Dem Amateurfußball ein Training wie im Profisport zu ermöglichen, das hat sich Andreas Gschaider zur Aufgabe gemacht. Über eine App bietet das Münchner Start-Up B42 Trainings-, Reha- und Ernähungspläne an. Nein, B42 soll nicht nur eine weitere Trainingsapp sein. Gschaider, einst Hauptkommissar im Kampf gegen Organisierte Kriminalität, verfolgt eine ungewöhnliche Vision: Mit digitalen Zwillingen von Fußballspielern und -mannschaften sowie mit deren Vernetzung will er die virtuelle Welt im Netz mit der realen Welt auf dem Platz verschmelzen. Sogar eSports soll eine wichtige Rolle spielen. Dabei zielt er nicht auf Gamer, Zocker und Couchpotatoes, sondern auf junge Sportler, die gerne mal vor der Playstation sitzen.
26. Oktober 2022 - Von Rüdiger Köhn, München
In seiner Vision wandelt Andreas Gschaider zwischen zwei Sphären: dem realem Fußballspiel auf dem Platz einerseits und dem virtuellen eSports andererseits. „Ich möchte die analoge und die digitale Welt des Amateur-Fußballs verschmelzen“, sagt der Gründer des SportsTech-Start-Up B42. In dieser Idealwelt geht es für ihn nicht darum, eine neue Besonderheit für Gamer, Zocker oder Couch-Potatoes zu kreieren. Im Gegenteil: Gschaider, 40, entwickelt eine hybride Lösung, mit der Sportbegeisterte auf dem Sofa spielerisch abhängen können, zugleich aber zu Leistung, Ehrgeiz und Aktion auf dem Rasen angespornt werden.
„Wir wollen nicht den Gamer auf den Fußballplatz locken“, sagt er. Ihm geht es um die Zielgruppe der am Gaming interessierten Fußballer, die durch eSports zusätzlich begeistert werden. Zudem sollen Vereine ein Werkzeug für das Training im Amateurfußball erhalten. Neben Übungen zu Hause und auf dem Sportplatz sind auch einmal virtuelle Turniere des eigenen Fußballvereins gegen den Rivalen aus dem Nachbarort möglich - statt auf der Playstation das Duell von Real Madrid gegen den FC Barcelona zu simulieren.
Andreas Gschaider Fotos B42
Das klingt nach ferner Zukunft. Aber: „Das können wir bereits manuell abbilden“, beschreibt Gschaider einen ersten entscheidenden Schritt auf dem Weg zu seinem Ziel. Ein einzelner Spieler oder ein Fußball-Team erstellen einen digitalen Zwiling auf einer App, in der Trainings- und Leistungswerte einzugeben sind. Irgendwann werde das automatisiert erfolgen. „Das ist unsere technologische Herausforderung.“ Dann sollen Daten der Spieler über Tracker auch vom Spielfeld auf der App eingespeist werden. Möglichst im ersten Quartal nächsten Jahres will Gschaider das Szenario in mehreren virtuellen Turnieren schon testen; eine Automatisierung der Prozesse mit der Teilnahme von Amateurspielern und -klubs sei für 2024 angestrebt. Helfen sollen dabei Partnerschaften und Investoren. Daniel Sobhani, Vorstandschef der Trainings-App Freeletics, ist ebenso als Anteilseigner bei B42 eingestiegen wie Maximilian Schmidt, Mitgründer des SportsTech Kinexon aus München, das automatisiert Echtzeitdaten im Sport, insbesondere im Fußball erstellt.
Zur Vision gehört auch, ein riesiges internationales Netzwerk von Spielern und Mannschaften aufzubauen - „die größte Fußballmannschaft der Welt“, wie Gschaider sagt. So weit ist das Anfang 2017 gegründete Münchner Start-Up längst nicht - auch wenn die App seit dem Marktstart schon mehr als 220.000 Mal heruntergeladen worden ist, sich über 10.000 Teams registriert haben und es 30.000 digitale Zwllinge gibt. Heute mutet B42 auf den ersten Blick als eine weitere unter inflationär angebotenen Training-Apps an. Doch es steckt mehr dahinter. „Wir transformieren Wissen und Erfahrungen aus dem Profi-Sport in den Amateurfußball“, erklärt Gscheider, der bis 2020 als Hauptkommissar im Kriminaldauerdienst und im Bereich Organisierte Kriminalität tätig gewesen ist. „Damit glauben wir, jedem Fußballsportler alles zur Verfügung zu stellen, um eine gute Saison zu spielen, den Abstieg zu verhindern, den besten Sturm und die beste Abwehr aufzubauen, zurückzukommen nach einer Verletzung."
