Mit unglaublicher Überzeugungskraft und Energie kämpft Jaclyn Schnau gegen den Einsatz von Zucker oder Fructose in Baby- und Kindernahrung, die in Gläsern, Riegeln und Quetschies die Ladenregale besetzen. Ihr Start-Up Pumpkin Organics bietet Gemüseprodukte an, mit denen sie der Übermacht der etablierten Anbieter etwas entgegensetzen will. Ganz entscheidend ist für sie, dass in den ersten drei Jahren eines Menschens gesunde Ernährung für ein ganzes Leben anerzogen werden kann. Die Geschichte von Jaclyn Schnau ist eine von Erfolg, von innerer Antriebskraft, von Neugierde und von Naivität. Für sie war Goldman Sachs eine einfache Bank. Bankbeamtin wollte sie nie werden - und schlug einen Topjob aus.
27. Januar 2021 - Von Rüdiger Köhn, München
Ohne Leidenschaft, Neugierde und Naivität, angereichert mit geballter Energie, könnte Jaclyn Schnau kaum ihre Mission erfüllen. Das 2016 gegründete Start-Up Pumpkin Organics ist ihr Vehikel dafür. In den ersten drei Jahren nach der Geburt eines Menschen, so ihre Überzeugung, werden die Grundlagen für ein ganzes Leben geschaffen. Zentrale Rolle spielt die richtige Ernährung. Die schafft für die in München lebende gebürtige Kanadierin erst eine nachhaltige Gesundheit. In den ersten 1000 Tagen können richtige Verhaltensweisen beigebracht, man kann auch sagen programmiert werden. Das Heil sieht sie im Gemüse. Einer Welt, in der es verführerischen, aber ungesunden Zucker im Überfluss gibt, sagt sie den Kampf an.
Jaclyn Schnau Foto Pumpkin Organics
Pumpkin Organics stellt Nahrung für Babies und Kleinkinder aus Brokkoli, Petersilie, Erbsen, Süßkartoffeln, Zucchini, Kürbis oder Karotten her, mit möglichst wenig Fructose, ohne Konzentrate oder Zusatzstoffe; alles Bio. Jaclyn Schnau erobert langsam Terrain in den Regalen des Einzelhandels, wo Birnen-, Apfel- oder Bananenbrei dominieren. Mittlerweile bietet sie 30 Produkte an, die online und in mehr als 3000 Einzelhandelsgeschäften verkauft werden; in den Drogeriemärkten DM und bei Rossmann (online) als die wichtigen Absatzkanäle für Babynahrung, bei Bio-Ketten wie Alnatura, vereinzelt bei Rewe und Edeka sowie im größeren Umfang bei der österreichischen Handelskette Billa.
Temperamentvoll und kategorisch verfolgt die Kanadierin ihre Linie: „Wir haben die Branche an jeder einzelnen Front herausgefordert“, sagt sie mit Inbrunst und legt sich mit einer etablierten Industrie an, in der Marken wie Alete, Milupa, Hipp und Fruchtbar den Absatz bestimmen. Sie setze die Standards in der Ernährung, um mit dem Einsatz von Zucker hohe Volumen und Gewinnmargen zu erzielen sowie Minderwertiges schmackhaft zu machen. Jaclyn will mit einem Tabu brechen. „Kein Hersteller, kein Einzelhändler ist bereit, das Risiko zu übernehmen, endlich die Babynahrung zu ändern.“ Sie wolle diese Kette durchbrechen.
„Früchte sind so ziemlich das schlimmste, was man einem Baby geben kann, Fruchtzucker ist wie Glukosezucker“, sagt sie. Knapp ein Jahr nach Gründung, Mitte 2017, kam sie mit einer kleinen Palette von acht Produkten auf den Markt. Zwar befinden sich in den Riegeln, Quetschies, Gläsern mit Suppen und Saucen oder in den Snacks auch Früchte wie Birne oder Blaubeere. Das, sagt Schnau, gehöre aber zur notwendigen ausgewogenen Ernährung. Der Zuckergehalt sei im Vergleich zur herkömmlichen Baby- und Kinderkost deutlich geringer.
