6 Minuten Lesezeit
01 Aug
01Aug

Unternehmer waren Maik Burlage und Jaan Brunken schon zu Zeiten als Tennisprofis. Vor zehn Jahren sind sie bereits von den Trainingsanalysen fasziniert gewesen, die mit Hochtechnologie die ganz Großen des ATP-Zirkus fit machten. Warum sollen das nicht auch Tennisamateure nutzen, fragten sie sich. Sie entwickelten einen intelligenten Tennisplatz, um deren Leistung zu fördern - und einen konservativ geprägten Sport digitaler zu machen. Die Idee ihres Start-Ups hat die Enkel von Adi Dassler so begeistert, dass sie die Legende des Adidas-Gründers in der digitalen Welt von SportsTech mit Wingfield weiter leben lassen wollen.

1. August 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Der Tennispfosten hat eine Höhe von 1,07 Meter. Der ist genormt und findet sich auf jedem der mehr als eine Million Plätze auf dieser Welt, auf denen sich mehr als 100 Millionen Amateure austoben. Die Netzhöhe von 1,07 Meter an den Außenseiten und von 91,4 Zentimeter in der Mitte ist vorgegeben, wie die Ausmaße des Spielfeldes von 23,77 Meter Länge und 8,23 Meter Breite für das Einzel- und von 10,97 Meter für das Doppelfeld.

Diese Koordinaten stecken für Maik Burlage (31) den Aktionsradius des intelligenten Courts ab. Er und Jaan Brunken (32), beide ehemalige Tennis-Profis, haben Wingfield im November 2017 in Hannover gegründet. Ihre Idee: Spielanalysen für Tennisamateure wie sie für Profis normaler Trainingsalltag sind; das motiviert, steigert die persönliche Leistung, macht Spaß und soll so dem Tennissport insgesamt dringend benötigte Impulse für einen moderneren, digitalen Auftritt geben. Mit von der Wingfield-Partie sind Burlages Bruder Juilius und dessen enger Kumpel Henri Kuper (beide 27).

                              Maik Burlage                                                                                 Fotos Wingfield

Im Smart-Court dreht sich alles um jenen 1,07 Meter hohen Pfosten, der im Vergleich zu den schlichten, unauffälligen Stangen aus Aluminium wegen seiner wuchtigeren Erscheinung sofort ins Auge sticht. Dessen Spitze ist bestückt mit Elektronik. Zwei Hochgeschwindigkeitskameras erfassen beide Spielfeld-Hälften. Der Spieler scannt eine Smartphone App und meldet sich für den Court an. Los geht es mit dem Aufzeichnen von Aufschlaggeschwindigkeit, Vorhand-Spielzügen oder Rückhand-Returns. Das Tracking-System ist kompakt und für gewöhnliche Tennis-Vereine erschwinglicher als die teuren, hochprofessionellen, mit Technik vollgestopften Bildaufzeichungssysteme, die rundum Profi- und Turnierplätzen installiert sind. Der Clou von Wingfield: „Das einzig Standardisierte auf allen Amateurplätzen der Welt ist der Netzpfosten“, sagt Maik Burlage. Daher sei mit ihm die Leistung jedes Tennisspielers dieser Welt auf jedem Tennisplatz dieser Welt mess- und vergleichbar. Es gibt viele andere Systeme, bei denen Kameras an Zäunen oder Apps auf dem Smartphone den Spielverlauf verfolgen; aber eben immer von unterschiedlichen Positionen aus, womit Standarddaten nicht erhoben werden können. Wingfield ist deshalb von der International Tennis Federation ITF zugelassen, damit weltweit einsetzbar.

