Start-Up-Investor Alexander Samwer hat sich aus Rocket Internet zurückgezogen, widmet sich nun unter anderem Klimaschutz und Energiewende. Er setzt auf lokal erzeugten Strom aus Wind und Sonne. So soll ein Netzwerk von kleineren Beteibern zu einem großen, internationalen Verbund zusammenwachsen. Den Klimaschützern müsste das gefallen, die in dezentralen Stromanlagen mehr Sinn sehen als in riesigen Windparks auf See. Pacifico Renewables Yield AG ist das Vehikel für die Umsetzung von Samwers Plänen. Zwei Ex-Investmentbanker von JP Morgan haben eine Plattform daraus gemacht - und sie nur ein Jahr nach Gründung der Gesellschaft an die Börse gebracht.
8. November 2021 - Von Rüdiger Köhn, München
An einer dezentralen Stromversorgung durch Wind- und Solarkraft führt kein Weg vorbei. Kleine Anlagen für erneuerbare Energien - seien es fünf Windräder außerhalb des Dorfes oder zwanzig Bahnen aus Photovoltaik-Zellen auf nicht genutzter landwirtschaftlicher Fläche - sind für Martin Siddiqui und Christoph Strasser ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende. „Es muss und wird viel mehr lokale Lösungen geben“, beschreibt Siddiqui die Herausforderungen im Kampf gegen die Klimakrise. Ein Kernproblem sei, dass der Aufbau erneuerbarer Energien voranschreite, der Ausbau der Versorgungsnetze jedoch hinterherhinke. Strasser ergänzt: „Die Errichtung von derartigen Anlagen ist stark mit lokalen Entwicklern, mit den Gemeinden und Kreisen als Genehmigungsinstanzen verankert.“ Die Menschen vor Ort könnten besser abgeholt, etwaiger Widerstand verringert werden. „Ohne Kleinanlagen wird die Energiewende nicht klappen, sie sind ein wichtiges Bindeglied."
Martin Siddiqui (links) und Christoph Strasser Fotos Pacifico
Siddiqui und Strasser, einst Investmentbanker bei JP Morgan, sind Co-Vorstandsvorsitzende der Pacifico Renewables Yield AG, die sich als „unabhängiger Energieerzeuger aus erneuerbaren Quellen“ versteht. Das Münchner Unternehmen mit dem sperrigen Namen finanziert und betreibt Wind- sowie Solarparks in kleinen bis mittleren Dimensionen. Es geht Partnerschaften mit lokalen Betreibern ein oder übernimmt die Anlagen, sichert sich Vorkaufsrechte aus der Stromproduktion, schon bevor die Anlagen in Betrieb gehen.
Pacifico Renwable ist erst 2019 gegründet worden und schon ein Jahr später an die Börse gegangen. Institutionelle Anleger wie Union Investment und andere Fonds oder Paladin von Marcel Maschmeyer, Sohn des AWD-Gründers Carsten Maschmeyer, stört es nicht, dass der Handel der Aktien nur im Freiverkehr erfolgt. Die Mehrheit von 62,7 Prozent hält die Pelion Green Future Alpha GmbH. Sie gehört zum relativ neuen Universum des Tech-Investors Alexander Samwer. Der Mitgründer der legendären Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet hat sich aus der mit seinen Brüdern Marc und Oliver Samwer gegründeten Start-Up-Schmiede zurückgezogen.
In seiner mit Unternehmer und Tech-Investor Jeremias Heinrich gegründeten Arvantis Group hat er 2018 ein eigenes umfassendes, allerdings schwer zu überblickendes Netz von Beteiligungen aufgebaut; das umfasst neben Immobilien (Creanos) ebenso Venture-Capital-Aktivitäten (Picus Capital) wie auch erneuerbare Energien - mit Pelion als deren Holding.
Jeremias Heinrich (links) und Alexander Samwer Foto Arvantis
Alexander Samwer hat sich auf die Fahnen geschrieben, mit einem Verbund von nachhaltigen Strom- und Energieerzeugern gegen die Klimakrise anzugehen. Wie Samwer schon die Linus Digital Finance als Immobilienfinanzierer an die Börse gebracht hat, soll das mit dem 2017 gegründeten Solar-Start-Up Enpal womöglich noch in diesem Jahr geschehen. Enpal installiert für Eigenheim-Besitzer Solaranlagen auf Hausdächern; die Firma finanziert, betreibt und wartet diese. Erst im Oktober ist der japanische Technologiekonzern Softbank dort eingestiegen.
Die nach nur einem Jahr an die Börse gebrachte Pacifico Renewables Yield AG deckt den professionellen, gewerblichen Bereich der Stromerzeugung aus Erneuerbaren ab. Sie ist zu einem Kern im Samwer´schen Universum eines grünen, wettbewerbsfähigen Stromerzeugers geworden, das großen Energiekonzernen Paroli bieten will.