Sie zitiert eine Statistik, wonach die zehn meistverkauften Marken-Quetschies in Deutschland im vergangenen Jahr im Durchschnitt 11 Gramm Zucker je 100g enthalten haben, in denen von Pumpkin Organics waren es 6,6 Gramm. Die zehn Top-Riegel brachten es im Schnitt gar auf 35,8 Gramm je 100 Gramm, die von Pumpkin auf 18 Gramm. Coca Cola, bekannt als Zuckerbombe, soll 10,5 Gramm enthalten. Selbst wenn die Gemüsekost für Erwachsene in Geschmack und Konsistenz durchaus gewöhnungsbedürftig ist, Babies und kleinen Kindern scheint es zu schmecken; bei konsequenter Ernährung mit Gemüse werden sie den Verlockungen des ungesunden Zuckersüßen aber auch gar nicht ausgesetzt.
Jaclyn und Florian Schnau Foto Rüdiger Köhn
Die Rezepte für ihre Produkte entwickelt sie selbst - zu Hause. „Die große Küche ist mein Leben“, sagt die Gründerin. „Dort passiert Pumpkin Organics." Schnau, die im Februar 43 Jahre alt wird, lebt seit 2011 mit ihrem Mann und Mitgründer Florian, 47 Jahre, in München. Zuvor Unternehmensberater und Private-Equity-Manager, ist er erst zwei Jahre nach der Gründung richtig eingestiegen. Jaclyn weiß, worüber sie spricht. Sie hat ihre berufliche Karriere in der Lebensmittelindustrie gestartet, ist schon als Kind mit gesunder Ernährung aufgewachsen. Sie ist in einem kleinen Dorf in Saskatchewan groß geworden, im Farmland Kanadas, wo organisches Essen Alltag war - und wo der Großvater ihr den Kosenamen „Pumpkin“ gab, auf deutsch Schatzi oder Hasi.
Zunächst liefen die Interessen in eine ganz andere Richtung. Als Kind hatte sie den Hang zum Techie. Sie sei ein bisschen ein Mädchen der Wissenschaft gewesen, lacht sie. Sie spielte mit Autos und Lastwagen, aber auch mit Puppen und ihrer Kinderküche. Aufgewachsen sei sie mit Robotern, weil ihr Vater sich damit beschäftigte und im Keller herum tüftelte. Sie bastelte mit Transistoren, beschäftigte sich mit Hydraulik. An der renommierten University of Victoria mit Schwerpunkt Ingenieurwesen studierte sie Wirtschaft, gehörte aber ebenso zu einem Team, das Rennwagen entwickelte. Sie wusste zu jenem Zeitpunkt indes immer noch nicht genau, wohin der Karriereweg führen sollte und suchte nach Orientierung. Eines aber wusste sie genau: Ihr beruflicher Ehrgeiz bestünde nicht darin, „Bankbeamtin“ zu werden. Das dachte sie sich, als sie „in ihrer Naivität" nach dem Studiumabschluss das attraktive Angebot eines Goldman-Sachs-Managers für einen Posten in Tokio ausgeschlagen hatte. Sie kam ja einst aus einem kleinen Kaff in Saskatchewan und hielt eine der größten Investmentbanken der Welt für eine einfache Bank.
Naivität, Neugierde und Zufälle führten so dazu, dass die Victoria-Absolventin mit Auszeichnung im Alter von 22 Jahren den ersten Job beim amerikanischen Nahrungsmittelkonzern General Mills in Minneapolis antrat, wo sie in der Produktsparte Joghurt, insbesondere Kinder-Joghurt arbeitete. Trotz des Hangs zur Technik orientierte sich sich hin zur Nahrung und der naturnahen Landwirtschaft. In Rekrutierungsgesprächen fiel sie durch ihre Fragen auf; einmal abgesehen von ihren guten Abschlussnoten. „Meine Naivität und meine unbändige Neugierde sind schon immer wesentlich für den Erfolg gewesen.“ Sie war in ihrem Job so erfolgreich, dass sie über ein Stipendienprogramm für zwei Jahre an die Harvard Business School kam - und natürlich zu den zehn Besten des Jahrgangs gehörte.
