Wie schnell Sinneswandel gehen kann. Ein Börsengang zur Finanzierung der langrfistigen und ehrgeizigen Ausbaupläne ist für Daniel Wiegand immer Teil seines Plans gewesen - allerdings erst in einigen Jahren. Das sagte der Gründer und Vorstandschef des E-Flugzeugentwicklers Lilium erst vor drei Monaten. Das ist nun Makulatur: In den nächsten Wochen geht das Flugtaxi-Unternehmen aus Oberpfaffenhifen bei München an die New Yorker Börse - und erlebt eine wundersame Vermehrung seines Wertes.
30. März 2021
Wiegand kann es offenbar ncht schnell genug zu gehen. Und eine Nummer größer liebt er ebenso. Das 2015 gegründete Start-Up hat nur kurz seinen elektrisch angetriebenenen Senkrechtstarter der Öffentlichkeit präsentiert. Und doch haben weitere prominente Investoren Gefallen an dem Konzept "ICE der Lüfte" gefunden. Vor allem versucht Lilium nun, weniger mit Fakten und Geschäft als vielmehr mit großen Hoffnungswerten Kapital an der Börse einzusammeln.
Denn der Bau eines größeren Flugtaxis soll schneller umgesetzt werden. Statt des einst geplanten Jets mit fünf Sitzen will der Lilium-Chef einen Siebensitzer auf den Markt bringen und von 2024 an fliegen lassen. Zwar ist erst im vergangenenen Jahr eine beachtliche Finanzierung von 285 Millionen Dollar eingesammelt worden - das größte Volumen, das ein deutsches Start-Up 2020 mobilisieren konnte. Doch steigt der Investitionsbedarf. Deshalb strebt das Unternehmen noch im zweiten Quartal an die New Yorker Technologiebörse Nasdaq.
Der Siebensitzer Fotos Lilium
Lilium ist zugleich das erste größere deutsche Unternehmen, das über eine Fusion mit einem an der New Yorker Börse zugelassenen Börsenmantel – genannt „Spac“ – den Zugang zum Kapitalmarkt sucht. Dazu ist der Zusammenschluss mit der amerikanischen Quell Acquisition beabsichtigt, die von Barry Engle geführt wird, dem früheren Präsidenten von General Motors North America.
Nach Angaben von Lilium wird das kombinierte Unternehmen einen Wert von 3,3 Milliarden Dollar haben. Das ist dreimal so hoch wie die Bewertung nach der Finanzierungsrunde im vergangenen Jahr. Da erhielt es mit der Bewertung von deutlich mehr als 1 Milliarde Dollar das Prädikat "Unicorn". Einhörner sind in der Start-Up-Szene Unternehmen, die mindestens mit 1 Milliarde Dollar bewertet sind.
Daniel Wiegand Foto Rüdiger Köhn
Die Transaktion soll Lilium insgesamt 830 Millionen Dollar einbringen. Davon fließen 380 Millionen Dollar in bar aus dem Emissionserlös aus neuen an der Börse platzierten Aktien zu. Weitere 450 Millionen Dollar kommen von den bislang bei Lilium engagierten Investoren; dazu gehören die britische Baillie Gifford, der chinesische Internetkonzern Tencent, LGT mit seiner Investmenttochter Lightrock oder Atomico. Zu neuen Kapitalgebern gehören von Black Rock verwaltete Fonds, Ferrovial, Palantir, FII Institute und Fonds, die mit der Allianz-Gesellschaft Pimco verbunden sind.
Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) sind derzeit groß im Kommen, da sie den Zugang zum Aktienmarkt vereinfachen und beschleunigen. Im ersten Schritt wird Geld über einen Börsengang eingesammelt und zunächst auf einem Treuhandkonto angelegt. Im konkreten Fall wird Quell mit Lilium fusioniert und firmiert dann unter diesem Namen. Barry Engle wird in den Verwaltungsrat einziehen, in dem auch der frühere Airbus-Chef Tom Enders sitzt.
In Deutschland gab es im Juli 2020 mit dem Tübinger Biotech-Unternehmen Immatics, ausgegründet aus der Universität Tübingen, den ersten Fall einer Fusion mit einem amerikanischen Spac; aktuell wird sie mit knapp 700 Millionen Euro bewertet und auch an der Stuttgarter Börse gehandelt. Erst vor wenigen Wochen ist der amerikanische Lilium-Konkurrent Joby mit Uber und Toyota als Teilhaber ebenfalls über ein Spac an die Börse gegangen.