Künstliche Intelligenz und Machine Learning

Die Plattfrom filtert und analysiert eine Riesenmenge erhobener Daten. Für Amateure werden sie auf wenige Messwerte komprimiert, die einfach lesbar zur Leistungsbewertung abrufbar sind. Das System ermöglicht zudem eine Vernetzung mit anderen Spielern - auch über Klub- und Landesgrenzen hinweg. Software, ebenso Künstliche Intelligenz sind der Kern der Technologie, die auf Menschen-, Ball- und Schlagerkennung sowie Tennislogik basiert. Mit dem Verfahren des maschinellen Lernens wird ihm beigebracht, was im Bild zum Beispiel ein Mensch und was ein Ball ist. So versteht die Software, wo sich wann ein Spieler auf dem Platz befindet, ob er läuft oder Pause macht, ob es sich um einen Trainer oder Spieler handelt, ob er Vor- oder Rückhand spielt.

„Wir werten Spieldaten in ähnlicher Weise aus, wie es für professionelle Spieler erfolgt“, sagt der frühere Tennisprofi. „Der Unterschied ist, dass die eingesetzte Technologie dort erheblich teurer ist und wesentlich mehr Hardware benötigt.“ Das sei im Amateur-Bereich gar nicht nötig. „Wir haben Hardware und Software entwickelt, die für die breite Masse der Tennisspieler anwendbar ist.“ Da gehe es um Mehrwert, „nicht um das Anzeigen von Daten-Tapeten“. Reduziert wird die Bewertung im wesentlichen auf den Drill-Faktor von Null bis Hundert. Der zeigt Präzision der Aufschläge, die Fluggeschwindigkeit oder die Kraft von Vor- und Rückhand-Schlägen. Alle tennisbezogenenen Aktivitäten in dem Beobachtungsuniversum werden von zwei High-Speed-Kameras mit 33 Bildern in der Sekunde erfasst, der Ball zu jedem Zeitpunkt an jedem Punkt im 3D-Datenraum verfolgt. So ergeben sich neue Spiel-Erlebnisse, insbesondere jedoch neue Erkenntnisse über das eigene Leistungsvermögen wie sie bis dato Rafael Nadal, Novak Djokovic, Roger Federer, Alexander Zverev, Iga Sviatek oder Angelique Kerber vorbehalten gewesen sind.

          Maik und Julius Burlage, Jaan Brunken, Henri Kuper (v.l.)

Lange schon - sieben Jahre - sind die Burlage-Brüder, Brunken und Kuper mit ihrem Projekt beschäftigt, mussten viel Geduld mitbringen. Corona bremste den geplanten großen Marktstart Anfang 2020 aus. Erst jetzt, zwei Jahre später, kommt Dynamik in das Geschehen, für den die gerade erfolgte Serie-A-Finanzierung über 4 Millionen Euro vorgesehen ist. Der Marktauftritt in den USA wird in Angriff genommen - die Tennisnation Nummer eins, die digitalen Innovationen im Sport gegenüber besonders aufgeschlossen ist.

Adidas-Enkel als Geburtshelfer

An der Serie A haben sich die neue Investoren bmp Ventures und Adesso Ventures engagiert, aber auch der bestehende Investorenkreis. Neben Enjoy Ventures ist das in erster Linie leAD Sports & Health Tech Partners, der Wingfield schon als Accelerator gefördert und 2018 einen Großteil des Seed-Kapitals von 1,2 Millionen Euro bereitgestellt hat. leAD steht für „Legacy of Adi Dassler“. Hinter dem Erbe von Adi Dassler stehen die drei Enkel des Gründers des Sportartikelkonzerns Adidas: Horst Bente (61), seine Brüder Klaus (62) und Stefan (54) mitsamt Dassler-Urenkel Alexander Bente (32), Sohn von Klaus Bente. Indem sie SportsTechs unterstützen, wollen sie die Legende des Schöpfers der Drei-Streifen-Marke aus Herzogenaurach in einer digitalisierten Sportwelt mit dem Einsatz von Software-Technologien weiterleben lassen.

leAD hat für Wingfield eine besondere Bedeutung, nicht nur als Ankerinvestor, sondern auch als Mentor, Betreuer und Türöffner. Zusammen mit Maik Burlage flog Klaus Bente Mitte 2019 in die USA. Vorbereitungen sollten getroffen werden, um dort den Vertrieb aufzubauen und einen Partner zu finden. Unter anderem trafen sie sich mit dem früheren Tennis-As Ivan Lendl, den man für den Smart Court der Deutschen begeistern wollte. Damals war er noch Trainer von Alexander Zverev. Auch eine erste kleinere Finanzierung wurde aufgelegt, sollte schon bald der Startschuss in den Verienigten Staaten erfolgen.

