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27 Feb
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„Logistik in der dritten Dimension" nennt Cem Uyanik das Konzept von Urban Ray. Mit zwei Partnern hat er eine Drohne entwickelt, die im städtischen Luftraum zeitkritische Güter schnell transportieren soll. Es geht um ein System, in dem die Bodenstationen als Netzwerk das Herz für die vollautomatisierte Zustellung von Paketen ist. Das sei der „Game Changer", wie die Absolventen der RWTH Aachen sagen. Urban Ray fokussiert zunächst auf die medizinische Logistik. Die RWTHler haben einen Studentenwettbewerb von DLR und Nasa gewonnen. Aus dem damals eingereichten 25-Seiten-Papier wird nun pure Hardware und Software.

27. Februar 2023 - Von Rüdiger Köhn, München

Wie im Pendelverkehr fliegt Ray von Krankenhaus zu Krankenhaus oder zum Labor, liefert Blut- und Gewebeproben ab oder befördert dringend benötigte Medikamente von der Apotheke zum Patienten in die Klinik. Zwischendurch kann die Drohne, die mit acht Rotoren für den Senkrechtstart und zwei Antrieben für den Vorwärtsflug einem elegant geschwungenen Flügel ähnelt, Pakete mit anderen zeitkritischen Gütern in der Stadt von A nach B transportieren. Sie sinkt auf die Landeplattform einer Packstation ab, von wo die Fracht zum Ausgabefach herabgelassen wird. Der Mini-Lift befördert Päckchen im Standardformat als neue Fracht nach oben, gleichzeitig werden die Batterien ausgetauscht. 

Die Bodenstation von Urban Ray ist die entscheidende Schnittstelle für ein städtisches Logistiksystem in luftiger Höhe, um vollautomatisiert das 1,30 Meter breite und 1,50 Meter lange unbemannte Luftfahrzeug (UAV - Unmanned Aerial Vehicle) zu steuern. Die Hubs übernehmen die gesamte Interaktion mit dem UAV. Das Stationsnetzwerk dient zugleich als Pufferzone, die die notwendige Flexibilität für die Schwankungen in der Auslastung bietet.

                                             Cem Uyanik                              Fotos: Urban Ray

„Man kann Logistik auf der letzten Meile nicht einfach nur über eine Drohne abwickeln“, sagt Cem Uyanik. „Es muss eine Kombination mit einer kompletten Bodeninfrastruktur und -umgebung geben, verbunden mit einer effizienten, lärmreduzierten Technologie.“ Uyanik hat mit Fabian Binz - beide sind Luft- und Raumfahrtingenieure und 27 Jahre alt - sowie Maschinenbauer Henry Schmidt, 25 Jahre, im Mai 2022 die Urban Ray GmbH gegründet. Die drei sind Absolventen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH), wo die Idee während des Studiums im Jahr 2020 geboren war.

          Fabian Binz (links) und Henry Schmidt

Die Gründer konzentrieren sich mit ihrem Konzept auf den urbanen Raum. Die erste und die letzte Meile sei noch völlig ineffizient und damit der teuerste Teil in der Transportkette von Lang-, Mittel- und Kurzstrecke. Durch die umweltschonende Nutzung des Luftraums würden einerseits mehr Transportkapazitäten geschaffen, andererseits der Logistikverkehr auf der Straße entlastet. Entscheidender als die Drohne ist für das Aachener Start-Up-Trio die ungefähr drei Meter hohe Bodenstation auf einer Fläche von ein bis eineinhalb Autoparkplätzen. „Das ist der Game Changer“, sagt Uyanik. „Am Ende des Tages ist Urban Ray eine Packstation mit Landefläche.“ Das dezentrale Hub-Netzwerk sorge für das Zusammenspiel von Flugsteuerung, Flottenmanagement, der Routen-Optimierung und der Schnittstelle zum Kunden. Sie sei die digitale Plattform.

