5 Minuten Lesezeit
19 Jun
19Jun

Die Gründer des mittlerweile zu Klarna gehörenden digitalen Zahlungsanbieters Billpay versuchen es nun einige Nummern größer: Mit Modifi haben sie 2018 ein Fintech aufgebaut, um kleinen und mittelständischen Unternehmen den Zugang zu großen Einkäufern wie Amazon oder Walmart zu erleichtern. Über eine digitale Plattform können sie schnell Lieferverträge vorfinanzieren und absichern. Bei Billpay hieß das noch Finanzkauf. Modifi hat etwas Missionarisches. Denn sie erhöht die Wettbewerbschancen für diejenigen, die im internationalen Welthandel sonst durch den Rost fallen würden. Modifi soll für die Kleinen der Schlüssel zum globalen Warenverkehr sein.

München, 19. Juni 2023 - Von Rüdiger Köhn

Nelson Holzner, Sven Brauer und Jan Wehrs haben sich 2009 inmitten der Finanzkrise vorgenommen, den Menschen ihre Einkäufe im Internet möglichst unkompliziert zu ermöglichen und diese auch bezahlbar zu machen. Sie gründeten den digitalen Zahlungs- und Finanzkaufanbieter Billpay. Den haben die drei nach erfolgreichem Aufbau längst wieder gewinnbringend verkauft. Das schwedische Fintech Klarna hat den einstigen Konkurrenten auf dem deutschen Markt übernommen. Billpay ist für Klarna heute zum stärksten Geschäftsbereich geworden.

Zehn Jahre später haben Holzner, Brauer und Wehrs im Grundsatz etwas ähnliches noch einmal aufgelegt, nur dass sie jetzt ein ganz großes Rad drehen. Modifi basiert auf dem Geschäftsmodell Finanzkauf; nach dem Motto: „Kaufe jetzt, zahle später“ (Buy Now Pay Later). Doch zielt das 2018 gegründete Start-Up nicht auf Verbraucher (B2C), sondern auf kleine, mittelständische und junge Unternehmen (B2B), die ihre Produkte in alle Welt liefern wollen. Da heißt es dann nicht Finanzkauf, sondern Vorfinanzierung. Die digitale Plattform des Berliner Fintechs will ihnen den Welthandel. zugänglich machen. Kleinere, finanzschwächere Exporteure vor allem in Asien haben zwangsläufig schlechtere Karten gegenüber mächtigen Abnehmern aus den USA oder Westeuropa. Man kann es auch Demokratisierung im globalen Im- und Export nennen, was die drei Gründer auf den Weg gebracht haben.

                                             Nelson Holzner, CEO                        Fotos Modifi

„Kleinere Produzenten aus Schwellenländern sollen am internationalen Handel teilhaben und von den Chancen der globalen Wirtschaft profitieren können“, sagt Finanzexperte Nelson Holzner, Mitgründer und Vorstandschef (CEO) von Modifi. „Wir geben eine Hilfestellung, um die für sie hohen Hürden zu überwinden.“ Von Billpay hätten sie viel gelernt, sagt Holzner. Doch Modifi sei viel komplexer; allein schon, weil das Start-Up mit dem ersten Tag einen internationalen Auftritt haben muss. Eine Transaktionsplattform ist zwangsläufig in ein globales wie auch lokales Finanznetzwerk eingebunden. Risikoentscheidungen nehmen ganz andere Ausmaße an. Erreichten bei Billpay Kundenumsätze im Schnitt 100 Euro, umfasst der Warenkorb ein durchschnittiches Volumen von 60.000 Euro. „Das ist schon ein ganz schönes Biest, was wir da mit einer ziemlich komplexen Maschine aufgebaut haben“, lacht Holzner.

Die digitale Handelsfinanzierungsplattform nutzen derzeit rund 1600 Exporteure und Importeure aus Asien, dem Mittleren Osten, Nordamerika und aus Mexiko. Das „Buy-Now-Pay-Later“-Konzept ist im globalen Handel seit jeher Tagesgeschäft; lange schon vor Billpay. Importeure und Kunden verlangen bei Abschluss eines Deals vom Lieferanten Zahlungsziele. Rechnungen werden von den Importeuren erst nach Lieferung beglichen, müssen Lieferanten drei, sechs, mitunter neun oder gar zwölf Monate warten. Woher aber soll das Geld kommen, um die bestellten Waren zu produzieren? Da greift das Instrument der Vorfinanzierung. Die wird in der Regel gegen Vorlage des Kauf- beziehungsweise Liefervertrags über Hausbanken abgedeckt.

