Benjamin Günther, Anselm Bauer-Wohlleb und Sebastian Schuon nehmen sich mit einer Finanzmanagement-Software für Bau- und Immobilienprojekte die Digitalisierung in einer verkrusteten, kleinteiligen Branche vor, in der es noch sehr analog zugeht. Die Gründer von Alasco haben mit der Modesuchmaschine Stylight bereits ein äußerst erfolgreiches Start-Up geschaffen und es einträglich an ProSiebenSat1 verkauft. Das Trio ist Inbegriff einer eng vernetzten Münchner Hochschul-Landschaft und Gründerszene. Ganz nach dem Motto: Start-Upper unterstützen Start-Upper. Das Team hat die Personalplattform Personio von Anbeginn gefördert - eines der erfolgreichsten Neugründungen in Deutschland. Dessen Mit-Gründer und Vorstandschef ist im Gegenzug als Investor bei Alasco eingestiegen, wie auch die Schöpfer von Flixbus.
28. Dezember 2021 - Von Rüdiger Köhn, München
Benjamin Günther lacht. „Hauptkonkurrent für uns ist Excel - und vielleicht auch noch die E-Mail“, antwortet einer der Gründer von Alasco auf die Frage nach dem Wettbewerb. Da würden Bauprojekte über 400 oder 500 Millionen Euro per Excel-Tabellen kontrolliert und Rechnungen beglichen. „Und am Ende kommt ein Stempel drauf.“ Da kann es allerdings schon mal passieren, dass Zellen in der Tabelle übersehen oder gar überschrieben werden.
Willkommen in einer Welt, in der Digitalisierung ein Fremdwort ist. Die verkrustete Baubranche, die mehr zur Wirtschaftskraft beisteuert als die Automobilindustrie, ist wohl eine der wenigen, die das Denken in Eins und Null erst noch entwickeln muss. Da mag es kaum überraschen, dass es das eine oder andere Mal zu Kostenexplosionen und Verzögerungen kommt, wie man an BER, Elbphilharmonie, Stuttgart 21 oder am Bau der zweiten Stammstrecke in München sieht.
Benjamin Günther, Sebastian Schuon, Anselm Bauer-Wohlleb (v.l) Fotos Alasco
„Den ersten Mehrwert den wir liefern, ist den Kunden einen Überblick im Projekt zu verschaffen, wo sie kostenmäßig tatsächlich stehen“, sagt Günther, 38 Jahre. „Dann erkennen sie, was noch fehlt.“ Zusammen mit Anselm Bauer-Wohlleb und Sebastian Schuon, beide 37 Jahre, hat er 2018 das PropTech-Unternehmen gegründet. Sie haben sich während des Studiums Mitte des vergangenen Jahrzehnts an der TU München und an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) kennengelernt - und sich seitdem nicht mehr aus den Augen verloren. Ihr erstes Projekt gründeten sie 2008 mit der Mode-Plattform Stylight, die sie 2016 äußerst gewinnbringend an den Medienkonzern ProSiebenSat1 verkauften. So schufen sie die finanzielle Basis für Investitionen in Immobilien sowie in Start-Ups - und für ihr neues Lieblingskind: Alasco.
Die digitale Finanzmanagement-Plattform für Bau- und Immobilienprojekte ist für ein Mehrfamilienhaus im Millionenvolumen ebenso nutzbar wie für Bauvorhaben in Milliardenhöhe. Die intuitive Controlling-Software auf Basis von Software-as-a-Service (SaaS) bringt Ordnung in schier unüberschaubare Finanzströme, in die Projektentwickler, Asset Manager, Bauplaner, Projektbetreiber, Bauleiter, Architekten und Heerscharen von kleinen Handwerksbetrieben wie auch Material-Lieferanten involviert sind. So werden Prozesse um das Bezahlen transparent und effizienter für Bauherren, was wiederum zu beschleunigten Bezahlvorgängen führt.
Jetzt mal richtig: Günther, Bauer-Wohlleb, Schuon
Es kommt Dynamik in ein Metier, dass durch Beton und Ziegelsteine geprägt ist. „Eine Rechnung geht in der Regel durch fünf oder noch viel mehr Hände“, sagt Günther. Von Rechnungseingang bis zum Bezahlen vergingen meist zwei, drei oder noch mehr Monate. „Unsere Plattform schafft das in fünf oder zehn Tagen.“ Sicherlich gilt für viele Bauunternehmen noch das Prinzip, Rechnungen so spät wie möglich zu begleichen. Ob sich aber ein Cash-Management à la Laissez-Faire in heutigen Zeiten mit Engpässen bei Material und qualifizierten Personal durchhalten lässt, bleibt fraglich. „In der aktuellen Situation der Knappheiten kann man mit der Software schneller reagieren und zügig bezahlen“, deutet Günther auf einen Vorteil. Wer nämlich pünktlich und schnell bezahlt, rückt in der Priortätenskala der Gewerke und Lieferanten nach oben und wird bevorzugt behandelt. Ein Wettbewerbsvorteil entsteht.
