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31 Jul
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Die SILCA Import ist ein kleines Familienunternehmen, deren Gründer sich altersbedingt nach über 35 Jahren zurückziehen, ein Nachfolger im familiären Kreis aber fehlt. Tradineo hat den Importeur von spanischen Spirituosen und Delikatessen aus Hamburg nun übernommen - und einen externen Nachfolger als neuen Unternehmensführer und -Mitinhaber gleich mitgebracht. Tradineo-Gründer Tobias Zimmer sorgt sich um Mittelständler, die vor einem Generationenwechsel ohne Familienanschluss stehen und so in arge Existenzprobleme geraten können. Der Start-Upper und Gründer des erfolgreichen Franchise Coffee Bike bietet mit seiner Mittelstandsholding eine Lösung an. Zwei Welten in einem: Start-Up und traditioneller Mittelstand. 

München, 31. Juli 2024 - Von Rüdiger Köhn

Am Anfang, sagt Start-Up-Gründer Tobias Zimmer, sei er sich seiner Sache nicht so sicher gewesen. „Mittlerweile bin ich in dieser Welt angekommen und finde das viel cooler.“ 

Diese Welt: Das sind mittelständische Unternehmen. Das coole: Tobias Zimmer hilft Familienunternehmen mit ungelöster Nachfolgefrage bei der Übergabe in neue Hände, um dessen Existenz nachhaltig zu sichern. Im Jahr 2022 hat Zimmer Tradineo gegründet, eine Beteiligungsgesellschaft für Unternehmen, die in eine neue Eigentümergeneration überführt werden sollen. „Accelerator für Unternehmensnachfolge“, wählt der 38 Jahre alte Diplom-Kaufmann einen Begriff aus der Gründerszene. Tradineo sei eine Analogie zu Rocket Internet, ein Accelerator für Start-Ups.

Zwei vermeintlich konträre Welten ziehen sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit Zimmer - einerseits die moderne Gründerszene, andererseits die eher traditionelle, grundsolide Sphäre des Mittelstands. Er ist eigentlich Start-Upper in Reinkultur, hat schon vor 14 Jahren das Franchise-Unternehmen Coffee Bike gegründet, als der Hype um Garagen-Firmen in Deutschland noch nicht richtig begonnen hatte. Vor zwei Jahren gründete er Tradineo, mit der er über ein besonderes, innovatives Beteiligungsmodell im Grunde die Brücke vom Start-Up zum Mittelstand schlägt, der jüngeren Generation einen Weg ins Unternehmertum öffnet, ohne eine eigene Geschäftsidee entwickeln oder von Null an eine Firma aufbauen zu müssen.

                                             Tobias Zimmer                                  Foto Tradineo

Tradineo geht dabei ein ernstes Problem an, vor dem viele Tausende kleine und mittelständische Familienunternehmen in den nächsten Jahren stehen werden und das existenzgefährdend werden könnte, mit allen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für Arbeitsplätze. Die Herausforderung ist groß: nämlich die Eigenständigkeit zu bewahren, obwohl ein familieninterner Generationenwechsel mangels Kandidaten nicht möglich ist. Bis 2026 stehen rund 190.000 Unternehmen vor der Stabübergabe, wobei viele Eigentümer ihre Nachfolge intern nicht lösen können.

„Von der DNA bin ich immer Start-Up-Gründer gewesen - und ich habe mich auch immer als solcher betrachtet“, sagt Zimmer. Mit 16 Jahren bastelte er sich auf eBay eine kleine Handelsagentur. Ende 2010 schuf er im Alter von 24 Jahren direkt nach dem Studium Coffee Bike, das speziell konzipierte Fahrräder als mobile Coffee-Shops betreibt. Mit sieben Rädern hat er angefangen, heute fahren 250 Bike von 190 Franchisenehmern herum. Zwischenzeitlich hat Zimmer Coffee-Bike verkauft.