Kleine Lieferanten gegen übermächtige Einkäufer

Was aber, wenn die Lieferanten klein sind und übermächtigen Abnehmern etwa aus der Textilindustrie wie Hennes & Mauritz und Inditex oder Onlinehändlern wie Amazon gegenüberstehen, aber nur mit einer kleinen lokalen Bank eine Geschäftsbeziehung haben? Was wenn sie neu auf dem Markt sind und ohnehin noch mit der Etablierung zu kämpfen haben? Wie bekommen sie komplizierte Zahlungstransfers über Landesgrenzen und in unterschiedlichen Fakturierungen hin?

                                             Sven Brauer, COO

Es geht darum, die Liquidität eines Unternehmens mit vielleicht 10 oder 50 Millionen Dollar Jahresumsatz zu sichern, die an Amazon, TJ Maxx oder große Einzelhandelskonzerne wie WalMart in den USA liefern. Über eine Vorfinanzierung durch Modifi könne der Lieferant 80 bis 90 Prozent des Rechnungsbetrages vorher bezahlt bekommen, erklärt Holzner. Das Start-Up hole sich das Geld nach Auslaufen des Zahlungszieles vom Besteller und überweise - nach Abzug einer Provision - den Rest an den Exporteur. Eingeschlossen sei in der Regel der Ausfallschutz über eine Warenkreditversicherung;

Das alles ist im Grunde ein jahrzehntelanger eingefahrener Mechanismus im internationalen Warenverkehr, der über Modifi digital und automatisiert abläuft. Da werden nicht mehr Verträge oder Frachtbriefe zu Banken gebracht, um Konten zu eröffnen oder einen Lieferantenkredit abzuschließen. Besonders für kleinere Produzenten in Schwellenländern wie Bangladesh, Pakistan, Vietnam oder Kambodscha, aber selbst in China und Indien sei es nicht einfach, über eine lokale Bank eine solche Vorfinanzierung schnell und unkompliziert hinzubekommen. „Für große international agierende Banken sind diese kein Geschäft“, sagt Holzner. Die Klientel passe nicht zu ihnen.

„Es hakt gewaltig"

„Was die großen Exporteure ohne Probleme schaffen, lösen wir für die kleineren mit unserer Plattform.“ Bonitäten und Eignungen der Exporteure werden auf der Plattform während des Registrierungsprozesses automatisiert, aber auch von den Mitarbeitern geprüft. „Das sind viel aufwendigere Prozesse als die Video- oder Postident-Verfahren für Online-Kunden in Deutschland“, spielt Holzner auf den Vergleich mit Billpay an.

Man habe damals auf der Suche nach einem neuen Geschäftsmodell die Abläufe im internationalen Handel analysiert - und erkannt: „Da hakt es gewaltig, wenn es um Finanzierungsdienstleistungen und Abwicklung von Zahlungen in den Schwellenländern geht.“ Wär es nicht angebracht, wie bei Billpay ein System aufzusetzen, mit dem Lieferungen digital vorfinanziert, abgesichert sowie der Zahlungsverkehr abgewickelt werden kann, entwickelten die Gründer eine  neue "modifizierte" Geschäftsidee; daher der Name der neuen Firma.

                                             Jan Wehrs, CTO

Modifi will eine Lücke schließen, die zwischen den internationalen Bankkonzernen und lokalen Finanzinstituten klaffe, die solche Finanzierungen und Transaktionen nicht abdecken könnten oder wollten. Der Zeit- und Kostenaufwand für Bonitätsprüfung, für Registrierung und Zulassung kleinerer Unternehmen bei internationalen Kreditinstituten (Onboarding) sei enorm, wenn diese überhaupt offen für sie seien. Großbanken wollten möglichst hohe Kreditlinien von 50 Millionen Dollar oder mehr abschließen, damit sich Geschäfte überhaupt lohnten. Kleinere Unternehmen fallen da schnell durch den Rost. „Unsere Linien liegen im Durchschnitt bei 2 oder 3 Millionen Dollar“, steckt Holzner den Aktionsradius ab.

