In eineinhalb Jahren haben Studenten der TU München nicht nur ein neues Drohnenkonzept entwickelt, sondern auch ein konkretes Projekt zum Bau einer Rettungsdrohne für den Transport eines Defibrillators umgesetzt. Mittwoch war der Roll-Out. Der Zeitplan bleibt straff: Der zweite Prototyp mit dem Namen "Frankenstein 2" wird in den nächsten Monaten in Angriff genommen, im Herbst 2022 hofft man auf Zertifizierung und damit auf die Betriebsgenehmigung. Das wäre der Durchbruch.
13. Dezember 2021
Neun Monate und 1200 Liter Kaffee später haben die fast 60 Studenten der Forschungsinitiative Horyzn von der Technischen Universität München (TUM) einen entscheidenden Etappensieg erzielt: "Mission Pulse" fliegt, schwebt und lässt einen orangefarbenen Kasten mit einem Defibrillator zu Boden. Alles ist wie nach Plan gelaufen. Im April kündigten die TUMler von acht Fakultäten aus mehr als 30 Ländern ihre Mission an, eine Rettungsdrohne zu entwickeln und diese im Dezember vorzustellen.
Offizieller Erstflug Fotos Rüdiger Köhn
Mittwoch war der Rollout mit einer Flugvorführung, wenn auch in einem von Netzen abgeschirmten Bereich in der großen Vorhalle des Industriedienstleisters IABG in Ottobrunn bei München. Trotz der durch die Pandemie verursachten erheblichen Einschränkungen ist es gelungen, den gesteckten Zeitplan einzuhalten und den Prototypen „Frankenstein 1“ vorzustellen; virtuell konzipiert, in kleinen Gruppen in Werkstätten der TUM in Garching zusammengebaut - gedopt durch beachtlichen Kaffeekonsum. Der dürfte hoch bleiben, denn eine Pause gönnt sich die Studenteninitiative nicht. Schon bald beginnt die Entwicklung von „Frankenstein 2“. Neben Studium, Seminararbeiten und Prüfungen beginnen die Tüftler schon in wenigen Monaten mit dem neuen Prototypen, der für den täglichen Rettungseinsatz geeignet sein soll.
Der Zeitplan ist straff. Wie Projektleiter und Initiator Balázs Nagy, Student der Luft- und Raumfahrttechnik, ankündigte, wird die Weiterentwicklung in enger Zusammenarbeit auch mit Medizinern erfolgen und parallel im April der Prozess für die Zertifizierung der Drohne beginnen. Eine Betriebsgenehmigung erhofft er sich möglichst im nächsten Herbst. Das wird eine Herausforderung, denn die Zulassungshürden für ein autonom fliegendes Gerät sind sehr hoch. Es seien sehr viele Sicherheitsvorgaben zu berücksichtigen, sagt Nagy.
Balázs Nagy (vorne) und Batuhan Yumurtaci
Im Frühjahr dieses Jahres fiel die Entscheidung, eine Drohne zu entwickeln, die lebensrettende Aufgaben übernimmt (siehe "Horyzn entwickelt die Defibrillator-Drohne" vom 15. April, https://www.passion4tech.de/blog/horyzn-volkswagen-wird-zum-partner). Ein senkrechtstartendes Flugobjekt - genannt eVTOL (electric Vertical Take-off and Landing) - soll in fünf Minuten in einem Umkreis von 6 Kilometern zu einem Einsatzort fliegen und schwebend einen halben Kilogramm schweren Defibrillator zu einem Herzerkrankten herablassen. Gesteuert wird das unbemannte Vehikel von einem Piloten aus der Ferne. Der handelsübliche Defibrillator ist von Laien zu bedienen und soll helfen, bevor Sanitäter mit einem Rettungswagen eintreffen. Dessen Anfahrt dauert vom Notruf bis zum Eintreffen im Schnitt neun Minuten.
Wieder gelandet, der Defib im Vordergrund
Horyzn soll schneller und in vier bis fünf Minuten vor Ort sein, weil die Drohne dichten Autoverkehr und Stau überfliegen kann. „Mit jeder Minute sinkt die Überlebenschance um zehn Prozent“, sagte Johannes Kerner, Leiter eines der zahlreichen Projektteams. Im Jahr würden rund 75.000 Menschen an Herzinfarkt sterben. Die Studenten wurden durch ihr erfolgreiches, erstes Projekt im Herbst 2019 angespornt, als sie mit „Silencio Gamma“ ein in nur wenigen Monaten entwickeltes Gerät präsentierten; 1,95 Meter lang mit einer Spannweite von 3,60 Meter und 13 Kilogramm leicht, ausgestattet mit vier Vertikalrotoren und zwei Horizontalpropellern. "Frankenstein 1" ist mit acht Vertikalrotoren sowie zwei Propellern für den Reiseflug ausgestattet. Statt 72 Kilometer in der Stunde Geschwindigkeit des ersten Modells und 50 Kilometer Reichweite wird die Defibrillator-Drohne gar bis zu 125 Kilometer schnell sein und soll eine Reichweite von etwa 15 Kilometern haben. Sie wird auf einer bestimmten Mindesthöhe fliegen müssen, damit ein obligatorisch eingebauter Fallschirm in einem Notfall noch aufgehen kann.
Die Spannweite des Prototypen wird nur maximal 3 Meter erreichen, das Gesamtgewicht auf 25 Kilogramm begrenzt sein. So sehen es die Sicherheitsanforderungen vor, die alle zertifiziert werden müssen. Seit diesem Jahr sind ferngesteuerte Flüge ohne Sichtkontakt erlaubt. "Mission Pulse" geht weiter, da autonomes Fliegen mit einem Autopilot angestrebt wird. „Das ist heute technisch alles schon mit unserer Drohne möglich und jederzeit umzusetzen“, sagt Batuhan Yumurtaci aus dem Projektteam.
Zurzeit sucht das Horyzn-Team eine geeignete Flugzone außerhalb von München. Zahlreiche, auch neue Partner treiben mit den Studenten das Vorhaben an. Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) ist seit Frühjahr an den Entwicklungsarbeiten beteiligt und unterstützt mit seiner Infrastruktur Simulationen sowie Tests unter Realbedingungen etwa mit dem Einsatz von Leitzentrale oder Rettungswagen. Mit dem Volkswagen-Konzern ist seit kurzem ein starker Förderer hinzu gekommen (siehe „Horyzn: Volkswagen wird zum Partner“ vom 23. August 2021), ebenso der britische Triebwerkshersteller Rolls Royce . Sie sind hinzu gekommen zu den bisherigen Unterstützern wie Camilo Dornier, einer der Erben der Flugzeugbauer-Dynastie, das Senkrechtstarter-Jet-Projekt Lilium, Drohnenentwickler Quantum Systems, der Sensor- und Radartechnikhersteller Hensoldt, der Triebwerksbauer MTU, das Gründernetzwerk UnternehmerTUM oder der Autovermieter Hertz.
Schwebeflug
Bleibt die Frage: Wie viel Kaffee konsumieren die Studenten aus München im Projekt „Frankenstein 2“? Während die offen bleibt, lässt sich eine andere einfach beantworten: Warum ist für eine lebensrettende Mission ausgerechnet ein nicht gerade Sympathie erweckender Name gewählt worden, auch wenn der Kosename „Franky“ niedlich klingt? Das erste, um Halloween fliegende Testmodell hieß dank seines archaisch anmutenden Aussehens „Frankenstein“. Die Studies pflegen Tradition.