Seit dreieinhalb Jahren entwickelt eine Studenteninitiative der TU München eine Rettungsdrohne. Mittlerweile mehr als 80 Studentinnen und Studenten verschiedenster Fakultäten arbeiten an einem senkrechtstartenden Elektroflieger zum Transport eines Defibrillators. Selbst Rückschläge bringen sie nicht davon ab, weiter zu machen. Im Gegenteil: „Build faster, Fail early“, lautet das Motto. „Kolibri“ heißt ihr neues Projekt, eine autonom fliegende Drohne. Horyzn betrachtet sich als „Non-Profit-Organisation“, die einen positiven Einfluss erzielen will. Das ist auch der Grund, warum sich in Afrika eine Zusammenarbeit mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef anbahnt.
17. Mai 2023 - Von Rüdiger Köhn, München
„Kolibri“ passt doch besser zur „Mission Pulse“, die sich die Forschungsinitiative Horyzn der Technischen Universität München (TUM) auf die Fahnen geschrieben hat und sich im Oktober 2019 gründete. Sie will eine Drohne für lebensrettende Aufgaben entwickeln, die möglichst schnell auf direktem Luftweg einen Defibrillator zu einem Patienten mit Herzproblemen transportiert. Bis dato wurden die meisten der bisher 25 entwickelten Prototypen „Frankenstein“ genannt. Das war dem Zeitpunkt des Entstehens von Horyzn geschuldet, als Balazs Nagy und eine damals noch kleine Gruppe Studierender vor dreieinhalb Jahren der Bau des ersten Modells gelungen ist. Es war schließlich Halloween.
Der neue Name ist eine Zäsur. Denn das immer größer gewordene Team von inzwischen mehr als 80 Studierenden von rund zehn Fakultäten aus mehr als 30 Ländern nimmt sich nun vor, eine autonom fliegende Drohne zu entwickeln. Zunächst hatte es sich darauf konzentriert, ein senkrechtstartendes Flugobjekt - genannt eVTOL (electric Vertical Take-off and Landing) - zu bauen, das in fünf Minuten in einem Umkreis von 6 Kilometern zu einem Einsatzort fliegen und schwebend einen halben Kilogramm schweren Defibrillator zu einem Herzerkrankten herablassen kann; gesteuert von einem Piloten aus der Ferne. Das handelsübliche Gerät ist von Laien zu bedienen und soll helfen, bevor der Rettungswagen eintrifft, dessen Anfahrt vom Notruf bis zum Eintreffen im Schnitt neun Minuten dauert. (Siehe auch „Horyzn: Take off für Mission Pulse" vom 13. Dezember 2021, https://app.site123.com/blog/horyzn-take-off-f%C3%BCr-mission-pulse?w=4358018)
Balazs Nagy Foto Rüdiger Köhn
Elektronik, Steuerungen, Mechanik, Einsatz von leichten Materialien haben bislang im Mittelpunkt des Baus des Flugobjektes mit acht Vertikalrotoren und zwei Propellern für den Reiseflug gestanden. „Wir richten das Augenmerk nun verstärkt auf die Software und versuchen, Hardware wie technische Anforderungen effizienter zu machen beziehungsweise zu vereinfachen“, sagt Balazs Nagy, Initiator von Horyzn und Projektleiter. Er ist einer der unermütlichen Treiber von „Mission Pulse“, wird nun aber nach dem Abschluss seines Studiums der Luft- und Raumfahrt in die Start-Up-Welt eintauchen - ohne etwas Konkretes zu nennen.