Hybrid aus Start-Up und Mittelstand

Wobei: Ein klassisches Start-Up ist Coffee Bike eigentlich nie gewesen, erfolgte der Auf- und Ausbau ohne Finanzierungsrunden durch Investoren. „Das habe ich in Osnabrück gemacht, nicht in Berlin“, lacht Zimmer. Mit 24.000 Euro Eigenkapital habe er angefangen, eine GmbH gegründet und alles mit eigenen Mitteln sowie aus dem Cash Flow finanziert. Ohne es zu jenem Zeitpunkt zu ahnen, hat er damit eine gewisse - wie er es formuliert - „Bodenständigkeit“ entwickelt. Eine konservativ anmutende Tugend, die mittelständischen Unternehmen, nicht aber unbedingt der Start-Up-Szene nachgesagt wird. Daraus entwickelte sich so etwas wie eine Symbiose von hipper Start-Up-Mentalität und solidem Mittelstandsdenken. So ist denn auch mit Tradineo so etwas wie ein Hybrid entstanden, der diese Welten verbindet.

Ein Jahr nach Grüdnung, emsigen wie aufreibenden Recherchen auf der Suche nach geeigneten Unternehmen mit offener Nachfolge hat es im Sommer 2023 den ersten Einstieg bei dem Hamburger Unternehmen kl netprint gegeben, einem 2010 gegründeten IT-Systemhaus, das vor einer klassischen Nachfolgeproblematik stand, weil der Inhaber keinen Nachfolger in seiner Familie hatte. Die Vorgehensweise hat ein klares Muster. Tradineo beteiligt sich grundsätzlich mit einer deutlichen Mehrheit und hält diese dauerhaft ohne zeitliche Begrenzung. So ist die Finanzierung nachhaltig gesichert.

Gleichzeitig bringt es einen Externen als neuen Mitinhaber und Unternehmensführer mit, der nicht nur einen symbolischen, sondern namhaften Anteil an der Firma hält, diese selbständig weiter betreibt, so Zukunft und Unabhängigkeit sichert. Der Alteigentümer sollte idealerweise den Übergang in eine neue, familienfremde Ära begleiten. Im Fall von kl netprint ist dieser jedoch schon früh ausgestiegen. Der neue Chef, der Hamburger Felix Brüggemann, hat das Ruder schnell übernommen, ist technologieaffin und will unbedingt das kleine Unternehmen weiter entwickeln. 

Die Rollenverteilung ist klar definiert: „Ich sehe mich nicht als sein Chef und bin es auch nicht“, betont Zimmer. „Ich bin Sparringspartner für ihn, es ist dessen Unternehmen.“ Das wichtigste Credo für den Tradineo-Gründer: „Ich bringe Menschen und finanzielle Stabilität in das erworbene Unternehmen ein.“ kl netprint beschäftigt 25 Mitarbeiter, erzielt einen Umsatz in mittlerer einstelliger Millionenhöhe und arbeitet mit Gewinn. Das ist das Profil der gesuchten Beteiligungen, auf die sich das Mittelstand-Start-Up konzentriert. Der Übernahmekandidat soll in der Regel zwischen 15 und 150 Mitarbeiter beschäftigen, profitabel mit einem Betriebsgewinn (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) von mindestens 750.000 Euro arbeiten und ein nachhaltig erfolgreiches, etabliertes Geschäftsmodell besitzen.

Geduldsproben für die Mittelstandsholding

Der Aufstieg zur Mittelstandsholding ist indes aufwendig, zäh und verlangt viel Geduld ab. Zimmer hat ein weiteres Jahr benötigt, um nun eine zweite Beteiligung als Erfolg präsentieren zu können: Zum 1. August übernimmt Tradineo die Mehrheit an dem Hamburger Feinkost- und Wein-Importeur SILCA Import AG, der sich auf Einfuhren von Delikatessen sowie Spirituosen aus Spanien und Portugal spezialisiert hat. Tradineo hat mit Tim Wenzel einen geeigneten Nachfolge-Unternehmer gefunden, ein Experte für IT und Digitalisierung. Er ist mit einer nennenswerten Beteiligung eingestiegen, löst die bisherigen Vorstände Silvia Salvador-Koegler und Jörg Koegler ab und wird gemeinsam mit dem verbliebenen Vorstand Carlos Salvador y Schüschke die Firma weiter führen. Die Geschwister leiteten SILCA in zweiter Generation; deren Eltern mit spanischen Wurzeln hatten sie vor über 35 Jahren gegründet und sich in Hamburg niedergelassen. Tradineo-Chef Zimmer ist guter Dinge, dass das Beteiligungsgeschäft nun Fahrt aufnimmt und in diesem Jahr noch etwa drei weitere Übernahmen nach dem gleichen Muster hinzukommen werden.