Statt Drohnen-Lärm nur ein Föhn-Surren

Ray ist ausgelegt für eine Reichweite von 20 Kilometer und kann eine Nutzlast von 2,5 Kilogramm aufnehmen, bei Bedarf auch von 5 Kilogramm mit entsprechend geringerer Reichweite. In 100 bis 120 Meter Flughöhe sollen die Pakete mit einem Ladevolumen von etwa  eineinhalb Schuhkartons befördert werden. Bis zu 100 Kilometer in der Stunde ist der Flugkörper schnell und liefert so die Fracht in maximal elf Minuten ab.

Die Drohne wiegt 18 Kilogramm, davon entfällt ein Drittel des Gewichts auf die Akkus. Der Einbau eines Fallschirms ist obligatorisch. Neben der Sicherheit spielt der geräuscharme Betrieb eine große Rolle. Das typische, laute Drohnen-Surren gibt es nicht. „Ray klingt mehr wie ein Föhn“, grinst Uyanik. Er hofft, damit eine höhere Akzeptanz in der Öffentlichkeit für UAV-Transporte in der Stadt zu erlangen. Dazu soll auch der Fokus auf medizinische Einsatzzwecke beitragen. Das sei bedeutender und auch einleuchtender als die Lieferung eines online bestellten Smartphones an Privatkunden.

Das Gesamtgewicht ist vergleichsweise niedrig. Viele Entwickler von electric Vertical Take-off and Landing aircrafts (eVTOL) arbeiten mit dem sehr leichten, aber teuren und arbeitsaufwendigen Material Karbon. Bei Ray setzen die Gründer auf Schaumstoff, wie man es aus dem Modellflugzeugbau kennt. Das ist nicht nur leicht zu produzieren und wesentlich günstiger; Schaumstoff gilt als guter Stoßabsorber und damit als sehr sicher. Da die Motoren für Auftrieb und Vortrieb im Gegensatz zu den Wingcoptern getrennt sind, ist die technische Komplexität deutlich geringer, womit Ausfallrisiken verringert werden.

Es werden bereits viele Logistik-Konzepte für Drohnen entwickelt. Warum nun noch ein weiteres? „Die Interaktion von Bodenstation und Drohne macht das Projekt außergewöhnlich, vielleicht sogar einzigartig“, will sich Uyanik von anderen absetzen. Seit sechs Jahren gibt es das Unternehmen Matternet aus Kalifornien, dessen Quadcopter mit 80 mal 80 Zentimeter deutlich kleiner ist. Die Nutzlast von zwei Kilogramm mit einem Ladevolumen von vier Liter kann über 15 bis 20 Kilometer geflogen werden. Matternet fliegt ebenfalls für medizinische Zwecke und arbeitet seit Jahren in den USA mit UPS und in der Schweiz mit Swiss Post zusammen; bis dato aber nur mit einer speziell entwickelten Drohne, die im Design den handelsüblichen Quadcoptern ähnelt. Aber Matternet arbeitet nun ebenfalls am Aufbaui eines Bodenstation-Netzwerkes.

Studentenprojekt à la Horyzn

Selbst wenn die Aachener ein anderes Konzept verfolgen, sie erinnern an das Studentenprojekt Horyzn der Technischen Universität München (TUM). Dort begannen Studenten im Herbst 2019, in Eigeninitiative eine Rettungsdrohne für den Transport von Defibrillatoren zu entwickeln. Mittlerweile treibt ein Team von 60 Studenten das Vorhaben „Mission Pulse“ voran und bekommt dabei Unterstützung vom Bayerischen Roten Kreuz und von Unternehmen wie Volkswagen, Hensoldt, Airbus, Liebherr, Voith und  Rhode & Schwarz. Am Ende soll „Mission Pulse“ innerhalb von fünf Minuten im Umkreis von sechs Kilometern zum Notfallort fliegen und einen Defibrillator aus der Luft absetzen, schneller als ein Rettungswagen (siehe „Horyzn: Take off für Mission Pulse“ vom 13. Dezember 2021, https://www.passion4tech.de/blog/horyzn-take-off-f%C3%BCr-mission-pulse). Wie Ray arbeitet Horyzn mit separat arbeitenden Rotoren für Auftrieb und Schwebeflug einerseits und für den Vortrieb andererseits.