Irina Munteau, Studentin der Computerwissenschaft und seit zwei Jahren dabei, leitet ein von ihr im März aufgebautes Software-Team. Es geht um Routenführung oder um die Vernetzung von Sensoren und Scannern, um zum Beispiel geeignete Landeplätze oder Lufträume zu finden, von wo der Defib herabgelassen werden kann. Das sei eine „sehr ehrgeizige Aufgabe“, weiß Munteau um die Herausforderung. Simulationen sollen die Weiterentwicklung vereinfachen, beschleunigen und sicherer machen. Erst im vergangenen November stürzte ein Prototyp ab. Was die TUMler nicht daran hinderte, weiterzumachen und sich seitdem mit dem trotzigen Slogan anstachelt: „Build faster, Fail early“ - schneller bauen und - wenn nicht vermeidbar- möglichst früh Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Noch in diesem Jahr, formuliert Balazs Nagy das Ziel, soll der neue Mission-Pulse-Prototyp „Kolibri“ stehen, auch wenn die Technik des autonomen Fliegens noch nicht ausgereift sein dürfte.
Irina Munteau Foto Rüdiger Köhn
So wollen die Tüftler da Tempo machen, worauf sie Einfluss haben - wenn schon nicht auf langwierige, komplizierte Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren. Die gesetzlichen Regularien erschweren ihnen die Arbeit, kommt es immer wieder zu Verzögerungen. „Es würde doch schon für uns eine große Hilfe sein, wenn es vereinfachte Verfahren für das Testen von Entwicklungen gäbe“, sagt Nagy. Heute müssten Start-Ups oder Forschungsteams wie Horyzn schon zu Beginn lange Zulassungsprozesse durchleben, um in Tests eine Drohne außerhalb der Sichtweite fliegen zu lassen. „Da wird kein Unterschied gemacht zwischen einem einfachen Testgebiet und dem realen Einsatz im Alltag.“ Horyzn habe das Glück, seine Frankenstein-Prototypen - nun auch Kolibri - auf dem Uni-Areal in München-Garching fliegen zu lassen. Doch es habe schließlich Gründe, warum das Start-Up Lilium seinen autonom betriebenen Elektro-Flieger in Spanien erprobt.
„Es sollte möglich sein, dass man in Deutschland in einem vereinfachten Verfahren und ohne große Hürden testen darf; wir haben nun einmal nicht die Möglichkeiten eines Konzerns wie Airbus.“ So hat es Nagy auch klipp und klar Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) gesagt, der gerade Horyzn in Garching besuchte. Er habe zugesagt, den Prozess vereinfachen zu wollen. Es gebe bereits Kontakte mit dem Ministerium, die Zulassungen für Tests zu beschleunigen. „Das muss der erste Schritt sein“, fordert Nagy.
Der Ungar ist ein Beispiel für das Engagement von Studenten, die anhand konkreter Projekte für ihre wissenschaftliche Ausbildung Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Die Dynamik solcher Forschungsinitiativen bringt es mit sich, dass nicht nur immer mehr Studierende mitmachen wollen, sondern auch ein ständiger Generationenwechsel stattfindet; so wie nun Nagy ausscheidet und berufliche Ambitionen verfolgt, für die solche Projektarbeiten hilfreich sind. Die TU München hat bereits viele solcher Projekte hervorgebracht - wie TUM Hyperloop und TUM Boring. Beide haben sich um die Projekte des Tesla-Gründers Elon Musk eines Tunnel-Transportsystem mit Überschallgeschwindigkeit gebildet. (Siehe: „Mit Überschallgeschwindigkeit durch die Röhre“ vom 4. Oktober 2019, https://www.passion4tech.de/blog/mit-Überschallgeschwindigkeit-durch-die-röhre )
Minister Wissing (Mitte neben Balazs Nagy) beim Demonstrationsflug Foto Horyzn
TUM Hyperloop hat mit seiner Kapsel in von Musk ausgetragenen mehreren internationalen Wettbewerben stets gewonnen und Wettbewerber aus aller Welt deklassiert. Deshalb hat sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der Erfolgsstory angenommen und das studentische Projekt - heute Next Prototype genannt - sogar zu einem Bestandteil seiner Luft-und -Raumfahrtinitiative Bavaria One gemacht. Auch TUM Boring gehört dazu. Dessen Team hat eine Tunnelbohrmaschine gebaut und damit erst vor wenigen Wochen zum zweiten Mal in Folge den ersten Platz eines anderen Wettbewerbs von Musk geholt. Dessen Ziel ist, Technologie zu fördern, die in der Lage ist, schnell Tunnelröhren zu bohren. (Siehe: TUM Boring. Rien ne va plus in Las Vegas vom 25. Jui 2021; https://www.passion4tech.de/blog/tum-boring-rien-ne-va-plus-in-las-vegas )
Projekte wie diese, besonders wenn sie Lorbeeren einsammeln, können teilnehmenden Team-Mitgliedern Vorteile bringen, nicht nur für die praxisnahe Ausbildung. Da fällt auch einmal ein sechsmonatiges Praktikum bei Tesla im Silicon Valley ab, wenn solche Engagements in Lebensläufen hervorstechen. Horyzn ist unter den Forschungsinitiativen mit dem konkreten Einsatz vielleicht am weitesten fortgeschritten und vor allem alltagstauglich. Mit Unterstützung namhafter Sponsoren wie Volkswagen, dem Sensoren- und Radartechnikhersteller Hensoldt, Lilium, Drohnenbauer Quantum Systems, Infineon oder Airbus sowie in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) könnte „Kolibri“ vielleicht in zwei oder drei Jahren in der realen Umgebung zum Einsatz kommen.
