Die Welt des Leistungssport und die der Start-Ups scheint die gleiche zu sein. Preventio-Gründer Andreas Bechmann ist der Beweis. Er ist Zehnkämpfer und gehört zu den deutschen Top-Athleten. Leidenschaft, Ehrgeiz und Erfahrungen im Sport treiben ihn auch in seiner Arbeit als Jungunternehmer an. Funktioniert seine Software-Plattform, ist bislang einmaliges gelungen: kein Wasserohrbruch, keine Überschwemmung in Bad, Küche oder Keller mehr, weil Künstliche Intelligenz schon vorher warnt. Das kann hohe Sanierungskosten und Schäden in Milliardenhöhe vermeiden. Nicht nur Immobilienbesitzer, Vermieter oder Versicherer profiteren davon. Auch die Öl- und Gasindustrie könnte das interessieren.
10. August 2022 - Von Rüdiger Köhn, München
Das Schicksal verlangt von Andreas Bechmann Nehmerqualitäten. Der 22-jährige Zehnkämpfer wollte an den European Championships in München teilnehmen. Doch hat der Körper des U23-Europameister anders entschieden. Beim Thorpe Cup in Dallas im Juli, einem jährlichen Wettbewerb zwischen amerikanischen und deutschen Mehrkämpfern, musste Bechmann vor der vierten Disziplin, dem Hochsprung, abbrechen. Der Leichtathlet von Eintracht Frankfurt, mit 8142 Punkten Vierter in der nationalen Rangliste der deutschen Zehnkämpfer, zielte auf eines der drei Tickets für München und hatte den Cup 2019 schon einmal gewonnen. Doch muskuläre Probleme machten das zunichte. Ein weiterer gesundheitlicher Rückschlag. Corona hatte bereits die Qualifikation für die Leichtathletik-WM in Eugene im US-Bundestaat Oregon durchkreuzt. Das Covid-Virus war es auch, das ihm die Reise zu den Olympischen Sommerspielen in Tokio vermasselte - wenige Wochen, nachdem er den U23-Europameister-Titel geholt hat. „Ich hab´s nicht so mit dem Timing“, sagt Bechmann mit ruhiger, gelassen klingender Stimme.
Andreas Bechmann Fotos Preventio
Bechmann steckt weg. Unmittelbar nach dem Aus im Thorpe Cup besuchte er in Dallas die Niederlassung des deutschen Familienunternehmens Viega. Der Installationsspezialist für Sanitär und Heizung sowie weltweit führender Hersteller von Rohrleitungssystemen ist ein wichtiger Partner, mit dem Bechmann über ein anstehendes Pilotprojekt in den USA gesprochen hat. Der Zehnkämpfer hatte noch den Frust in sich, da ging er - wie in der Sportarena - die nächste Disziplin an, es ist seine elfte: der Aufbau von Preventio, einem Start-Up aus Frankfurt, das mit Hilfe von Algorithmen, Künstlicher Intelligenz und Machine Learning potentielle Leckagen oder Rohrbrüche prognostiziert, um Gebäude- und Wasserschäden zu verhindern.
Vieles, was Bechmann im Sport an Erfahrungen mit Erfolgen, Misserfolgen und Rückschlägen sammelt, lässt sich fast eins zu eins auf sein Engagement als Gründer und Vorstandschef übertragen. „Man muss Resilienz aufbauen.“ Nur mit der Widerstandskraft gelingt es, mit ohnehin nicht zu ändernden Realitäten fertig zu werden. „Es liegt in der Natur des Sportlers, mit Rückschlägen umzugehen und Akzeptanzbereitschaft zu entwickeln.“ Corona lasse sich nicht rückgängig machen, da könne man sich noch so sehr ärgern. Verlieren im Sport sei nichts anderes, als im Business einen Kunden zu verlieren. Die Abgeklärtheit hilft beim Aufbau von Preventio, die im September vergangenen Jahres gegründet und von der Deutschen Sporthilfe als Start-Up des Jahres 2021 gekürt worden ist. Bechmann kämpft vor einer gewaltigen Kulisse von 50.000 Zuschauern im Stadion, was Nerven verlangt. Das Schöne im Zehnkampf sei ja die Vielzahl der Disziplinen, besonders die ihm liegen; Weitsprung, Hochsprung und Stabhochsprung.
Aber: „Ich bin ein absolut schlechter Hürdenläufer und ich arbeite ständig daran, besser zu werden“, sagt er. „Wenn ich dann vor den vielen Menschen miserabel die Hürden nehme und ich im Ziel angekommen bin, frage ich mich, was ich da eigentlich gerade gemacht habe.“ Kurze Pause: „Da kann man dann das Pitchen unseres Geschäftsmodells vor einem Investor, der den Daumen senkt, erst richtig einordnen.“ Er weiß, dass er sich zu den Besten in der Leichtathletik zählen kann. Und doch übe nicht nur er selbst, sondern auch sein Trainer immer wieder Druck aus, sich noch weiter zu steigern. „Egal, wie gut wir sind, wir können es besser machen.“ Man lerne, mit Kritik umzugehen und Dinge zu hinterfragen, das helfe bei der Suche nach Investoren und Partnern, auf Roadshows und beim Verkraften von Rückschlägen. „Das ist die Mentalität, die wir in unserem Start-Up leben und verfolgen.“
Das Preventio-Team: Frederic Büdel, Bledion Vladi, Andreas Bechmann, Peter Yves Ruland (v.l.)