In der Energiewende setzt Pacifico das um, was viele Klimaschützer einfordern: ein dezentrales, lokales, damit flexibleres, schneller zu errichtendes Netzwerk, das Wind- und Sonnenkraft effektiver steuern kann als großflächige Anlagen etwa aus Offshore-Windparks im Norden. Der dort erzeugte Strom muss nämlich teuer und aufwendig über Stromautobahnen in den Süden der Nation transportiert werden, die noch zu bauen sind und auf Widerstand stoßen. Das Geschäftsmodell von Pacifico besteht darin, über eine skalierbare Plattform kleinere Anlagen zu finanzieren und zu betreiben. So sperrig der Name, so kompliziert erscheint auf den ersten Blick das Geschäftsmodell. Das Unternehmen erwirbt von Entwicklern Wind- und Solaranlagen oder arbeitet mit ihnen in Partnerschaften zusammen. Durch die entwickelte Plattform können diese wirtschaftlich operieren, was den kleinen und mittleren Entwicklern in der Alleinstellung schwer fallen würde.
Dabei spielt für Siddiqui die Abgrenzung der Risikoprofile eine entscheidende Rolle. Die Projektierung und Entwicklung einer Wind- oder Solaranlage müsse erst einmal die schwierige Phase der Genehmigungen durchlaufen. Aktuell sei das Dilemma mit den zögerlichen Zulassungen für den Bau von Windrädern zu erkennen, deren Genehmigungsverfahren sechs Jahre dauern können; zudem stehen gegenwärtig aufgrund von hohen Auflagen kaum Flächen zur Verfügung. Ein Scheitern von eingereichten Anträgen oder Nachschusspflichten der Entwickler für angeschobene Projekte sei nie ausgeschlossen und daher "eine Sache für privates Risikokapital".
Von Pacifico betriebene Solaranlage in Staßfurt Foto Pacifico
„Wir kommen ins Spiel, wenn die Genehmigungen erteilt sind, die Baureife vorliegt, die Anlage in der langfristigen Finanzierung strukturiert werden muss und die Verträge mit den Stromabnehmern abzuschließen sind.“ Der Vertragspartner auf der Kundenseite kontrahiere eher mit einer börsennotierten, transparenten Gesellschaft als mit einem kleinen, unbekannten Entwickler. „Wir machen mehr, als nur Kapital besorgen“, begegnet Siddiqui dem Eindruck, ein reines Finanzierungsvehikel zu sein. „Wir kümmern uns um die finanzielle Strukturierung und die operative Regie der Projekte.“
Siddiqui und Strasser sind keine Gründer. Sie haben aber Samwers Idee in den vergangenen zwei Jahren eine andere Dynamik gegeben. Gefühlt sehen sie sich schon als Teil der Start-Up-Szene. „Wir mögen vielleicht keine Gründer sein“, sagt Christoph Strasser, 30 Jahre, Betriebswirt mit Bachelor-Abschluss. „Aber am Anfang waren da nur Martin und ich mit zwei Laptops.“ Heute verfüge die Börsengesellschaft über ein Anlagenportfolio von 156 Megawatt; vor allem aber habe sie sich eine Projektpipeline mit einer Leistung von mehr als 3,1 Gigawatt in den nächsten Jahren in Europa gesichert (neben Deutschland als Hauptmarkt auch Polen, Tschechien, Italien, Niederlande). Das entspricht der Leistung von drei Atomkraftwerken.
Präsentation Pacifico Renewable Yield AG
Entstanden ist ein durchaus rentables Geschäft. Im Geschäftsjahr 2020 erreichte der Umsatz 16,2 Millionen Euro; dem stand ein operatives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Gesamtabschreibungen (der für Analysten und Investoren wichtigen Kennzahl Ebitda) von 12,6 Millionen Euro gegenüber; eine operative Rendite von 78 Prozent. Langfristige Abnahmeverträge mit den Kunden garantieren stabile und vorhersehbare Mittelzuflüsse (die ebenfalls für Investoren und Analysten wichtigen Cashflows).
Dass es dazu kam, ist eher einem Zufall zu verdanken. Martin Siddiqui, 37 Jahre und promovierter Volkswirt, zog es privat nach München; er suchte einen Job. Er entdeckte die Stellenanzeige von Pacifico Energy Partners, einer damals von Samwer bereits aufgebauten Projektgesellschaft für erneuerbare Energien. Die suchte einen Finanzchef. Siddiqui weihte seinen Kollegen Strasser ein. Schnell stellte sich nach einem Gespräch mit Alexander Samwer heraus: „Hier geht es um weit mehr als nur um die Besetzung eines Vorstandspostens“, erinnert sich Siddiqui. Es könnte vielmehr eine Gesellschaft entstehen, um die Idee vom grünen Stromerzeuger mit hoher Dynamik voranzutreiben.