Aktuell bietet B42 Trainings- und Reha-Programme sowie Pläne für die richtige Sportlerernährung an. Nutzer sollen so auf ein neues Leistungsniveau gehoben, die Verletzungsanfälligkeit minimiert und für eine Sportverletzung professionelle Reha-Unterstützung geleistet werden. Jährlich gibt es in Deutschland rund 1,5 Millionen Verletzungen im Sport, davon ereignet sich eine halbe Million im Fußball. Sportwissenschaftler und -ärzte, Trainer, Therapeuten sowie Enährungsexperten beraten B42 und haben Inhalte erstellt. „Wir wollen nicht den Trainer und den Physiotherapeuten ersetzen, wir bieten ein Werkzeug für Trainings- und Belastungssteuerung oder Diagnose, das im Amateur-Bereich nicht zur Verfügung steht“, sagt Gschaider. Als Ergänzung in dem angestrebten ganzheitlichen Ansatz soll in den nächsten Monaten ballspezifisches Training mit Dribblings oder Pässen hinzukommen, die auch zu Hause geübt werden können.
Mit dem Abbild von Leistungsfähigkeit, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Laufgeschwindigkeit oder Rehabilitationszustand entsteht in der App ein digitaler Zwilling. Er macht Vergleiche mit anderen Spielern und Mannschaften möglich. Ein Trainer kann die App für die Organsiation nutzen, Übungseinheiten festlegen, Spieler einteilen, Anleitungen zur Vorbereitung geben, Spieler bewerten und einschätzen. Die Erkentnisse aus der digitalen Welt können und sollen auf das Spielfeld übertragen werden.
Das fehlte Andreas Gschaider, als er neben seiner Arbeit bei der Polizei als Fußballamateur, Kapitän, Hobbytrainer und Abteilungsleiter des TSV Velden seine Mannschaft voranbringen wollte. Er suchte im Internet nach Trainingsalternativen, fand aber nichts. Über Kurse hat er sich als Trainer fortgebildet und nebenberufich die Eigenständigkeit gesucht. Mit seiner Frau Alexandra Greineder gründete er Anfang 2017 Soccer-Fit-You, das im Internet PDF-Dateien mit Trainings- und Ernährungsplänen verkaufte. Greineder konzeptionierte den Online-Auftritt und machte das Design, arbeitete früher bei Hubert Burda als Mode- und Stil-Journalistin (Style Editor). Heute hat sie bei B42 als „Head of Brands“ Verantwortung für die Marke.
Soccer-Fit-You ist Vorgänger von B42 gewesen. Knapp zwei Jahre nach Gründung im Jahr 2017 reifte die Erkenntnis, mehr aus der Ursprungsidee zu machen, die nicht unbedingt ein Hit war. In wenigen Monaten scharten Gschaider und seine Frau die unterschiedlichsten Experten um sich, die sich alle neben ihren Berufen am Aufbau des SportTechs beteiligten. Stefan Schaumeier war von Anfang an bei Soccer-Fit-You dabei. Er schuf Video-Inhalte zunächst für den Online-Auftritt, dann für die App. Als Videographer der Marketing- und Kommunikationsagentur Allison + Partners sowie als Videojournalist ist er dafür prädestiniert.
Im April 2018 heuerte Gschaider Jonas Meier an, der als Werkstudent eine Webseite und eine App entwickelte. Im Juni 2019 ist Meier Mitgründer geworden, als die App an den Start gegangen ist. Nach seinem Abschluss als Informatiker an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg betätigte er sich als Web-Entwickler. „Ohne die Entwicklung von Jonas hätte das alles bei B42 nicht funktioniert“, sagt Gschaider. Durch Zufall lernte er nach einer Sport-Verletzung in der Reha Michael Pointvogel kennen. Der Sportstudent der Technischen Univeristät München war vier Jahre bei Corox Trainingssysteme für Inhalte verantwortlich (Head of Content). Er ist bei B42 der kreative Kopf und schafft Inhalte (Content Creator). Auch Pointvogel ist wie Gschaider begeisterter Amateur-Fußballer gewesen und spielte beim TSV 1880 Wasserburg.
Auf der Suche nach einem Finanzexperten kam Simon Kofler im Frühjahr 2019 als Mitgründer hinzu. Er ist Finanzvorstand und hat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Finanzen, Steuern, Controlling sowie Rechnungswesen studiert und war zuvor beim Nürnberger Autozulieferer Leoni tätig. Peu à peu stiegen die Co-Founder mit der Fortentwicklung von B42 voll ein. Gschaider gab 2020 seinen Beruf als Kommissar auf. Schaumaier verließ Ende 2020 Allison + Partners und übernahm die Aufgabe des operativen Vorstands (Chief Operating Officer).
Schließlich schloss sich Mitte 2020 noch Jan-Philipp Grande dem Team an. Er hat die Aufgabe, B42 als Vorstand für Corporate Social Responsibility (CSR) in eine gesellschaftiche Verantwortung einzubetten. Grande war bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung beschäftigt, studierte an der Deutschen Sporthochschule Köln Internationale Sportentwicklung sowie Politik, schloss an der Universität Maastricht im Fach Europäische Studien ab und machte an der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) den Bachelor in Politikwissenschaften und Soziologie.
