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31 Jul
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Drei Unternehmen hat Valerie Bures-Bönström schon gegründet, das erste mit 25 Jahren. Mit Steffi Graf baute sie die Fitnessstudiokette Mrs. Sporty auf. Seit zwei Jahren schiebt sie Vaha an, ein intelligentes Trainings- und Fitnesssystem für Zuhause; bestehend aus einem großen interaktiven Spiegel, der auch als Flachbildschirm im Hochformat durchgeht. Für dieses Projekt gewann sie Manuel Neuer als Partner. Hat sich Vaha etabliert, ist Bures-Bönström längst nicht am Ziel. In ihrer virtuellen Schublade stapeln sich die Geschäftsideen.

31. Juli 2021 - Von Rüdiger Köhn, München

Valerie Bures-Bönström ist ein Kraftwerk. Anders jedenfalls lassen sich die von ihr ausströmenden enormen Energiewellen nicht erklären. Wenn sie nicht Unternehmen gründet, reitet sie gerne, bevorzugt in Island, ihrem Zweitwohnsitz. Begeistert fährt sie Ski; ein idealer Zeitvertreib, wenn man in Berlin wohnt und viel arbeitet - weit weg von den Bergen. Sie geht leidenschaftlich gerne surfen, insbesondere Kite-Surfen. Und sie hat mal richtig gut Feldhockey gespielt. Ihre Welt dreht sich um Sport, Fitness und Gesundheit. Mit Yoga und Meditation tankt sie Kraft und hält Balance in ihrem ziemlich bewegten Leben. Immer im "Flow" bleiben, heißt ihre Devise. Sie kann den Begriff gar nicht oft genug wiederholen: weil er Programm und Kern ihres 2019 gegründeten Unternehmens ist. Vaha entstammt der Punjabi-Sprache und heißt "Flow".

                                             Valerie Bures-Bönström                    Fotos Vaha

Bures-Bönström wollte ja eigentlich Professorin werden, Karriere an der Universität machen. Die 42 Jahre alte Informatikerin von der FU Berlin, mit einem Bachelor von der London Business School und einem Philosophiestudium an der Universität Reykjavík, knobelt nämlich gerne herum, wie sie sagt. Doch sie hat es vorgezogen, das Ergebnis aus ihrem Friemeln im realen Leben umzusetzen. Sie entschied sich, in den vergangenen 17 Jahren drei Unternehmen zu gründen. Sie baute die Sportstudio-Kette Mrs. Sporty mit Steffi Graf auf. Sie gründete Pixformance, ein digitales Trainingsformat in der Gesundheitstherapie. Seit zwei Jahren realisiert die Mutter von zwei Töchtern (18 und acht) und einem Sohn (16) mit Vaha nun ein neues ehrgeiziges Projekt. Den digitalen interaktiven Fitnessspiegel für zu Hause hat sie schon einige tausend Mal verkauft.

Statt Perfektionistin eher Chaotin?

Die Gründerin vermittelt auf dem ersten Blick Eindrücke, die sie so nicht stehen lassen kann. Powerfrau, angesichts ihrer kräftezehrenden Aktivitäten? "Nein, das bin ich nicht, will ich auch nicht sein." Mit dem Begriff kann sie nichts anfangen. Das sei was für die Außendarstellung. Perfektionistin? Sie prustet los: Würden das Freunde hören, die würden sich totlachen. Manche hielten sie eher für die größte Chaotin, lacht sie. Ehrgeizig? Schon gar nicht. Sie treibt sich selbst. "Ich bin wahnsinnig neugierig, ein Erkenntnisjunkie, der immer Neues machen und lernen muss."

Bures-Bönström ist authentisch. In ihren Humor und in das viele Lachen mischen sich manchmal ernste Töne. Sie weiß um ihre Kraft und um ihren Stress. Sie zieht viel Energie aus ihrer Familie, aber kennt auch die Risiken. "Ein Mensch mit viel Power kann manchmal seine physischen Grenzen nicht feststellen." Man müsse noch stärker in sich hinein hören, um genau diese Grenzen zu finden. Der Körper gebe da deutliche Signale. Die nehme sie jedoch erst wahr, wenn sie zur Ruhe komme. Sportliche Fitness und Widerstandsfähigkeit haben sie robust gemacht, aber offenbar auch vieles überdeckt.   

