zur einer besseren Auslastung beitragen und wegen der größeren Flexibilität sogar die Kapzitäten erhöhen. „Wem nutzt es, große Busse zu subventionieren, die mit nur wenigen Passagieren fahren."

Nachhaltiger und umweltschonender

Ein bedarfsorientierter Nahverkehr sei nachhaltiger und umweltschonender, da der Treibstoffverbrauch mit dem Einsatz von Kleinbussen um die Hälfte bis zwei Drittel niedriger ausfalle, zugleich jedoch das Angebot durch intelligente, digitale Steuerung besser ausgelastet werden könne. Zudem würde der aktuellen Knappheit an Busfahrern begegnet. Mit kleineren Fahrzeugen erübrigt sich nämlich der Bus-Führerschein.

mo.pla ist auf dem ersten Blick keine neue Erfindung, was Linienbedarfsverkehre angeht. Etwas mehr als 80 On-Demand-Angebote gibt es nach Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) auf dem Land, „die öffentliche Mobilität dort hinbringen, wo bisher oft keine war“, wie es dort heißt. Im Jahr 2019 ermittelte der VDV nur elf Projekte. Bewegung ist in diese „klassische Nische“ hineingekommen, nachdem 2021 das Personenbeförderungsgesetz novelliert worden ist. Seitdem ist es möglich, nicht nur an festgelegten, ausgebauten Haltestellen des ÖPNV Fahrgäste aufzunehmen und aussteigen zu lassen, sondern an x-beliebigen Haltepunkten - an virtuellen Haltestellen.

                                                                                                                                                Quelle VDV

Dadurch ist die gesetzliche Voraussetzung für digital gestützte, nachfrageorientierte Rufbus-Dienste geschaffen worden, die im Idealfall in das ÖPNV-Netz integriert werden können. Für den VDV ist das ein wichtiger Meilenstein, um die Provinz auf ein neues öffentliches Mobilitätslevel zu hieven. Doch befürchtet der Verband, hinter dem 630 private Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs stehen, dass die Saat zu verkümmern droht, bedingt durch eine fehlende nachhaltige Finanzierungsgrundlage für den Regelbetrieb.

Rückschlag für Omobi

Die Sorge ist nicht unberechtigt: Der im Sommer 2020 angetretene On-Demand-Anbieter Omobi aus Murnau bei Garmisch-Partenkirchen ist ein Beispiel dafür. Das Start-Up, das etliche Auszeichnungen für sein Mobilitätskonzept erhalten hat, steht vor einem existenzbedrohenden Rückschlag. Der Gemeinderat in Murnau hat nämlich beschlossen, dass die Omobi-Kleinbusse nur noch bis Jahresmitte den öffentlichen Nahverkehr in der Kleinstadt mit 12.000 Einwohnern übernehmen dürfen. Begründung: Die Kosten seien zu hoch, der Fahrpreis von 2 Euro könne nicht annähernd den Aufwand decken. Für die Lücke muss die Gemeinde gerade stehen. Mehr als 60.000 Fahrgäste hat Omobi nach eigenen Angaben seit Bestehen befördert, Tendenz stark steigend. Das Angebot wird - zumindest zu den subventionierten Preisen - angenommen.

Das mo.pla-Konzept basiert indes nicht auf diesem Prinzip der Förderung. Ohne Ermäßigung kostet die Fahrt 8,20 Euro. Bei Nutzung des Deutschland-Tickets oder anderen ermäßigten Tarifen fällt ein Zuschlag von 1,80 Euro für das Anfahren von flexiblen Haltestellen an. Und noch ein großer Unterschied besteht zu Omobi oder anderen Angeboten: Die Augsburger wollen ihre Plattform deutschlandweit ausrollen. „Unser Ziel und unsere Vision ist es, dass es mo.pla überall auf dem Land geben soll“, sagt der Gründer.

     In der Grafik ist ein Fehler unterlaufen: Statt qmmuss es kmheißen.         Quelle VDV

Die Plattform ist skalierbar, hängt aber natürlich von Busunternehmen als Kooperationspartner ab. „Wir leben nach dem Credo: Innovation durch Kooperation.“ Das Start-Up bringe das Knowhow in der Digitalisierung mit, die cloudbasierte Software, die Nutzbarkeit mit Buchung, Fahrplan- und Fahrgastinformationen, Bezahlfunktionen, Routenoptimierung sowie Fahrer- und Fuhrparkbetreuung. Das Verkehrsunternehmen, im konkreten Fall das Busunternehmen Vetter als Entwicklungspartner der ersten Stunde, liefere das „Domain-Knowhow“.

Im März 2022 gegründet, begannen Kamischke, Baierl und Kolb, die Plattform zu entwickeln; alles immer in enger Koordination mit Vetter, der sich schon länger mit Rufbus-Systemen in der strukturschwachen und dünn besiedelten Region Wittenberg/Bitterfeld auseinandergesetzt hat. Im September startete die Testphase, im Dezember stand das Produkt. Im Februar lief die Life-Testphase der Plattform an, die über Algorithmen die Routen alle zehn Minuten optimiert, damit eingehende Bestellungen, Bezahlung, Kunden- und Fahrerbetreuung über die App aktuell abbildet. 