Sechs Passagiere, ein Pilot
Damit gibt es für Lilium einen weiteren großen Finanzschub, der mehr als doppelt so groß ist wie die in den vergangenen drei Jahren eingesammleten knapp 400 Millionen Dollar. „Diese Größenordnung benötigen wir noch einmal, um die Serienfertigung in drei Jahren zu starten", hat Wiegand vor kurzem gesagt (siehe "Lilium: Mehr als nur ein Flugtaxi" vom 18. Februar 2021). Da war aber noch die Rede von einem Fünfsitzer, der 1,5 Tonnen schwer mit 36 drehbaren elektrischen Triebwerken senkrecht startet und landet, um dann in den Reiseflug überzugehen. Er soll wie ein Jet 300 Kilometer in der Stunde schnell fliegen sowie eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern schaffen. Mehrere Hundert Jets will Lilium im Jahr einmal fertigen.
Der Jet ist als eine Plattform für einen Senkrechtstarter etwa mit 15 Sitzen gedacht, aber auch größer. „Ein Börsengang nach Markteintritt ist Teil des Plans A“, sagte Wegeand damals. „Der Kapitalmarkt kann nun einmal viel mehr Geld zur Verfügung stellen – wenn wir zum Beispiel ein zweites Flugzeugprogramm auflegen.“ Zu dem Zeitpunkt aber wusste der Vorstandschef mehr.
Denn in den vergangenen fünf Jahren wurde parallel und im Verborgenen an einer größeren Version des bisher bekannten Prototyps mit vier Passagieren und einem Piloten entwickelt. Wiegand deutete nur zaghaft an, dass dieser Fünfsitzer eine Plattform für größere Jets sein könnte. Ein Serienflugzeug, das nun präsentiert worden ist, werde „etwas länger sein und eine höhere Nutzlast haben“, hieß es damals.
Der Siebensitzer soll wohl 2022 seine Testflüge aufnehmen. Der kommerzielle Betrieb ist für 2024 vorgesehen. Zuvor werden die Serienproduktionsanlagen auf dem Gelände des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen bei München fertiggestellt und die Musterzulassung abgeschlossen sein. Mit dem größeren Jet ändern sich die Spezifikationen. So wird der Lilium-Jet nur 282 Kilometer in der Stunde mit einer Reichweite von 250 Kilometern fliegen können. Von der europäischen Luftfahrtbehörde EASA wie auch von der amerikanischen FAA habe man 2018 eine Musterzulassung für den größeren Flieger erhalten.
Lilium gehört zu rund 30 E-Flugtaxi-Projekten in Europa und zu fast 100 Vorhaben weltweit, wie einmal die Unternehmensberatung Roland Berger ermittelt hat. Das andere deutsche Projekt, die 2011 gegründete Volocopter aus Bruchsal, will 2023 im Stadtstaat Singapur mit einem kommerziellen Flugtaxi-Service starten. Mit 18 Rotoren gleicht er einem Ultraleicht-Hubschrauber. Im Prinzip sind es Auftragsflüge wie bei einer Taxi-Fahrt.
Dass es sich bei den beiden nicht um direkte Konkurrenten handelt zeigt auch die Reaktion von Volocopter auf die Nachricht aus Oberpfaffenhofen :
... haben die Bruchsaler via LinkedIn gratuliert. In der Tat adresssiert Lilium eine andere Klientel. Es will nämlich einen regelmäßigen Pendelverkehr nach Fahrplan anbieten. So sollen durchaus bevölkerte Regionen oder Städte bedient werden, die etwa nicht an das ICE-Streckennetz angebunden sind - oder hochfrequentierte Ziele innerhalb einer Metropolregion wie das Ruhrgebiet. Schon ein Service vom weit außerhalb liegenden Münchner Flughafen im Erdinger Moos in die Stadt würde sich lohnen, hat Wiegand gesagt.
Das alles soll nach seinen Vorstellungen zu einem Preis möglich sein, der einer Taxi-Fahrt entspricht. Da kann die Kalkulation mit sechs statt bisher fünf Passagieren wesentlich besser ausfallen - wenn das Ding dann auch tatsächlich fliegt.