Es geht dem Team nicht um kommerzielle Motive. Neben inspirierender Forschungsarbeit am „lebenden“ Objekt spielen auch Ideale eine Rolle, einen positiven Einfluss auf gesellschaftlich relevante Angelegenheiten zu haben. Balazs Nagy wird nicht müde, von „Impact“ zu reden. Er spricht über Horyzn als „Non-Profit-Organisation“ - ein nicht-gewinnorientiertes Projekt. Ein neuer Akzent, der konkrete Formen annimmt. Man spricht mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef und steht womöglich vor einer Zusammenarbeit in Afrika - womit sich der Horizont von der bayerischen Landeshauptstadt auf das afrikanische Malawi erweitert.
Besuch in Garching: Minister Wissing und Nagy sowie Lilium-Gründer Daniel Wiegand (lks) Foto Horyzn
Auf einem Kongress hat Nagy den Kontakt zu Unicef geknüpft. Die hat vor drei Jahren zusammen mit der Universität Virginia Tech aus Blacksburg im US-Bundestaat Virginia die African Drone & Data Academy (ADDA) mit Sitz in Malawi gegründet. ADDA hat das Ziel, mit Drohnen und Einsatz künstlicher Intelligenz Technologien zu verfolgen, um die Entwicklung sowie innovativen Fähigkeiten der Bevölkerung in der Region und in benachbarten Ländern zu fördern wie auch die Infrastruktur - etwa in der medizinischen Versorgung - zu verbessern.
Für Nagy ist das ein ideales Projekt, um die Initiative der Münchner in ein internationales Netzwerk hineinzutragen, weiter zu entwickeln und Wissen in Entwicklungsländer zu transferieren. Es könne die Qualifikation in solchen Ländern fördern, wo Drohnen-Technologie sinnvoll einzusetzen sei. Unternehmen etwa aus Europa, die in afrikanischen Ländern Geschäfte machten, fertigten am Ende ja nicht dort, sondern in der Heimat. „Unser Ziel ist genau das nicht!“, sagt Nagy. „Wir wollen einen Impact haben, der Menschen hilft, ohne dass wir davon persönlich profitieren.“ Am Ende solle ein solches Produkt auch dort gefertigt werden.
Bild mit Minister: das Horyzn-Team Foto Horyzn
Für Balazs Nagy würde ein Stück seiner Mission in Erfüllung gehen: „Wir entwickeln etwas von Null, haben am Ende einen Prototypen, der an die Anforderungen vor Ort angepasst und für weitere Anwendungen eingesetzt werden kann.“ Für den scheidenden Gründer von Horyzn würde dessen Idee und Initiative durch eine Kooperation dieser Art weiterleben - und nicht in einer kommerziellen Geschäftswelt untergehen. „Es wäre doch super, wenn eine Drohne noch in zehn Jahren am Himmel fliegt, die wir einmal entwickelt haben.“
Foto Rüdiger Köhn