Klischees aus der Start-up-Szene jedenfalls passen nicht zu ihr. Werte zählen, wie man sie aus Familienunternehmen kennt. Konservativ sei sie. Einen Kredit, den sie einst für ihr Unternehmen bei der Sparkasse Potsdam aufgenommen hat, zahlte sie vorzeitig zurück. "Ich will keine Schulden haben, damit ich abends ruhig ins Bett gehen kann", sagt Bures-Bönström und lacht wieder einmal. "Ich gehöre zu denjenigen, für die jeder mit harter Arbeit verdienter Cent etwas wert ist." 

Wie passt das zusammen? Schließlich stecken zweistellige Millionenbeträge von Risikokapitalgebern und Finanzinvestoren als Startkapital in Vaha. Im Juni 2019 gegründet, ging Bures-Bönström im März 2020 mitten in der Pandemie mit dem Spiegel als privatem Fitnessstudio an den Start. Er ist gedacht für Menschen, die nicht gern in die Muckibude gehen; sei es aus Zeitgründen, sei es der Widerwillen, sich coram publico zu verausgaben - oder gar zu blamieren.

Dem Trainierenden wird in den eigenen vier Wänden nicht einfach ein Spiegel - in der großen Version 170 Zentimeter hoch, 62 Zentimeter breit und 4,2 Zentimeter tief - vorgehalten. Tatsächlich handelt es sich um einen großen, interaktiven Flachbildschirm. Der spielt Trainingsprogramme ab. In einer Bibliothek können Intensiv-, Intervall- und Krafttraining, Pilates, Meditationen oder Yoga abgerufen werden. In Live-Kursen toben sich Gruppen aus, man selbst ist mittendrin. Per Hologramm geben persönliche Trainer in Echtzeit Übungsstunden. Trainingspläne werden individuell erstellt. Und alles ist mit Bewegungsanalysen festgehalten, wird minutiös protokolliert und ist zur Leistungsbeurteilung abrufbar.

                                             Mit Geschäftspartner Manuel Neuer 

Das Gerät ist ein Multifunktionsfernseher mit Touchscreen im Hochformat, auf dem Apps installiert werden können; nicht nur die von Vaha, sondern all die vom eigenen Smartphone. Bures-Bönström etwa liebt es, während ihrer Übungen die Dukebox laufen zu lassen. Die Interaktion erfolgt über Mikrofon und Kamera, wie sie in handelsübliche Smartphones und Tablets verbaut sind. Neben dem Anschaffungspreis von 2270 Euro oder 1100 Euro für die kleine Version fallen monatlich 39 Euro Mitgliedsbeitrag an. Darin enthalten sind ein Personaltraining, der Zugriff auf Kurse und ein personalisierter Trainingsplan. Weitere Angebote und persönliche Trainingseinheiten gibt es zum Aufpreis. Das Geschäftsmodell ähnelt dem von Peloton aus den USA, der Fahrradtrainer für zu Hause mit Programmen zum Abopreis anbietet. Mit Mirror gibt es in Amerika bereits ein Pendant zu Vaha, das im Jahr 2020 an die kanadische Bekleidungsmarke Lululemon für eine halbe Milliarde Dollar verkauft worden ist. 

Vorbild Pixformance

Die Beschaffung und Entwicklung der Hardware ist das eine gewesen. Je zur Hälfte werden die Spiegelbildschirme in China und in Rumänien gefertigt. Bei der sehr viel aufwendigeren Entwicklung der Software hat Bures-Bönström auf ihre Erfahrungen mit der von ihr 2011 gegründeten Pixformance aufgesetzt. Die besitzt sie immer noch, hat sich operativ jedoch zurückgezogen. Es handelt sich um eine medizinische Plattform, deren sich etwa Krankenhäuser bedienen, um Patienten mit speziellen, individuell erstellten Programmen zu therapieren.