„In meiner Küche passiert Pumpkin Organics" Foto Pumpkin Organics
Dort lernte sie Florian Schnau kennen, der Bremer. Als Betriebswirt von der European School of Business in Reutlingen arbeitete er vier Jahre für die Unternehmensberatung Bain in London, bevor er im selben Jahrgang von Jaclyn zwischen 2004 und 2006 in Boston an der Harvard studierte. Sie entschlossen sich, nach London zu gehen. Jaclyn arbeitete in Großbritannien für die General-Mills-Marke Häagen-Dazs, für die sie von dort aus eine neue Globalisierungsstrategie umsetzte und die ganze Welt bereiste. Florian kam bei der Private-Equity-Gesellschaft Lion Capital unter. Irgendwann wollten sie sich niederlassen und eine Familie gründen. Sie wählten München dafür aus. 2009 bekam Florian Schnau nämlich dort ein lukratives Angebot vom Privatinvestor Paragon. Jaclyn wollte folgen, wurde aber von einem Headhunter für Pizza Hut abgeworben und in London festgehalten, wo sie - von vornherein für ein Projekt befristet - noch eineinhalb Jahre arbeitete.
2011 kam sie nach München und baute als Managerin mit den Gründern das Start-Up windel. de auf. Bis 2013 blieb sie, ein Jahr vor dem Börsengang hörte sie auf. Sie war müde, fühlte sich schwach und immer schlechter; ein Zustand, den sie öfters zu ertragen hatte. Unzählige Reisen zu medizinischen Spezialisten brachten keinen Erfolg. Durch einen Zufall stellte ein Münchner Hausarzt bei der an Erkältung erkrankten Patientin fest: Sie leidet an der Autoimmun-Krankheit Hashimoto, die zu einer chronischen Entzündung der Schilddrüse führt. Die steckte bereits viele Jahre in ihr, brach aber während ihrer Arbeit in München richtig aus. Hashimoto hat sie inzwischen wieder unter Kontrolle bekommen. Die einst verloren gegangene geballte Energie kehrte zurück.
Doch Hashimoto hat Spuren hinterlassen und bedeutete eine Zäsur, die ihr Leben mit Blick auf gesunde Nahrung schärfte, sie immer mehr auch deren Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaft zu verstehen versucht. Lange litt Jaclyn Schnau darunter, dass die Krankheit erst so spät entdeckt worden ist. Sie hätte doch schon viele Jahre zuvor ein anderes, besseres, gesünderes Leben führen können. Daher redet sie heute so leidenschaftlich über Gesundheit, Glück, Freude, Wohlbefinden, familiäre Zusammengehörigkeit und soziales Verhalten.
Foto Rüdiger Köhn
Das sind elementare Bestandteile der Philosophie hinter Pumpkin Organics. Ein richtiger Plan allerdings stand nicht hinter der Gründung. Schnau nutzte die Zeit nach windel.de nicht nur zur Genesung, sondern auch zur Suche nach einer neuen Herausforderung. Im Internet gab sie in die Suchmaske die Worte ein: „Wo und wann spielt Ernährung die größte Rolle“. Es poppte die „Theorie der ersten 1000 Tage“ auf. Deren Quintessenz: Die ersten drei Lebensjahre sind die prägendsten in der Entwicklung eines Menschen. Ohne Punkt und Komma spricht sie darüber. Ein Kind habe in dieser Zeit die höchste Lernkurve und werde für das ganze Leben geprägt. 80 Prozent des Gehirns würden geformt, die Fundamente für richtige Nahrung, Gesundheit und Sozialverhalten gegossen.
„Wir helfen Eltern, die Bedeutung dieser ersten Lebensperiode zu verstehen, in der Gehirn, Körper, Muskeln, Augen, Geschmack und Sprache geprägt werden." Damit solle eine bessere Grundlage für eine Erziehung geschaffen werden, die zu mehr Glück und Wohlbefinden führen können. Kinder lernen zu sprechen, zu lachen, zu spielen, zu laufen, zu tanzen. Das seien auch Momente des Glück, der Freude und des Stolzes für die Eltern. „Aber wir sehen diese Faszination leider nicht, wenn es darum geht, die Kinder zur gesunden Ernährung zu erziehen.“ Diese davon zu überzeugen, sei nicht ihr Ziel: „Das ist meine Mission.“
„Engagement und Unternehmergeist hat Jaclyn schon immer gehabt“, sagt Ehemann Florian. „Nur musste sie das unterdrücken, während sie für große, schwerfällige Unternehmen arbeitete.“ Dabei sei sie so passioniert, habe schon immer großen Ideen gehabt und könne die Menschen mitreißen. Der Eindruck drängt sich auf, dass Hashimoto ihre innere Antriebskraft und die Emotionen nur noch verstärkt hat. Zusätzlichen Schub gab es, als sich ihr sehnlicher Wunsch nach einem Kind Anfang 2019 erfüllte. Tochter Olivia kam mitten im Aufbau des Start-Ups zur Welt.