Doch zu intensiveren Gesprächen mit Lendl kam es ebenso wenig wie zu der Eröffnung des US-Büros, wofür Burlage und Brunken Ende 2019 noch einmal über den Atlantik flogen. Nach der ersten Testinstallation 2018 waren Hard- und Software als „outdoor-fähiges Produkt“ nämlich zu jenem Zeitpunkt serienreif, die Massen-Fertigung vorbereitet. Doch dann verfiel die Welt pandemiebedingt in den Lockdown. Den Wingfield-Gründern blieb nur, sich auf Deutschland, Österreich und auf die Schweiz zu konzentrieren. Das war schwierig genug, da im ersten Corona-Jahr viele Tennisvereine für lange Zeit geschlossen waren. Die bereits aufgebaute Kunden- und Interessentenbasis kam in der Erholung nur langsam zurück. Vereine mussten schießlich ihr Geld zusammen halten, wenn sie nicht gar um ihr Fortbestehen bangten.

Türöffner Deutscher Tennis Bund

Eine große Hilfe war die im Juni 2021 vereinbarte Partnerschaft mit dem Deutschen Tennis Bund (DTB), hinter dem 1,4 Millionen Mitglieder stehen. So ist das Wingfield-System zu einem Bestandteil der Digitalisierung im offiziellen Spielbetrieb geworden. Tennisamateure konnten von da an auch außerhalb von offiziellen Mannschaftsspielen und Turnieren Wettkämpfe betreiben, die für die persönliche Wertung der im DTB geltenden Generali Leistungsklasse (LK) berücksichtigt werden. Daran beteiligen sich jährlich rund 400.000 Aktive. Bis dato wurden Punkte zumeist über Mannschaftsspiele erzielt; nun können Spieler auch zu zweit unter Wettkampf-Bedingungen Punkte für die eigene LK-Wertung sammeln.

Rückblickend hatte Corona für Wingfield nicht nur negative Folgen. Zeit wurde gewonnen, das Produkt weiter auszufeilen und marktreifer zu machen. Die Pandemie hat insbesondere zu einem Sinneswandel in einem als konservativ geltenden Sport geführt und die Tür zur Digtalisierung geöffnet. „Die Vereine waren auf einmal gezwungen, digital zu denken.“ Um Corona-Regeln umzusetzen, haben die Online Platz-Buchungen eingeführt. Die Klubs überlegten, wie sie via Internet ihre Mitglieder bei der Stange halten können und eine Abwanderung vermeiden. Wingfield hat das im vergangenen Jahr geholfen, mit Online-Demos Reichweite bei potentiellen Kunden zu generieren - was bis 2019 unvorstellbar erschien. „Unsere letzten 200 Verkäufe haben wir online und ohne Termine vor Ort abgeschlossen“, freut sich Burlage. In mehr als 260 Vereinen sind bislang deutlich mehr als 300 Systeme installiert worden. Die meisten erwerben das 6300 Euro teure Produktpaket (professionelle Systeme fangen bei 40.000 oder 50.000 Euro an) zunächst meist für einen Platz. Mehr als 20.000 Tennisspieler in Deutschland nutzen den Smart Court.

