Erst im Juni ist die Kreativschmiede Munich Urban Colab eröffnet worden. Schon viele Monate zuvor waren die Plätze und Räume ausgebucht. Bewerber stehen Schlange, um einen Stuhl zu ergattern. Ein Marktplatz ist geschaffen, auf dem Start-Up-Gründer, Unternehmen, Vertreter der Stadtverwaltung und Investoren zusammenkommen, um Nachaltigkeitskonzepte für die Städte der Zukunft zu entwickeln. Mit königlichem Besuch hat das einmalige Konzept nun Anerkennung aus einem Land erhalten, das den Deutschen in Sachen Smart City nicht selten voraus ist.
15. November 2021 - Von Rüdiger Köhn, München
Die Studenten, Tüftler und Start-Upler sind es gewohnt, wenn laufend Besuchergruppen durch das Munich Urban Colab ziehen. Scheinbar ungestört sitzen sie an Tischen vor ihren Laptops, besprechen sich Gruppen in Sitzecken oder - wenn tatsächlich Ruhe vonnöten ist - verkriechen sich in den Besprechungsräumen; sie fachsimpeln, entwickeln, werkeln, basteln in kleinen Laboren oder in der Werkstatt namens MakerSpace. Da nehmen sie wenig Notiz vom unruhigen Drumherum, das ein neugieriges Publikum mit Interesse an einem ungewöhnlichen Gründer-Konzept erzeugt.
Hoheitlicher Besuch führt dann aber doch zu erhöhter Aufmerksamkeit unter den Agierenden im Munich Colab, das im Juni eröffnet worden ist (siehe auch „München als internationale Schmiede für Smart Cities“ vom 28. Juni 2021). Die dänische Königin Margrethe II machte auf ihrem Besuch in Deutschland Halt in München - und in dem in Deutschland bislang einmaligen Modell eines Labors für die nachhaltige Stadt der Zukunft (Smart City). Ein Schmelztiegel hat sich gebildet, in dem Start-Ups, Unternehmen, Wissenschaft, Kreative und Kunstschaffende zusammenarbeiten. Eher ungewöhnlich: Mit von der Partie ist die Stadt München, da Fortschritte in Sachen urbanem Klimaschutz ohne die Verzahnung mit Verwaltungen und Behörden kaum möglich sind. Zusammen mit dem Gründerzentrum UnternehmerTUM gehört sie gar zu den Initiatoren des Colabs. Risikokapitalgeber und Investoren für Gründungen in Frühphasen sind präsent, wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen finanziell zu unterstützen.
Ruhige Ecke Fotos Rüdiger Köhn
Der Besuch der dänischen Königin ist eine Anerkennung für ein neues, ungewöhnliches Konzept. Respekt wird aus einem Land gezollt, das international als Vorreiter für Innovationen in städtischen Lebenskonzepten gilt. Es gibt aber auch enge wissenschaftliche Bande nach Dänemark. So arbeitet das Munich Urban Colab mit BLOXHUB zusammen, dem Nordic Hub für nachhaltige Urbanisierung. In dieser Kooperation geht es darum, Nachhaltigkeitskonzepte in München, Kopenhagen und weiteren Städten zu entwickeln und zu erproben.
Die königliche Hoheit hat nur einen kleinen Ausschnitt vom Colab-Spektrum gesehen. Gewissermaßen als Leihgabe war die studentische Initiative „Horyzn“ von der TU München vertreten, die schon zu Zeiten vor der Eröffnung des Zentrums eine Transportdrohne entwickelt hat und nun konkret ein Rettungskonzept mit einer „Defibrillator-Drohne“ für den realen Tageseinsatz entwickelt. Angsa Robotics hat sich im MakerSpace niedergelassen und einen klobig anmutenden Kasten präsentiert. Der Roboter schafft es, auf Straßen und in Parks aufzuräumen, rücksichtslos weggeworfene Zigarettenkippen und Kronenkorken von Bierflaschen einzusammeln, ohne Natürliches wie kriechendes Getier oder Blumen in Mitleidenschaft zu ziehen. Das funktioniert, wie Versuche in Berliner Parks zeigen.
Seit Juni herrscht reges Treiben auf den fünf Etagen des mit Glasfassaden lichtdurchfluteten Gebäudes, dessen Eingang erst durch provisorisch aufgehängte Papierschilder mit rotem Pfeil gefunden werden kann An den Außenanlagen wird noch gearbeitet. Innen dominiert der kühl-nüchterne Charme von Betondesign, der wegen der Terrassen, der Wintergärten und der großen Fenstern dennoch nicht erdrückend wirkt. Der Ausblick auf alte, denkmalgeschützte Fabrikhallen auf dem Gelände der benachbarten Münchner Stadtwerke sorgt für gründergeschwängerte Loft-Atmosphäre.
Schon Monate vor Eröffnung waren die Flächen des Urban Colabs ausgebucht. Aktuell ist die Liste der Bewerber für einen Arbeits- und Tüftelplatz lang. Neue Nutzer werden nach themenorientierten Kriterien aufgenommen. Eine Jury entscheidet, wer den Zuschlag für einen begehrten Platz erhält.