Sie stießen auf offene Ohren. Denn der Grundgedanke war ja bereits bei Samwer gereift, nämlich eine Börsengesellschaft unabhängig von einem Projektentwickler, wie es die damaligen Pacifico Energy Partners gewesen ist, zu schaffen. Das Rad musste nicht neu erfunden werden. Denn in Großbritannien und in den USA war das Prinzip der „Yield Co.“ längst etabliert, ein an der Börse notiertes Vehikel für die Finanzierung von Stromerzeugungsanlagen. Schon 2014 hat es erste Börsengänge solcher Konstrukte gegeben.
Die Investmentbanker hatten bei JP Morgan schon ihre Erfahrungen damit gesammelt. Als Vorrat hatte Samwer auch schon einmal Mantelgesellschaft geschaffen; bevor Siddiqui und Strasser mit zwei Laptops anfingen. Die hatten allerdings kein Finanzierungsvehikel im Kopf. „Wir haben uns mit einem neuen kapitalmarktfähigen Konzept beschäftigt, das eine Plattform ist und mit dem man das Geschäftsmodell skalieren kann“, sagt Siddiqui.
Anders als in den Vereinigten Staaten ist der europäische Markt mit vielen kleinen und mittleren Betreibern von Anlagen fragmentiert. Für die gilt es, über die Finanzierung hinaus auch operativ betreut zu werden. Das geht nur über enge Partnerschaften mit den Entwicklern, dachten sich die beiden ehemaligen Investmentbanker. Über die zwei Jahre ist Pacifico Renewable so zum wichtigen „Mosaikstein“ und zu einem "Nukleus" (Siddiqui) im Samwer´schen grünen Universum geworden. Das Gravitationszentrum hat sich somit weg von der Entwicklungsgesellschaft hin zur Börsengesellschaft verschoben. Pacifico Energy Partners ist nur noch ein Teil des Geflechts.
Das Geflecht: Vor zwei Jahren gab es nur die Verbindung zur Pacifico Energy Partners; nun ist sie lediglich noch ein Teil eines noch wachsenden Systems. Nach Boom aus Großbritannien ist die australische ACE Power Mitglied des Verbundes geworden. Mit beiden gibt es strategische Partnerschaften, aber keine Beteiligungen an der Yield AG. Bislang trifft dies nur auf die Wirth-Gruppe zu. Präsentation Pacifico Renewable Yield AG
„Kulturell mögen wir noch ein Start-Up sein, durch die Notierung an der Börse werden wir jedoch als ein etabliertes Unternehmen und ein seriöser Vertragspartner für Stromkunden wahrgenommen“, sagt Siddiqui, „einmal abgesehen davon, dass der Kapitalmarkt die richtige Umgebung für uns ist, langfristige Wachstumspotentiale zu heben“. Und: „Was für ein Start-Up der Aufbau einer Struktur und eines funktionierenden Innenlebens ist, ist für uns die stabile und nachhaltige Positionierung an der Börse.“ Für Siddiqui ist die Wahrnehmung und das Standing am Kapitalmarkt entscheidend.
Das eröffnet neue Geschäftschancen und die Erweiterung des Geschäftsmodells. Denn durch die gehandelten Aktien entsteht auch eine wichtige Akquisitionswährung, die für neue Partnerschaften eingesetzt werden kann. Aktionär mit schätzungsweise 2 Prozent ist so die Wirth-Gruppe aus Waghäusel bei Karlsruhe geworden. Sie hat im Juli ihren Solarpark Voßberg in Brandenburg als Sacheinlage eingebracht und im Zuge einer Kapitalerhöhung Aktien erworben.
Das Modell öffnet Wege für neue strategische Partnerschaften, auch wenn es bislang keine weiteren Einstiege gegeben hat. Was sich ändern kann, denn das Unternehmen will wachsen, nicht nur geographisch. Die Vorstände haben einiges vor. Wichtiger noch als regionale Expansion ist ihnen der Aufbau einer neuen, dritten Geschäftssäule: die Speicherung von Strom als Puffer für die schwankende und von Wetterlaunen abhängige Wind- und Solarkraft. Mitte Oktober sind die Münchner eine strategische Partnerschaft mit der australischen ACE Power eingegangen. ACE will in den nächsten Jahren neun über den Kontinent verteilte Solarparks errichten, womit eine Pipeline von mehr als ein Gigawatt Strom gesichert ist.
Entscheidender ist der Zugang zur Batterietechnologie der Australier. Denn die neuen Parks werden mit Speichern kombiniert sein. „Batterien sind entscheidende Elemente in einem lokalen Netzwerk“, sagt Martin Siddiqui. „Sie fangen die unvermeidbaren Schwankungen in der Stromproduktion auf und sind so Garanten für ein stabiles Stromnetz.“ Damit könnte eine kritische Lücke im System der dezentralen Stromerzeugung geschlossen werden. Denn bis dato sichern die großen Stromverbundnetze die Versorgung ab, deren Ausbau für die Energiewende jedoch immer mehr zur Herausforderung wird.