Unternehmensberater und PE-Manager Florian Schnau hat seine Frau bei der Gründung von Anfang an unterstützt. Doch arbeitete er in seinem Beruf bis zum endgültigen Einstieg bei Pumpkin Ende 2018 weiter; zuletzt zweieinhalb Jahre als Finanzvorstand der Lieferanten-Plattform „Wer liefert was“. Mitgerissen von der missionarschen Aufgabe ist er seit jeher gewesen. „Eltern sind eher die Opfer, weil es ihnen schwer gemacht wird, sich mit gesundem Essen für Kinder auseinanderzusetzen.“ Babynahrung sei ganz offensichtlich kein „sexy Thema“. „Der Blick in die Ladenregale sagt doch alles; da wird Apfelmus als tägliche Hauptmahlzeit präsentiert, was Erwachsene gelegentlich als Beiläge für Pfannkuchen oder Kaiserschmarrn essen.“ Viele Eltern könnten sich stundenlang mit der Frage befassen, welches der beste, geeignetste und nicht gerade der billigste Kindersitz für das Auto sei. Es müsse deutlich mehr Interesse für die gesunde Ernährung geweckt werden. Eine wahrlich große Herausforderung: „Die Anleitung für den Aufbau eines einfachen Bücherregals hat deutlich mehr Seiten als der Beikostplan des Arztes für das Baby.“
Es waren Freunde und Bekannte, die eine in ihrer Begeisterung nicht zu bremsenden Verfechterin für gesunde Ernährung in ein Start-Up trieben. „Gründe Dein eigenes Unternehmen“, rieten sie. Abermals kam Glück ins Spiel, der endgültig den Startschuss auslöste. Ein ehemaliger Kollege vermittelte einen Kontakt zu Stefan Eckert, damals operativer Chef der Sparte Babynahrung im Molkereikonzern Deutsche Milchkontor (DMK). Aus einem geplanten Zwanzig-Minuten-Kaffee-Gespräch wurde ein „Cocktailevent" über vier Stunden. Jaclyn Schnau war in ihrem Element grenzenloser Überzeugungsarbeit. Eckert blieb nur, ihr zu bescheinigen: Sie sei verrückt genug, ihre Mission tatsächlich zu schaffen.
DMK wurde zum Ankerinvestor: Der gab kein Geld, dafür stellte er - zum Zeitpunkt der Gründung wesentlich wichtiger - Ingredienzen bereit, leistete Hilfe in der Produktion, bei Qualitätskontrollen in der Entwicklung, bei der Zertifizierung und rechtlichen Belangen. Nur so gelang es Pumpkin Organics, schnell mit ersten Produkten auf den Markt zu kommen.
„Es ist Zeit, Pumpkin Organics zu professionalisieren.“, sagt Jaclyn Schnau nach fünf Jahren des Aufbau. Es mag nicht überraschen, dass sie die Seed-Finanzierung von 2 Millionen Euro Ende 2016 über Familie und Freunde in Nullkommanix zusammen bekommen hat, dank einer Power-Point-Präsentation bestehend aus sechs Folien. In diesen Tagen sammelt sie nun über eine Serie-A-Runde Geld ein und erhofft sich ein Volumen von 5 bis 6 Millionen Euro, die in Mitarbeiter, IT-Systeme und in die regionale Expansion investiert werden. Sie möchte die Aktivitäten zunächst über Deutschland und Österreich hinaus auf die Schweiz ausweiten, um später einmal ihr „disruptives Geschäftsmodell“ auf ganz Europa auszudehnen. Allein in diesem Jahr will sie bis zu zwanzig neue Produkte einführen. Es benötigt nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie derzeit das Zentrum des Universums von Jaclyn Schnau aussieht: ihre Küche.