„Wir“- das sind neben Bechmann auch seine Studienkollegen Frederic Büdel (24) und Bledon Vladi (25) sowie der langjährige Microsoft-Manager Peter Yves Ruland (55), der als Techie im Team Anfang dieses Jahres endgültig dazu gestoßen ist. Sie haben Preventio aus einem Forschungsprojekt heraus gegründet und entwickeln eine intelligente Software-Plattform, die eine Fülle von Daten von Wohnungsbaugesellschaften, Gebäudewirtschaft, Versicherungen, Wasserwerken oder Wetterdiensten sammeln, auswerten und extrapolieren. So sollen marode Rohrleitungen in Gebäuden und damit die Risiken eines Lecks rechtzeitig ausfindig gemacht werden, bevor es zu Überschwemmungen kommt. Abgesehen davon, dass es eine derartige Lösung noch nicht gibt, ist sie als Software-Abo (Software-as-a-Service, SaaS) deutlich kostengünstiger als der teure Einbau von Sensoren, was Gebäudebesitzer wegen der hohen Investitionen scheuen. Was es in der Industrie schon lange gibt, nämlich die vorrausschauende Wartung und Instandhaltung (Predictive Maintainance), soll auf Häuser und Gebäude übertragen werden.
Versicherer können hohe Schadenzahlungen vermeiden, Immobilienbesitzer und Wohnungsunternehmen als Vermieter enorme Reparaturkosten sparen und sich vor Miet- sowie Nutzungsausfällen schützen. Die Partner und Unterstützer von Preventio kommen dementsprechend aus den genannten Branchen; die Versicherer Basler und Nürnberger Versicherung, der Wohnungskonzern Vonovia und eben auch Viega als Installationsanbieter. Von ihnen kommt ein großer Teil der Daten wie Schadenhistorien, Alter des Hausbestandes oder Baubeschaffenheit. Wasserqualität sowie Wetterdaten (Frostgefahren) sind ebenso relevant. Die Herausforderung ist, die Fülle der Daten zu kombinieren und zu gewichten, wofür die KI einsetzt wird. Die Zuverlässigkeit der Prognosen hängt natürlich von der Datenqualität ab. Zielmarke sei, eine Genauigkeit von 80 Prozent in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten zu erreichen, formuliert Bechmann den Anspruch von Preventio. Noch befindet es sich in der Test- und Pilotphase. Bis Ende des Jahres jedoch soll eine Plattform-Version stehen, die als Lizenzmodell vermarktet werden kann, hofft er.
Es gebe Muster, ein Risiko zu erfassen. Bechmann vergleicht es mit der notwendigen Krebsvorsorge. „Wir warten ja auch nicht, bis das Geschwür da ist.“ Da würden bestimmte Merkmale wie Alter, Gesundheitsszustand oder sportliche Aktivitäten eine Rolle spielen. „In einem Haus sind Wasserleitungen nichts anderes als Blutgefäße.“ Und der monetäre wie der ökologische Schaden sei am Ende beträchtlich, da sollte eigentlich auch dort Vorsorge angebracht sein. Rohrbrüche verursachen etwa die Hälfte der Gebäudeversicherungsschäden und sind damit der größte Schadenbereich. Im Jahr kosten sie die Vericherer allein in Deutschland 3,4 Millarden Euro, und jedes Jahr steige das Volumen um 7 bis 8 Prozent. Dabei dürfte es auch eine hohe Dunkelziffer geben, da nicht alle Schäden gemeldet würden
Die Wurzeln für Preventio waren schon Anfang 2020 gelegt. Andreas Bechmann studierte seit 2017 auf der accadis Hochschule Bad Homburg International Business Management auf Bachelor, der sich als „Hardcore-BWLer“ bezeichnet. Er beteiligte sich als Teil des Studiums an einem Beratungsprojekt. So traf er auf Frederic Büdel und Bledion Vladi, die Digital Business Manangement studierten. In dem Consulting-Projekt galt es, Lösungen für Unternehmen zu erarbeiten. Sie hat ein Anliegen der Basler Sachversicherung angesprochen, ein Geschäftsfeld „Home“ zu erschließen. Jeder brauche eine Versicherung, Gebäudeschäden sei ein Riesenthema - und das digitale Smart Home erst recht. Da klang es interessant, eine Plattform und eine Strategie für ein Ökosystem zu entwerfen, sagt Bechmann, der das 16-köpfige Team leitete.