Dass ein Start-Up mit dem Marktstart und damit früh für CSR einen eigenen Verantwortlichen implementierte, ist wesentlicher Bestandteil der Unternehmensphilosophie. Gschaider hatte vor zwei Jahren dem damaligen Werkstudenten Jan-Philippe Grand erklärt, wofür B42 steht: dass diese mehr als nur für eine Trainings- und Reha-App für Amateurfußball sei; dass Fußball eine Chance habe, einen großen gesellschaftlichen Einfluss zu erzeugen, für Fairplay und Respekt zu stehen, sich gegen Hass oder Gewalt einzusetzen; dass der Frauenfußball unterstützt werden und mehr Aufmerksamkeit erhalten, Gleichberechtigung über Sport gefördert werden müsse; dass der Amateurfußball gegen Ausgrenzung und Homophobie anzutreten und klare Kante zu zeigen habe. Jan-Philippe Grande warf im Gespräch ein, das sei ja nichts anderes als CSR, also nichts ungewöhnliches. Auf Gschaider wirkte das schlicht vorlaut; aber nur, weil er den Begriff Corporate Social Responsibility bis dahin nicht gehört hatte.
Dabei haben die Mitgründer das von Anfang an gelebt. Sie entschieden sich Anfang 2020 für einen für das Metier sonderbaren Namen: B42 steht für „Be 42“ - „Sei die 42“. Beiläufig stießen sie auf die Geschichte von Jack Robinson, einem Star der amerikanischen Major League Baseball (MLB). Er war der erste schwarze professionelle Baseballspieler, der im April 1947 für die Brooklyn Dolphins startete und die Rassenschranke brach. Robinson, der 1962 in die Baseball Hall of Fame aufgenommen worden war, ist für die Gründer ein Vorbild mit ikonischem Status: „Sei derjenige, der über den Sport positiven Einfluss auf die Gesellschaft nehmen kann“, lautet Gschaiders Devise.
Erst die Hälfte des Weges dürfte B42 hinter sich gebracht haben. Die Herausforderung der nächsten zwei Jahre ist, mit Algorithmen und Machine Learing die Automatisierung im Netzwerk umzusetzen. Erste Trainingspläne laufen bereits auf einem Algorithmus, der positionsspezifische Aspekte wie rechtes und linkes Mittelfeld oder Innenfeldspieler, Leistung sowie Fitnessstand berücksichtigt. Die müssen immer wieder ausgewertet und angepasst werden. „Ziel soll eine selbstlernende Trainingsplan-Erstellung sein.“ Dazu gehört, am Ende die Brücke von der irreal-digitalen Welt des eSports zur real-analogen Welt auf dem Rasen zu schlagen. „Interessant wird es, wenn man Eckdaten eines Spielers im Training über Tracker und Sensoren einsammelt“, sagt Gschaider. Leistungsdaten sollen auf dem Platz ermittelt werden. Die gehören zwar zum Fußball-Alltag, allerdings nur im Profisport. „Wir suchen Partner, die die Anbindung ermöglichen.“ Nicht umsonst sind Freeletics-Chef Sobhani und Kinexon-Gründer Schmidt Investoren, die SportsTech-Expertise mitbringen.
Mit Bundesliga-Vereinen wie FC Bayern München, BVB Dortmund, TSV Hoffenheim oder RB Leipzig stünde er im Kontakt, gebe es konkrete Gespräche. Profi-Spieler brauchen sicherlich nicht das B42-Angebot für Amateure. Doch ließe es durchaus für Sportakademien als Werkzeug nutzen, um Spieler zu beobachten, zu analysieren und zu vergleichen. Es kann sich zudem eine neue Dimension in der Anbindung von Fans durch virtuelle Spielformate oder Trainingsdialoge ergeben.
Womit eSports ins Spiel kommt. Gschaider weiß, dass sich E-Gaming nun einmal besser monetarisieren lässt als eine Trainings- oder Reha-App. Das Potential jedenfalls ist enorm. Der Markt für eGaming ist laut B42 mit 2,8 Milliarden Spielern und einem Volumen von 208 Milliarden Dollar größer als der des Fußballs (300 Milionen Spieler, 200 Milliarden Dollar), geschweige denn des Fitness- und Gesundheitssegments (knapp 600 Millionen Nutzer, 21 Milliarden Dollar). Was die Münchner abdecken wollen, ist eine kleine Schnittmenge aus diesen drei Märkten.
Die Technologie von B42 habe für Gaming-Anbieter wie Electronics Arts (EA), Konami oder UFL durchaus Reize, hofft Gschaider. Denn reale, individualisierte Eckdaten könnten die Attraktivität von eFootball erhöhen. Spiele sind authentischer, wenn es echte und nicht erfundene Daten beziehungsweise Spieler oder Teams gibt. Er ist offen für Kooperationen mit einem eSports-Anbieter. So habe er bereits den Kontakt zu EA gesucht.
Typische Start-Upper seien sie nicht, sagt Andreas Gschaider. Es spiele keine Rolle, ob man in ein paar Jahren eine möglichst hohe Bewertung für das Start-Up erziele. „Es geht darum, unsere Idee zu verfolgen und unsere Vision voranzutreiben.“ Junge Menschen auf das Spielfeld zu bringen und die Gesellschaft positiv zu verändern, das sei sein Ziel. Wenn das unter einem neuen Eigentümer besser umzusetzen sei, habe er kein Problem damit, die Eigenständigkeit aufzugeben.