Mehr als 800 Immobilienprojekte werden derzeit über das PropTech betreut, sind bei einem Bauvolumen von 22 Milliarden Euro bislang schätzungsweise 6 Milliarden Euro an Rechnungen durch die Systeme gelaufen. Der nach Günthers Angaben drittgrößte Projektentwickler der Welt - Hines aus den USA - ist Kunde und entwickelt unter anderem den Münchner Tucherpark am Englischen Garten. Per Alasco-SaaS kontrolliert das Immobilienunternehmen Garbe das bisher höchste in Planung befindliche Holzhochhaus in der Hamburger Hafencity; 65 Meter hoch, 18 Etagen. Taurecon errichtet in sechs Bauabschnitten um den Berliner Hauptbahnhof ein riesiges Quartier. Die Münchner Opes aus dem Imperium des vor einem Jahr verstorbenen Heinz Hermann Thiele erschließt ein riesiges Areal rund um das Werksgelände von Knorr-Bremse - und rechnet via Alasco ab.
„Jedes Bauprojekt ist verschieden, die Finanzströme aber sind immer die gleichen“, sagt Günther. Daher sind derartige wiederholende Prozesse standardisierbar. Mit dem Sammeln gewaltiger Datenmengen ergeben sich Bemessungsgrundlagen für wichtige Leistungsfaktoren, die Entscheidungen erleichtern oder gar erst ermöglichen. „Mit uns lässt sich genau ermitteln, was ein Bauprojekt pro Quadratmeter ab Tiefgarage gekostet hat.“
PropTech steht für Property Technology. Digitalisierung in der Immobilienbranche ist ein neuer Trend. Für Gründer Günther wird dieser deutlich Aufwind bekommen. Bauen erlebe unverändert einen Boom. „Aber wir stehen am Ende eines langen Hypes.“ Verkaufspreise würden nicht mehr in astronomische Höhe steigen. Kostenkontrolle werde immer mehr zu einem Erfolgsfaktor. Die Zeiten gingen zu Ende, in dem hohe Preissteigerungen Unzulänglichkeiten im Kostenmanagement überdeckten. „Strikte Effizienz wird wichtig.“
Mit Nachhaltigkeit (ESG - Environmental, Social, Governance) kommt nun ein wichtiger Treiber hinzu. „ESG ist ein Beschleuniger in der Digitalisierung der Branche“, sagt Günther. Es komme zur größten Disruption in der Branche seit Jahrzehnten. Ein neuer elementarer Faktor müsse von nun an berücksichtigt werden, nämlich der CO2-Verbrauch je Quadratmeter. Am Ende werde der Erfolg einer Investition in einer verbesserten CO2-Bilanz in Euro gemessen. Da aber stehe man erst am Anfang. Bepreisen lasse sich das noch nicht. Die Daten fehlen.
Ein erstes Produkt dafür hat Alasco nun gestartet, um Informationen in Hülle und Fülle im Zusammenhang mit CO2 zu sammeln. Im zweiten Schritt folgt das Reporting, mit dem erfasste Kosten und Investitionen analysiert werden können. Auch Vergleiche mit Wettbewerbern werden so möglich. Es geht darum, Wechselwirkungen zu erfassen und Schlussfolgerungen zu ziehen: Was bringt eine Photovoltaik-Anlage tatsächlich, wie können Wärmedämmungen und Energieeffizienz verbessert werden? Daraus ließen sich Erfolgskennzahlen einer Investitionen ableiten.
Bis Ende 2022 hofft Günther auf eine derart umfangreiche Datenbasis, dass Nutzer einen Komplett-Überblick erhalten. Doch es kann dauern, bis der „Kreislauf zwischen Finanzprozessen und ESG-Prozessen“ geschlossen ist. Erfahrungen hat das Start-Up in den dreieinhalb Jahren seines Bestehens allrdings bereits reichlich gesammelt. Aus der reinen Finanzcontrolling-Plattform ist mittlerweile ein Reporting-System erwachsen, indem mit den vorhandenen strukturierten und analysierten Daten auf die Erlösseite abgestellt werden kann.