                                             Nachdenklich                         Fotos Rüdiger Köhn

Vaha zielt auf den großen Endverbrauchermarkt und hat mittlerweile mehr als 600 Programme im Angebot. Es ist die Breite und die Vielfalt, die für den Allrounder und die Familie Fitness zur Gewohnheit machen soll, definiert Bures-Bönström die Zielgruppe, die sie als "durchschnittlichen Alltagsathleten" beschreibt. Es gehe nicht um eine Konkurrenz zu den Fitnessstudios. Wobei: Auch Hardcores dürfte es nicht langweilig werden. Das Marktpotential für Vaha ist somit groß.  "Mehrere tausend Geräte" - die Chefin bleibt unkonkret - sind bislang verkauft worden, damit auch entsprechend viele Abos. Das Geschäft hat erst im Herbst 2020 richtig Schwung aufgenommen, womit die erste Welle der Lockdown-Phase mit Schließung der Fitnessstudios noch nicht genutzt werden konnte. Doch erst musste die Vielfalt der Programme erweitert werden.

Nicht einmal Covid-19 kann stoppen

Ausgerechnet im Hochlauf traf die gesamte Familie Covid-19. Die Nachwirkungen seien heftig gewesen. Aber hier agiert schließlich Valerie Bures-Bönström: "Ich habe weitergemacht, obwohl ich wohl drei Monate nicht richtig denken konnte", erinnert sie sich mit ernster Miene. "Rückblickend musste ich zur Kenntnis nehmen, dass ich bei der einen oder anderen Handlung nicht bei allen Sinnen gewesen war." Sie spart nicht mit Selbstkritik: "Das ist Selbstbetrug, wenn man sich einredet, noch klar denken zu können." 

In diese Zeit, im November, fiel die dritte Finanzierungsrunde bestehender Investoren wie Global Founders Capital, Porsche Ventures oder Holtzbrinck Ventures. Manuel Neuer ist als neuer Partner zugestoßen. Zuvor hatte er seit März 2020 - mit Beginn des Lockdowns - die Vaha-Fahne als Markenbotschafter hochgehalten. Durch ihr umfangreiches Netzwerk ist sie an den Torwart des FC Bayern München und Mannschaftskapitän des deutschen DFB-Teams herangekommen. Eine bessere Werbung gibt es kaum, als einen bekannten Fußballspieler vor dem Spiegel trainieren zu sehen, der wegen der Pandemie-Restriktionen ohnehin zur "Hausarbeit" gezwungen gewesen ist. Doch für Bures-Bönström ist wesentlich wichtiger, überzeugte Partner zu bekommen, wie Neuer einer sei. Andere Athleten hätten ebenso Interesse gezeigt, mit denen sie im Gespräch sei. Mit wem, sagt sie nicht. Die aber könnten mithelfen, ihr ehrgeiziges Ziel umzusetzen: Im ersten Quartal 2022 soll Vaha mit heute 100 Mitarbeitern 10 000 Spiegel verkauft haben, wobei die wiederkehrenden Abo-Umsätze das eigentlich einträgliche Geschäft sind. Neben Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Großbritannien seit dem Frühjahr ein neuer Absatzmarkt, was ihr Ziel realistischer macht.

                                             Sie ist wirklich so: Humor und Dynamik pur

Der Einstieg von Manuel Neuer ist ein Déjà-vu. Schon für Mrs. Sporty gewann Bures-Bönström 2005 den Tennisstar Steffi Graf als Mitgründerin. Ein Jahr zuvor hatte sie mit ihrem damaligen Ehemann die Fitnessstudiokette ausschließlich für Frauen gestartet, die heute im Franchisesystem mehr als 100 Millionen Euro Umsatz erzielt. Sie ist nach wie vor Gesellschafterin, hatte aber schon 2009 den Vorstandsvorsitz abgegeben und war 2017 operativ ausgestiegen, um sich der Idee von Vaha zu widmen - gereift aus den positiven Erfahrungen mit Pixformance, die sie vor zehn Jahren neben ihrer Arbeit bei Mrs. Sporty aufgebaut hat.

Nichts ändert sich. Neue Abenteuer dürften bevorstehen. "Leider ist mein Ideenreichtum noch nicht erschöpft", sagt Bures-Bönström und lacht laut. "Es gibt noch Megainnovationen, für die ich Patente angemeldet habe, aber erst in zwei oder drei Jahren vielleicht realisieren kann, weil ich es heute nicht schaffe, sie umzusetzen, in der Zukunft aber noch eine große Rolle spielen können, tolle Sachen, die technisch alle machbar sind." Stoppen lässt sie sich nicht. "Da liegen noch Pläne in der Schublade, so ein Haufen", sagt Valerie Bures-Bönström, strahlt wieder und hebt ihre rechte Hand mit deutlichem Abstand über die linke.

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