Urban Ray ist ebenfalls eine studentische Initiative gewesen. Cem Uyanik, Fabian Binz und Henry Schmidt haben während des Studiums mit drei weiteren Kommilitonen am „Design Challenge“ der US-Raumfahrtbehörde Nasa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) teilgenommen, ein jährlich ausgetragener, in den USA und in Deutschland parallel laufender Studentenwettbewerb. Sie reichten ein 25 Seiten umfassendes Konzept zum vorgegebenen Thema „Vision der urbanen Logistik“ ein. Mitte 2020 haben sich die RWTHler unter sieben angetretenen Teams durchgesetzt und gewonnen.

Aus der Sechser-Gemeinschaft haben drei beschlossen, das Projekt auf dem Papier konkret umzusetzen. Dabei kannten sie sich zu jenem Zeitpunkt eigentlich nur vom Bildschirm. Wegen der Corona-Pandamie und des Lock-Downs waren sie zur virtuellen Zusammenarbeit verbannt. Lediglich einmal hätten sie sich kurz getroffen, um ein Team-Foto aufzunehmen. Je mehr sie in die Materie eintauchten, um so deutlicher erkannten sie, dass sich mit der „Warenzustellung in der dritten Dimension“, also aus der Luft, ein Geschäftsmodell entwickeln lässt. „Wir merkten während der Ausarbeitung des Papiers für den Wettbewerb, dass das funktionieren kann“, erinnert sich Uyanik. Darin sahen sie sich durch den Sieg nur bestärkt.

Nichts Neues erfunden - und doch Deeptech

Erstmals persönlich zusammengesetzt haben sie sich Ende 2020. Sie beantragten Fördermittel aus dem Innovation-Sprint-Programm der RWTH, bauten mit eigenem Geld die erste Drohne. Im Mai 2021 wurde es ernst, das Projekt gestartet. „Das 25-Seiten-Papier ist für uns so schlüssig gewesen, dass man eigentlich gleich ein Unternehmen hätte gründen können“, sagt Uyanik. Er hatte zurvor schon Erfahrungen mit Start-Ups gesammelt, war er doch 2017 Mitgründer der Aachener ambeRoad (Business Intellgence - Software und Suchmaschinen für Wissens- und Datenmangement in Unternehmen).

Das Aachener Trio ergänzt sich in den Expertisen. Henry Schmidt hat schon mit sechs Jahren seine erste Drohne entwickelt und gebastelt; 2018 hat er die „Aachen Drone Development Initiative“ (ADDI) mitgegründet. Fabian Binz hat im Zuge des Studiums einen Schwerpunkt auf die Regulatorik und Zulassungsprozesse von unbemannten Flugsystemen gelegt. Dennoch warteten sie mit der Gründung. Potentielle Geldgeber wie Business Angels waren skeptisch, was die Machbarkeit angeht und wollten das Produkt sehen. Mit der Entwicklung des Prototypen wurden Zweifel beseitigt. Nach Ende der Unterstützung durch Innovation Sprint gründeten sie das Unternehmen und erhielten eine EXIST-Förderung. Schließlich kamen Business Angels hinzu.

Kompliziertes Innenleben: Per Lift wird das Päckchen nach oben transportiert und bei Bedarf gelagert. Die Trommel oben dient zugleich als Lager für die Battieren, die mit der Beladung der Drohne ausgetauscht werden.

 „Wir erfinden nichts Neues, alle notwendigen Komponenten gibt es bereits“, sagt Luftfahrtexperte Uyanik. Viele Systeme könnten zugekauft werden. „Die intelligente Kombination aller Teile macht es so komplex, weshalb wir uns als Deeptech-Start-Up verstehen.“ Zuerst denke man bei der Automatisierung an das autonom fahrende Auto mit all den Herausforderungen. „Aber in der Luftfahrt gibt es schon seit Jahrzehnten einen sehr hohen Grad an Autonomie.“ Den könne das Start-Up nutzen, genauso wie die Drohnentechnologie in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht habe.