Damit kommt Künstliche Intelligenz ins Spiel. Es werden nicht nur die Kosten eines Projektes und die finanzielle Abwicklung effizienter bewältigt, auch Miet- oder Verkaufspreise können daraus abgeleitet werden. So wird es auch mit dem ESG-Modell geschehen. Dass sich der Prozess hinziehen kann, ist angesichts der Langfristigkeit von Bauprojekten über drei bis zehn Jahren klar. Erst dann ist der komplette Zyklus eines Vorhabens abgeschlossen, der notwendige Datensatz vollständig. Technisch-intellektuell sei eine Vorgehensweise mit KI heute machbar. „Aber es fehlen eben die Daten.“
Daher wächst das Unternehmen rasant. Die Belegschaft von 100 Angestellten soll im neuen Jahr auf mindestens 220 Mitarbeiter steigen. „Mit ESG gelangen wir in eine neue Dimension.“ Zugleich nähern sich Günther, Bauer-Wohlleb und Schuon ihrem eigentlichen Ziel, nämlich eine B2B-Plattform mit Künstlicher Intelligenz zu schaffen. „KI ist genau unser Thema in der Phase des Erwachsenwerdens unseres Grown-Ups“, schmunzelt Günther. Mit Hilfe von KI werde man Problem für Problem lösen.
Netzwerken im Forschungs- und Lehrinstitut CDTM
„Kein Kommentar“, wird der sonst so Gesprächige plötzlich schmallippig, befragt nach einer anstehenden Finanzierungsrunde. Eigentlich ein deutliches Indiz dafür, dass eine neue Aktion vorbereitet wird. Insgesamt 15 Millionen Euro hat Alasco bislang eingesammelt. Zu den Geldgebern gehören Global Founters Capital (GFC), Anyon, Picus Capital von Alexander Samwer, HV Holtzbrinck Ventures - und eben die Gründer von Flixbus wie auch der Gründer und Vorstandschef von Personio, Hanno Renner.
„BWLer und Techies, damit hatten wir alles, was ein Gründerteam braucht“, lautet das Erfolgsrezept, „Basti“ Schuon, der an der TUM zwischen 2004 und 2009 Elektroingenieur-Wesen studierte, entwickelte früh ein Faible für KI, belegte an der Stanford University im Silicon Valley den ersten KI-Kurs und machte dort einen Abschluss in Computer Science. Anselm Bauer-Wohlleb absolvierte in derselben Zeit an der LMU das Fach Media Informatics. Günther fing 2003 an und schloss an der LMU als Diplom-Kaufmann ab. 2006 liefen sich die drei im Center for Digital and Technology Management (CDTM) über den Weg; einem von TUM und LMU gemeinsam betriebenen Forschungs- und Lehrinstitut. Dort machten sie zwischen 2006 und 2008 im selben Jahrgang nebenher eine Zusatzausbildung zum Technology Manager.
In dieser Zeit wuchs das Trio zusammen. Während Schuon mehr als zwei Jahre zwischen 2007 und 2008 in Stanford paukte, zog es die beiden anderen 2008 für ein Jahr an die benachbarte University of California in Berkeley bei San Francisco. Der Studienausflug in die USA - „das Highlight“ (Günther) - erfolgte über Bewerbungen bei der CDTM. Nach ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten - da hatten sie noch gar nicht hren Studienabschluss in der Tasche - gründeten sie im November 2008 die Modesuchmaschine Stylight. Die Idee dafür reifte schon im Silicon Valley.
Drei Nerds und Mode, wie passt das zusammen? Günther lacht. Zu jener Zeit waren Suchmaschinen für Mode und Textil-Onlinehandel groß im Kommen. „Das haben wir als eine technische Herausforderung betrachtet, mit Mode hatte das Interesse nichts zu tun“, grinst er. Über ein CDTM-Projekt sind sie darauf gestoßen. Sie erkannten, dass Mode im Internethandel ein Problem hat. Preisvergleiche, damals in vielen Branchen Standard, waren nicht möglich. Ein schwarzer Rundhals-Pullover habe nun einmal keine klare Artikelbezeichnung wie eine Waschmaschine oder ein Elektrogerät. Die Produkte seien von Anbieter zu Anbieter zu unterschiedlich und zu vielfältig. Eine Standardisierung von Daten als Grundlage für Preisvergleiche schien in der Mode nicht möglich. Bilderkennung, dachte sich Schuon damals, könne helfen. KI ist der Ansatz, um Daten aus Texten und Bildern zu extrahieren, womit eine Vergleichsbasis geschaffen wird.