Das Prinzip von Colab ist auf Dynamik mit einem ständigen Kommen und Gehen sowie auf Netzwerken ausgerichtet. Und doch herrscht in der Regel Stille auf den Fluren, sind die Anwesenden in ihre Sache vertieft, stieren auf den Bildschirm, reden - wenn es notwendig ist - leise. Und doch ist Kommunikation alles. Die Entwickler und Entrepreneure im Frühststadium benötigen Kontakte, Kontakte, Kontakte: zu Business Angels, Kapitalgebern, Geschäftspartnern, qualifizierten neuen Arbeitskräften von der Uni. SAP, BMW, Wacker Chemie, Infineon, Siemens und mittelständische Unternehmen wie die Hörmann-Gruppe haben sich im Colab eingemietet; rund dreißig mischen mit. Das tun sie so gerne, dass sie am liebsten noch mehr Platz als nur ein kleines Büro haben möchten. Doch sie bekommen ihn nicht. Eng ist es geworden in der Freddy-Mercury-Straße unweit vom Uni-Viertel.
„Was uns das Colab gibt, ist der Austausch“, sagt Fabian Sinn, Mitgründer und CEO des erst in diesem Jahr gegründeten Start-Ups tanso. Dem 25 Jahre alten Betriebswirt fällt eine Reihe von Vorteilen ein, um einen besonderen Marktplatz zu beschreiben: Essentiell sei die Begegnung mit Unternehmen; kurze Wege und enges Beisammensein ermöglichten spontane Treffen; vieles würde man mitbekommen, was sonst an einem vorbei ginge; etliche Veranstaltungen und Events sorgten nicht nur für Informationen, sondern auch für neue Kontakte; und ja, persönliches Kennenlernen, die physische Präsenz helfe sehr, selbst in Zeiten sozialer Netzwerke und virtueller Distanz.
Das Start-Up tanso ist exemplarisch für Sinn, Zweck und Abläufe des Colabs, das wie ein Durchlauferhitzer funktioniert. Die Verweildauer ist begrenzt. Hat eine ausgetüftelte Unternehmensidee einen gewissen Reifegrad erreicht, geht die Suche nach einem neuen Standort los. tanso hat nur acht Mitarbeiter, die sich meist um einen großen Hochtisch versammeln und dort eine ganzheitliche Softwarelösung für das Management von Nachhaltigkeitsdaten bei Industrieunternehmen entwickeln.
Das „ClimateTech-Startup“ feilt an einem Programm, das belastende Umwelteinflüsse aus den komplexen Prozessketten in der Produktion berechnet. Das, sagt Sinn, sei der erste Schritt, um emissionsstarke Industrien zur Klimaneutralität zu führen. Durch eine akkurate Erfassung von Nachhaltigkeitsdaten könnten klare Maßnahmen abgeleitet und so ein wirtschaftlicher Mehrwert geschaffen werden. Was sich abstrakt anhört, wird in Zukunft nicht nur Marktrelevanz haben und zu einem Wettbewerbsfaktor werden. Große Herausforderungen kommen durch scharfe Regulierungen der EU hinzu, die ein striktes und nachvollziehbares Berichtssystem zur Nachhaltigkeit durch Unternehmen verlangt.
tanso-Gründer: Lorenz Hetzel, Gyri Reiersen, Till Wiechmann, Fabin Sinn (v.L.) Foto tanso
Zu viert haben sie tanso gegründet: neben Fabian Sinn auch Gyri Reiersen, Till Wiechmann und Lorenz Hetzel. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen zusammen und fanden sich 2020 in München über die TU; BWL-er Sinn studierte einst an der Uni Mannheim, Reiersen mit ihrem Master in Robotics zog es aus Zürich an die Isar. Im Münchner Colab haben sie den idealen Platz für die ersten Monate gefunden. Dort profitieren sie von Veranstaltungen wie der des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt ist. „Die Zusammenarbeit gerade mit mittelständischen Betrieben im produzierenden Gewerbe ist für uns wesentlich“, sagt Gründer Sinn. Ende 2022 hofft er, dass tanso die Marktreife erzielt. Auf rund zwanzig Mitarbeiter soll das Start-Up im nächsten Jahr wachsen, womit es zu groß für das Colab wird. Voraussichtlich wird das Start-Up bis zum ersten Quartal nächsten Jahres und damit insgesamt ein Dreivierteljahr dort wirken.
angsa robotics: Kampf den Kippen und Kronenkorken
Die Idee für das besondere Konzept Urban Colab reifte schon vor zehn Jahren. Mit dem Kreativquartier beschreitet der Standort München einen neuen Weg. Bisher hat ein Verbund aus der TU München, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), der Hochschule Münden (Fachhochschule), aus dem eng mit den Universitäten verknüpften Gründungszentrum UnternehmerTUM mit Quandt-Erbin Susanne Klatten als Gründerin, Hauptfinancier sowie Aufsichtsratsvorsitzende, aus Venture-Capital-Investoren sowie etablierten Unternehmen Innovationen und Neugründungen gefördert - von Flixbus über Celonis bis Isar Aerospace. Mit Colab ist ein Technologiezentrum rund um den Ausbau intelligenter, vernetzter Großstädte erstmals ein Entwicklungsstandort mit einem Themenschwerpunkt errichtet worden. Es wird als Modell für weitere spezialisierte Gründerschmieden gehandelt, die noch in München entstehen können.