Premiere auf der Amsterdam Drone Week

Die Hardware ist nach den Worten von Uyanik entwickelt und praktisch fertig. Die erste Drohne wird gerade gebaut, nachdem vor wenigen Wochen der Design-Freeze erfolgt ist. Die komplex anmutende Bodenstation mit ihrem Liftsystem für die vollautomatisierte Beladung ist so gut wie fertig. Der Prototyp sei voll funktionsfähig. Im März erfolgen die ersten Tests unter regulären Bedingungen. Große Premiere ist dann Ende März auf der Amsterdam Drone Week (21.-23. März), wo die Gründer ihre Errungenschaft erstmals öffentlich präsentieren.

Läuft alles sauber, wird die Automatisierung und Software in Angriff genommen. Die Gründer konzentrieren sich auf die Flugsteuerung, mit deren Entwicklung parallel zur Arbeit an Dummy-Drohne begonnen worden ist. Die umfassendere für den Geschäftsbetrieb notwendige digitale Plattform etwa für das Kundenportal werde mit Partnern aufgebaut. Solange wird Ray manuell betrieben und getestet. In Vorbereitung sind die Anträge für die Flugrechte und die Zulassungen. Hier kommt Urban Ray entgegen, dass es seit 2021 zu erheblichen Erleichterungen in der Regulierung gekommen ist. Nun ist der Flug unbemannter Transportdrohnen außerhalb der Sichtweite eines Piloten - also die Fernsteuerung - über besiedeltem Gebiet auf vordefinierten Routen erlaubt.

Pilotprojekt mit zwei Klinik-Gruppen 2024

Bis Ende dieses Jahres hofft Uyanik, dass das gesamte System für das Pilotprojekt steht. Das soll 2024 beginnen. Dafür hat Urban Ray bereits zwei Klinik-Gruppen in verschiedenen Regionen gefunden, die es testen wollen. Um welche Krankenhaus-Ketten es sich handelt, will er nicht sagen. Die ersten Projekte würden indes nicht im urbanen Raum mit hoher Bevölkerungsdichte gestartet, sondern in der Peripherie. Damit könnten die Nachweise auch für die erforderlichen Genehmigungen durch das Luftfahrtbundesamt erbracht werden. Die Hoffnung ist groß, in der zweiten Jahreshälfte 2025 kommerziell die urbane Logistik aus der Luft anzugehen. Damit hat sich der anfangs ehrgeizig gesetzte Zeitplan verschoben, hoffte man einst doch, schon Anfang 2023 den ersten Piloten starten zu können.

Urban Ray addressiert den Markt für Gewerbekunden (B2B). Da gibt es zumeist feste Flugrouten. Erweitern lässt sich das Modell allemal, wenn es um zeitkritische Güter wie dringend benötigte Ersatzteile geht oder um Transporte zwischen Logistikzentren. Die Zustellung einzelner Pakete für Privatkunden ist sehr viel kleinteiliger und daher eine anspruchsvolle, Herausforderung, allein wegen einer umfangreicheren, engmaschigen Bodeninfrastruktur, nicht zuletzt auch wegen des zu erwartenden sehr viel größeren Aufkommens. Uyanik kann sich solche Angebote frühestens in fünf oder sechs Jahren vorstellen.

Mit dem Fokus auf medizinische Logistik nimmt sich das Start-Up aus Aachen eines überschaubaren, aber attraktiven Arbeitsgebietes an. „Das ist für uns ein sehr wertvoller Erstmarkt“, sagt Cem Uyanik. „Die Drohne kann teure Taxi- und Courierfahrten ersetzen, die derzeit den Transport übernehmen; manchmal werden im Notfall sogar Rettungswagen eingesetzt.“ Vom Zeitfaktor einmal völlig abgesehen, denn Verkehrsstaus lassen sich einfach überfliegen. Die drei wissen, worüber sie reden. Sie haben sich tief in die Materie der medizinischen Logistik eingearbeitet - und allesamt dafür Praktika in Krankenhäusern gemacht.

https://www.urban-ray.com/

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