Es entstand eine Katalogplattform für Damen- und Herrenmode, auf der die Produkte von hunderten Onlineshops angezeigt werden konnten und für Konsumenten die Transparenz deutlich erhöhte. Stylight wurde zum Erfolg, und das in 15 Ländern. Im Juli 2016 verkauften die Gründer und die Investoren die restlichen 78 Prozent des Start-Ups an die TV-Sendergruppe ProSiebenSat1, die 2012 mit 22 Prozent eingestiegen war. Zum Zeitpunkt des Ausstiegs wurde ein Unternehmenswert auf 80 Millionen Euro geschätzt. Die Basis für neue Engagements war geschaffen.
Das Geld steckten sie unter anderem in Immobilien; ein Engagement, das später zur Gründung von Alasco beigetragen hatte. Und sie investierten in Start-Ups, die sich auf B2B-Software spezialisiert haben. Das erste Investment floss in ein Projekt in der Seed-Phase, das sich die Digitalisierung im Personalwesen (HR - Human Resources) von Unternehmen vorgenommen hat. Günther, Bauer-Wohlleb und Schuon gehörten 2016 zu den ersten Investoren von Personio - heute eines der erfolgreichsten Start-Ups in Deutschland und längst zum Unicorn aufgestiegen. Das sind junge Firmen, die mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet werden. Die drei traten in den Aufsichtsrat (Board) des von Vorstandschef Hanno Renner mit drei Partnern 2015 gegründeten Start-Ups ein.
Personio-Gründer und Vorstandschef Hanno Renner
Ihr Engagement kam nicht aus heiterem Himmel. Denn das Alasco-Trio und das Personio-Quartett - ebenso TUM-ler und LMU-ler - kannten sich zu jenem Zeitpunkt schon länger. Wieder war CDTM die Kontaktbörse, wo die „Älteren“ (Günther) als Absolventen und erfolgreiche Unternehmer oftmals auftraten, Vorträge hielten und Kontakte pflegten. Sie haben die vier „bisschen Jüngeren“ dort getroffen, die ebenso - sechs Jahre nach ihnen - den Zusatzabschluss im Digital- und Technologie-Management machten. CDTM bilde für viele eine Klammer, sagt Günther. „Wir sind dort eng mit einander verbandelt.“
Mit der wachsenden Aufgabe um den Aufbau von Alasco gingen die Drei aus dem Personio-Board, bleiben aber investiert. Hanno Renner, der erfolgreiche Personio-Chef, ist nun im Gegenzug bei Alasco eingestiegen. Die Finanzcontrolling-Plattform gehörte im übrigen zu den ersten Kunden von Personio. Auch die Gründer von Flixbus haben sich beteiligt; ein vor zehn Jahren geborenes Start-Up, das zum Aushängeschild der Münchner Gründerszene geworden ist.
Die Flixbus-Gründer
Die Verbindungen in der Münchner Community sind eng. Günther verfällt ins Grundsätzliche. Es wachse eine neue Gründer-Generation heran. Er klingt fast so, als wäre er selbst Unternehmer aus dem letzten Jahrhundert. „Wir gehörten zum ersten großen Schwung im neuen Unternehmertum, das wir sicherlich mit geprägt haben.“ Ein Mentalitätswandel junger Menschen und Studierenden ist eingetreten. Für die Drei hat es schon während ihres USA-Aufenthaltes, also vor 14 Jahren, Klick gemacht: Warum geben Studierende in den Vereinigten Staaten mehr als 100.000 Dollar für eine Ausbildung aus, um nach dem Abschluss statt hochdotierte Jobs anzunehmen eigene Ideen in Start-Ups umzusetzen?
Zu jenem Zeitpunkt, sagt Günther, wäre das Thema in Deutschland noch stiefmütterlich behandelt worden. „Man wurde komisch beäugt, wenn ein Absolvent ein Unternehmen aufbauen wollte.“ Da musste Kommillitonen erklärt werden, warum man ein Start-Up gründet. Die hätten sich Gedanken gemacht, eine gute Ausbildung „in die Tonne“ zu werfen statt Beraterposten bei McKinsey, Boston Consulting Group oder Bain anzunehmen. Damals wars. „Heute schauen immer mehr auf Sequoia Capital, Picus Capital oder Earlybird, um eine Seed-Finanzierung zu bekommen.“