Eine Mixtur von Umständen hat zur Gründung des Start-Ups geführt. Das Consulting-Projekt war für ihn ein Auslöser. Den dringenden Bedarf aus Kundensicht konnte Bechmann ohnehin nur zu gut aus eigener leidvoller Erfahrung definieren: Einmal kam er hungrig und übermüdet abends vom Training nach Hause, wollte nur noch essen und ins Bett; doch das Bad in seinem kleinem Appartment war ein „Swimmingpool“; womit der Horror begann. Und im Grunde gab es die Technologie des Predictive Maintainance ja schon, man müsse sie nur richtig anwenden. Das Consulting-Projekt war im Mai 2020 abgeschlossen. Das eigentliche Forschungsprojekt nahmen sie Anfang 2021 in Angriff, schon im September war der Prototyp fertig, wurde Preventio direkt nach Abschluss des Studiums gegründet.
Das Team ergänzt sich ideal. Bledion Vladi ist ohnehin schon zuvor an vielen Gründungen von Start-Ups oder Organisationen beteiligt gewesen (The Story Store, MasterPiece Club, Growunited). Frederic Büdel hat neben seinem Studium Erfahrungen in der Unternehmensberatung gesammelt. Peter Ruland ist nach seinem Ausstieg bei Microsoft Ende 2011 und neben seiner Management-Beratertätigkeit (ruland.tv) auch im Aufbau von Tech-Neugründungen involviert gewesen. Durch den früheren Kontakt zu Vladi ist er zu Preventio gekommen.
Geholfen hat auch die Deutsche Sporthilfe. Mit ihrem Förderprogramm „Sprungbrett Zukunft“ und der Start-Up-Academy unterstützt sie Gründerambitionen von Athleten, um ihnen nach einer Sportlerkarriere neue berufliche Perspektiven zu eröffnen. Jährlich werden 20 Sportlern Workshops und individuelle Coachings angeboten, um Geschäftsideen weiterzuentwickeln und vor potentiellen Investoren zu präsentieren (pitchen). Das vierköpfige Team von Preventio setzte sich gegen sechs Mitbewerber durch, wurde zum Start-Up des Jahres 2021 gekürt und erhielt 12.000 Euro Start-Kapital. „Wir wollten gewinnen und wir wussten, dass wir gewinnen“, lacht Bechmann. Da kommt wieder der Sportsgeist durch. „Das ist beim Pitchen genauso.“
In diesem Frühjahr hat das Tech-Start-Up eine Pre-Seed-Finanzierung über 1,35 Millionen Euro abgeschlossen, um das Entwicklungsteam zu erweitern und die Plattform auszureifen. Unter den Geldgebern ist Frühphasen- und Wachstumsinvestor Futury Capital, der Risikokapitalgeber Headline von Andreas Haug sowie die in der Wirtschaftsförderung aktive BMH Beteiligungs-Managementgersellschaft Hessen, die zur Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) gehört. „Derzeit fokussieren wir unsere Arbeit auf Wohngebäude.“ Bechmann deutet jedoch die gewaltigen Potentiale an, wo überall die Technologie eingesetzt werden kann. Dazu gehörten Bürohäuser und öffentliche Gebäude. Gerade blicke er auf den Helaba-Tower in der Frankfurter City. „Nicht auszudenken, wenn sich dort in den oberen Stockwerken ein veritabler Leistungswasserschaden ereignet.“ Das aber sei von der Komplexität deutlich schwerer zu erfassen und eine Herausforderung.
Es gibt mehr Einsatzgebiete. Preventio könne sich alle Rohre vornehmen, durch die etwas fließe, spielt er auf Infrastrukturleitungen etwa in der Öl- und Gasindustrie an. „Wir sind offen für alles, wenn sich neue Opportunitäten ergeben.“ Ende Mai kam Spencer Cox, Gouverneur von Utah, nach Frankfurt und zeigte Interesse an Preventio, traf sich mit den Gründern. Eines Tages habe er im Posteingang eine Mail des Büros des Gouverneurs gehabt, der mit einer Wirtschaftsdelegation anreiste und das Gespräch gesucht hat. Das Interesse scheint groß im Südwesten der USA zu sein, gibt es dort doch nicht nur große Gasleitungen, sondern auch Wassertransportsysteme im Zuge des Colorado-Flusssystems. Ob das Pilotprojekt, über das Bechmann mit Viega in Dallas zu tun habe, wollte er nicht sagen.
An einem wird nicht gerüttelt: Der Zehnkämpfer bleibt bei seinem Sport. „Das mache ich so weiter wie bisher.“ Dazu sei sein sportlicher Ehrgeiz zu groß, die Erfahrung daraus zu wichtig. Reichen da 24 Stunden am Tag? Acht Stunden Schlaf, drei Stunden Training, drei Stunden für Essen, Trinken und so - blieben immer noch zehn Stunden für Preventio. „Ich habe eine gute Balance gefunden und nicht das Gefühl, vor dem Burn-Out zu stehen“, lacht Andreas Bechmann. Vielleicht stehen dann ja auch wieder Schicksal und Fortune auf seiner Seite, spätestens für die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in Paris 2024.