Die automatisierte Plattform mit ihren Standardprozessen kann kleinteiliges Geschäft abdecken. Modifi beackert ein bislang brachliegendes Feld, tritt jedoch nicht als Konkurrent zu großen Banken auf, sondern vielmehr als Partner. „Wir gehen dorthin, wo sich Großbanken schwertun." Modifi ermöglicht zudem einen besseren Zugang zu Kapital. Durch gebündelte, damit größere Volumen refinanziere man sich schneller, effektiver und kostengünstiger bei Banken, sichere sich zugleich vorteilhafter bei Kreditversicherern ab. „Wir stellen das in Ländern zur Verfügung, wo der Zugang zu solchen Diensten mühsamer, zeitraubender und teurer ist“, sagt Holzner. „Was wir in der westlichen Welt an Skaleneffekten und Vorteilen erzielen, bieten wir den Kunden in Schwellenländern an - das ist die Kraft unseres Modells.“

Handel mit Nordamerika und Westeuropa

Im Schnitt erteilt jeder der Kunden acht Aufträge im Monat; oft wiederkehrende, damit leicht automatisierbare Vorgänge, womit Kreditentscheidungen binnen Stunden getroffen werden können. Die Hälfte der abgedeckten Warenströme geht nach Nordamerika, rund ein Viertel nach Westeuropa, darunter nur 10 Prozent mit Deutschland-Bezug. Der Rest wird innerhalb Asiens abgewickelt. Zur Klientel gehören Unternehmen, die Home24, die spanische Textilgruppe Inditex, Hennes & Mauritz, Zalando, Walmart, Amazon, TJ Maxx, Jeans-Hersteller Wrangler oder Woolworth in den USA beliefern, in der Solarbranche zum Beispiel den deutschen Photovoltaik-Anbieter Enpal.

Ungefähr 40 Prozesse sind erforderlich, die eine Transaktion über die Plattform durchlaufen muss. Der Kunde lädt über sein digitales Konto bei Modifi oder einem Plattformpartner Unterlagen hoch, Lieferverträge, Lieferscheine, Frachtpapiere etc. Nebenher laufen alle erforderlichen Prüfungen, um notwendige Handels- und Zollregularien, Gesetze etwa gegen Geldwäsche oder Sanktionen einzuhalten.

Finanzierung, Zahlungsabwicklung, Tracking

Rund 80 bis 90 Prozent der eingehenden Verträge benötigten Finanzierungs- und Absicherungskomponenten. Neben Kreditfunktion und Ausfallschutz werden alle Zahlungstransaktionen zumeist fakturiert in US-Dollar und Euro abgedeckt. Darüber hinaus bietet die Plattform ein Tool, mit dem Warenströme über Trackingfunktionen verfolgt werden können. Immer wieder überrascht es Holzner, dass ein Kunde nur selten Durchblick darüber hat, wo sich seine Ware auf dem Transportweg gerade befindet.


               Wichtiger Kerninvestor und Türöffner: A.P. Moller-Maersk           Fotos Maersk

Eine Fülle von Informationen und Daten aus eigenen oder öffentlichen Datenbanken sind als Fundament erforderlich, um nationale Gesetze einzuhalten und Risikolagen einschätzen zu können. In Indien etwa würden Import- und Exporttransaktionen auf Orderebene der zurückliegenden fünf Jahre festgehalten, die sich nun im System von Modifi befänden. Damit könne man nachvollziehen, wer was wo einkauft und wohin verschiffe. Lieferhistorien aus zugekauften Handels- und Zolldaten werden für die Länder erstellt, in denen Kunden sitzen. Sie bilden einen beträchtlichen Anteil am Datenfundus, der später über Algorithmen ausgewertet wird. „Ein Riesen-Puzzle“, wie Holzner sagt.

Einige Monate habe Modifi im vergangenen Jahr schon mit Gewinnen gearbeitet. Ziel sei es, zum Ende des Geschäftsjahres 2023, also nach fünf Jahren, profitabel zu werden, sagt Holzner. Namhafte Investoren setzen auf das Fintech mit mehr als 100 Mitarbeitern. In zwei Finanzierungsrunden haben die Gründer 33,2 Millionen Euro eingesammelt. In der Serie B im Jahr 2021 waren es allein 20 Millionen Euro.