                              Jaan Brunken

Neben der Idee hat die Mischung des Gründerteams die Adi-Dassler-Enkel überzeugt, sagt Maik Burlage. Er und der gebürtige Finne Jaan Brunken haben während ihrer Profi-Zeit die Vorzüge von Spieler- und Datenauswertungen bestens kennengelernt. Burlage war von April 2010 bis Anfang 2013, Brunken von August 2008 bis Ende 2012 auf ATP-Tour (Association of Tennis Professionals). „Wir beide kennen uns schon lange und haben zu Profi-Zeiten ja unser erstes Unternehmen gegründet“, grinst Burlage. Ein striktes Management war erforderlich, um nicht nur Preisgelder reinzuholen, sondern Trainings und Reisen zu organisieren sowie Sponsoren zu finden. „Das brachte eine steile Lernkurve in Sachen Selbständigkeit und Gründung.“ Im Tennisinternat in Hannover wohnten sie zwei Zimmertüren auseinander, trainierten gemeinsam professionell in Frankfurt, reisten zusammen zu Turnieren.

Digitales Tracking für modernes Tennis

Während des Studium - beide schlossen den Bachelor of Business Administration an der Fachhochschule Hannover ab - glitten sie allmählich vom Profi- in den Amateursport ab. Sie wurden Trainer. Burlage leitete einen kleinen Tennisverein in Hannover. Er wurde mit der für viele Klubs großen Herausforderung konfrontiert, Jugendliche als Nachwuchs zu gewinnen, vor allem sie zu halten. Warum also nicht Video- und Datentracking für die Motivation von Spielern auch im Amateurbereich nutzen, mit „coolen Systemen“, die er aus der Profizeit kannte, fragte er sich. Es gab aber nichts, was sein Verein mit 120 Mitgliedern sich leisten konnte; die günstigste Variante lag bei 30.000 Euro. Im Studium arbeiteten Burlage und Brunken an ihrer Idee, die zum Gründerstipendium EXIST reichte.

Julius Burlage, Tennisspieler mit Amateurstatus, hat währenddessen das emsige Treiben seines Bruders mitverfolgt. Als Maschinenbauingenieur ist er prädestiniert gewesen, sich die Hardware vorzunehmen. Und wie es der Zufall wollte, war Henri Kuper nicht nur enger Freund und Mitbewohner des jüngeren Burlage-Bruders, sondern entfaltete als Elektoingenieur reichlich Expertise in IT und Machine Learning. Die beiden Absolventen der Leibniz-Universität Hannover stiegen ein. Haken: Henri Kuper ist kein Tennisspieler gewesen, sondern ein erfolgreicher Steuermann im Rudern. Inzwischen schlägt aber auch er Bälle übers Netz. 

Mit dem Hochlauf des Geschäftes hofft Maik Burlage, in den nächsten zwölf Monaten die Marke von 1000 verkauften Einheiten deutlich zu überschreiten. Nicht nur Tennisklubs zeigten Interesse, auch Hotels, Freizeitsportzentren, Colleges, Country Clubs - und Tennisakademien. Wingfield rüstet immerhin die angesehene Rafael Nadal Academy auf Mallorca aus. Der Queens Club in London zählt zu den Kunden. Wenn auch nicht im großen Wimbledon, so hat der All England Club doch schon 2019 den Smart Court während des Junior-Turniers „Road to Wimbledon“ eingesetzt.

Padel-Tennis, Badminton und mehr

„Unsere Vision geht über den Tennissport hinaus“, spricht Burlage über ehrgeizige Vorhaben. Badminton hat er im Auge, insbesondere jedoch den Trendsport schlechthin: Padel-Tennis, bei dem der Court wie ein Käfig mit Glas- und Drahtgitterelementen umzäunt ist. Das sei die derzeit am stärksten wachsende Sportart, besonders in Spanien - eine Hochburg -, zunehmend auch in Deutschland, Skandinavien und Südamerika. Padel-Tennis wird erstmals 2024 in Paris eine Olympische Disziplin sein. Selbst Volleyball käme als Anwendung in Frage, obwohl sich die Plattform für Mannschaftssportarten eigentlich nicht eignet. Es geht aber bei Wingfield eben um Netz- und Rückschlagsportarten, um Pfosten oder Pfähle, die nach festen Vorgaben aufgestellt werden - und um Bälle, die hin und her fliegen; hin und her, hin und her...

Kommentare
* Die E-Mail-Adresse wird nicht auf der Website veröffentlicht.