In die Welt des ÖPNV eingetaucht

Seit April läuft die Kommerzphase. Schon in den zwei Monaten der Testphase habe der Bus-Betreiber einen Effizienzgewinn im Treibstoffverbrauch von 30 Prozent beobachtet, sei die Auslastung gegenüber der Zeit vor der Gesetznovelle 2021 mit damals 40 bis 45 Prozent gestiegen.

Für Robert Kamischke, 35, war der ÖPNV eine völlig neue Welt, in die der Industriemanager wie Mitgründer Baierl, 30, und Kolb, 34, eingetaucht sind, mit Begriffen wie „Beauskunftung“ (Fahrpläne), vor allem aber mit verkrusteten Strukturen einschließlich komplizierter Genehmigungsverfahren. Kamischke und Baierl hatten mit ihrer Kenntnis in Robotik und Automation in der Industrie streng genommen mit ähnlichen Prozessen schon zu tun gehabt. In der Produktion müssen Roboter Dinge von A nach B transportieren, in festen Taktzeiten und mit einer Zuverlässigkeit von 99,999999 Prozent. Da sei das mit den Rufbussen doch gar nicht so abwegig, lacht Kamischke und sieht gleiche Problemstellungen und Herausforderungen.

                                                                                                                                       Quelle VDV

Der Wirtschaftsingenieur war beim Augsburger Roboterbauer Kuka Direktor für den Bereich Digitale Systeme, der sich mit der Vernetzung in der Produktion (Internet der Dinge - IoT) befasst. Im Sommer 2021 verließ er das Unternehmen und heuerte beim kanadischen IT-Berater CGI an, wo er in Deutschland als Consultant im Bereich des industrieellen Internets (IIoT) tätig ist. 

Florian Baierl ist bei Kuka Kollege gewesen. Als Software-Ingenieur entwickelte er dort fahrerlose Transportsysteme beziehungsweise Roboter und Technologien zu deren mobiler Vernetzung. Beide wollten sich selbständig machen und etwas gründen, ohne dass sie zu dem Zeitpunkt klare Vorstellungen über das „Was“ hatten. Nach reiflichen Überlegungen, Beobachtungen und Recherchen sind sie auf ÖPNV gestoßen, nahmen Abstand vom ebenfalls angedachten Einstieg in die Medizintechnik.

Der Kontakt zu Sebastian Kolb hat sich durch geschäftliche Beziehungen zu Kuka ergeben, die dieser als selbständiger Unternehmer hatte. Er gründete bereits mehrere Firmen. Seine Hauptaktivität übt der Design-Bachelor der TU Nürnberg als Eigentümer und Chef der Designagentur deerstreet-experience in Fürth aus. Kolb ist genauso Co-Founder von Rocket Road (IT-Personaldienstleister) und The GoodLife in Fürth (Entwickler/Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln).

Start-Up im Nebenerwerb

Die drei mo.pla-Gründer haben eine für Start-Up-Verhältnisse ungewöhnliche Konstellation der Zusammenarbeit gefunden. Einziger Vollzeit-Arbeiter ist Florian Baierl, der Chefentwickler, der als Chief Technology Officer das Projekt technisch umsetzt. Kamischke und Kolb machen das als „Nebenerwerb“ - und Hobby. Der IT-Berater arbeitet in Vollzeit bei CGI mit weltweit 80.000 Mitarbeitern in seiner Funktion als IT-Berater weiter. Er übernimmt als Vorstandschef (CEO) im Start-Up strategische Kernthemen wie Markterschließung und Angebotsportfolio. Kolb ist der „Künstler und Maler“, wie der Chef dessen Aufgabe lächelnd umschreibt. Als Chief Creative Officer kümmert er sich um Design und Auftritt in App und Plattform.

                                                                                                                                            Quelle VDV

„Unser Ansatz ist ganzheitlich und damit neu in der Branche“, sagt Robert Kamischke. „Wir wollen den Markt nicht nur horizontal über die Fläche mit Angeboten in verschiedenen Regionen erschließen, sondern auch vertikal mit zusätzlichen Serviceleisungen - etwa mit Lebensmittel- oder Apotheken-Lieferdiensten.“ Wenn schon die Kleinbusse herumfahren, warum sollten sie nicht Zusatzdienste übernehmen, um die Auslastung zu verbessern? Solche über die Plattform organisierten Botendienste machen das Projekt für Verkehrsunternehmen attraktiver und lukrativer. Die Potentiale des Geschäftsmodells mo.pla werden nun im realen Geschäftsverlauf durch die Verkehrsdatenerhebungen erschlossen.

Wittenberg und Bitterfeld sind nur der Anfang. Ostdeutschland als Markt gilt für Kamischke wegen der zahlreichen zersiedelten Regionen als sehr interessant. Einige Landkreise und Städte dort haben Interesse angemeldet, genauso weitere Busunternehmen. Neue Vereinbarungen über Kooperationen sind schon erfolgt, größere Abschlüsse könnten im Sommer kommen. Auch im Flächenland Bayern ist das Modell auf Aufmerksamkeit gestoßen, kämen erste Anfragen. Denkbar sind zudem mittelgroße Städte, für die mo.pla ein Zubringer aus den Randgebieten zu den Endstationen von Bussen und Bahnen sein kann. „Es gibt so viele Themen, die wir angehen werden“, sagt Robert Kamischke, „sobald der Rollout geklappt hat und es läuft.“

https://www.mopla.solutions/

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