Reedereikonzern Maersk als Kerninvestor

Wie bei Billpay ist die Berliner Start-Up-Schmiede Rocket Internet bei Modifi dabei, ebenso Global Founders Capital von Oliver Samwer, einer der Samwer-Brüder, die einst Rocket Internet gegründet haben. Da kann dann auch Picus Capital nicht fehlen, die Alexander Samwer mit aufgebaut hat. Es fruchtet noch das Netzwerk aus Zeiten von Rocket Internet. Zu großen Geldgebern von Modifi gehören seit der zweiten Runde auch Heliad Equity Investors sowie Neva - der Venture-Capital-Arm der italienischen Großbank Intesa San Paolo.

Ein Kerninvestor ist Maersk Growth von der dänischen A.P. Moller-Maersk, der zweitgrößten Reederei der Welt. Die Rolle von Maersk geht angesichts der Expertise eines globalen Logistikkonzerns weit über die als Geldgeber hinaus, ist sie doch auch Know-How-Geber und Türöffner in wichtige Märkte dieser Welt.

Die Gründer haben ihre Erfahrungen mit Billpay und das damals gebildete Netzwerk zum Aufbau von Modifi genutzt. Jurist Nelson Holzner, 51, ist in der Finanzbranche bewandert, gilt als Experte in Sachen Finanzierungen. Zunächst hat er bei der Private-Equity-Gesellschaft Cerberus gearbeitet, bevor er 2009 Billpay gründete. Informatiker Jan Wehrs, 42, machte wie Sven Brauer, 37, von Anbeginn mit. Wehrs kam von Rocket Internet, wo er als Software-Ingenieur tätig war, somit auch einen wesentlichen Beitrag als Chief Technology Officer zum Aufbau der Technologieplattform bei Billpay, nun bei Modifi geleistet hat. Volkswirt Brauer hat das operative Geschäft von Billpay mit aufgebaut, wie jetzt das des neuen Projektes.

Schon nach fünf Jahren, 2013, verkauften sie Billpay-Anteile an den britischen Sofortkredit-Anbieter Wonga, blieben als Management-Team aber an Bord. 2017, ein Jahr vor dem Aus der angeschlagenen Wonga, übernahm der Online-Zahlungsdienstleister Klarna den deutschen Konkurrenten. Während Wehrs und Brauer unter den Schweden noch ein Jahr arbeiteten, schied Holzner mit dem Eigentümerwechsel aus. Für ihr neues Projekt fand sich „das eingespielte Team aus dem Zahlungsverkehr“ (Holzner) wieder zusammen.

Integration von Handelsplattformen

Obwohl Welten zwischen Billpay und Modifi liegen, irgendwie bekommen die drei ihr Vorbild, das sie 2009 gegründet hatten, nicht aus dem Kopf. „Eine Plattform muss kommen, mit der der globale Handel digital abgedeckt werden kann“, träumt Holzner. Da liege man weit hinter dem, was im privaten Online-Handel bereits mit dem One-Click-Shop schon funktioniere: suchen, bestellen, bezahlen mit wenigen Klicks. „Es gibt heute schon viele Digitalisierungsprojekte im globalen Handel, die verbunden werden könnten, um einheitliche Pfade in Bestellungen und Zahlungsabwicklungen bauen zu können.“ Die Herausforderung werde daher sein: die Integration der verschiedene Plattformen.

Erste Schritte dorthin versucht Moidifi gerade in China. Dort würde man testen, wie verschiedene Plattformen verbunden werden können. Funktioniert das, soll daraus einmal ein Standard entstehen. Das kann noch Jahre dauern, könnte dann jedoch in anderen betriebenen Plattformen installiert werden, stellt sich Holzner offenbar ein Abo-Modell à la SaaS (Software as a Service) vor.

Zunächst aber hat die Expansion in weitere Regionen Priorität. „Wir kratzen überall noch an der Oberfläche“, sagt Nelson Holzner. „Wir müssen tiefer in die Länder rein.“ Neue Regionen sollen hinzukommen. Mit dem gerade erfolgten Einstieg in Mexiko klopft Modifi schon mal an die Tür von Lateinamerika.

https://www.modifi.com/de

Kommentare
* Die E-Mail-Adresse wird nicht auf der Website veröffentlicht.