Umfangreiche Recherchen sind für den Aufbau von Tradineo vorausgegangen, um einerseits Unternehmen für ein Portfolio zu identifizieren, anderseits aber auch geeignete Kandidaten zu finden, die die übernommene Beteiligung langfristig führen. Rund 300 Firmen, in denen sich eine Nachfolgeproblematik ergeben könnte, hat Zimmer in der Aufbau- und Analysephase zunächst identifiziert. Daraus hat er ein Potential von etwa 60 extrahiert. Mit einem Dutzend hat er intensive Gespräche geführt, mit fünf hat er bislang eine eingehende Unternehmensprüfung (Due Dilligence) durchgeführt. Daraus ist eine erste veritable Datenbank entstanden, die durch das wachsende Netzwerk ständig erweitert wird.

Die zweite Datenbank beinhaltet mehr als ein hundert Kandidaten von geeigneten, willigen und potentiellen Nachfolgeunternehmern, mit denen sich Zimmer eine Zusammenarbeit vorstellen kann. Profile sind erstellt und Gespräche mit ihnen geführt worden. „Die Datenbanken sind ein großes Asset“, sagt er. „Sie aufzubauen, kostet viel Zeit, Mühe und Geld; nun pflücken wir die ersten Früchte.“

Ein Netzwerk von Co-Investoren

Es gibt aber auch noch eine dritte „Kartei“, eher ein Netzwerk: Co-Investoren. Selbst wenn Zimmer mit Tradineo eigene Mittel für den Einstieg in ein Unternehmen bereitstellt, benötigt er auch andere Geldgeber. Wer diese Co-Investoren sind und wie große dieses Netzwerk ist, will Zimmer nicht sagen. Es seien Geldgeber, die einen langfristigen Anlagehorizont hätten; es seien ausgewählte mittelständische Unternehmer, die ähnlich tickten und die gleiche Philosophie teilten. Mit einzelnen würden für ein konkretes Objekt Investorenverträge vereinbart. Als Kommanditisten hätten sie kein Mitspracherecht.

„In den Verträgen ist geregelt, dass es keine Endlaufzeit und keinen Exitdruck gibt.“ Inhaltlich mache er eigentlich gar nicht so viel anders als Finanzinvestoren von Start-Ups. Er habe jedoch eine andere Herangehensweise - womit man sich durchaus durchsetzen könne. „Wir werden nie diejenigen sein, die am meisten bieten, wir punkten mit weichen Faktoren, die wir real und authentisch leben.“ Dazu zählt er den dauerhaften Fortbestand einer Firma nach der Stabübergabe, die Sicherung von Arbeitsplätzen, den Erhalt der Standorte und langfristige, nachhaltige Unternehmensperspektiven. „Das sind Faktoren, die für viele Mittelständler wichtiger sind als Geld, um ihr Lebenswerk zu erhalten.“

Nicht allein Geld, auch die Softfaktoren zählen

Die Bedeutung dieser Softies ist Zimmer nach Jahren des Grübelns bewusst geworden. Als er sich noch im Aufbau von Coffee Bike befand, hatte ihn ein Zulieferer angesprochen, der altersbedingt sein Unternehmen abgeben musste. Er diente es Zimmer an, der ja mit seinem jungen Start-Up bereits Führungs- und Organisationsqualitäten bewiesen habe, in der Welt der Digitalisierung lebe; Gründe genug, um ihm sein Lebenswerk anzuvertrauen. Denn was wären die Optionen gewesen: An einen Wettbewerber oder an einen Finanzinvestor verkaufen, verbunden mit der Gefahr für Standorte und Belegschaft oder mit einem Weiterverkauf nach fünf oder sieben Jahren, sprich: einer unsicheren Zukunft? Das angebotene Objekt sei dreimal so groß wie sein Start-Up gewesen, erinnert sich Zimmer. Er lehnte damals ab, da er selbst  mit dem Aufbau von Coffee Bike beschäftigt gewesen ist, getragen von Zweifeln, ob er das alles stemmen könne.

Aus dem Kopf ist ihm dieser Vorfall nie mehr gegangen. „Im Nachhinein betrachtet war das die Geburtsstunde von Tradineo.“ Hätte er den Deal gemacht, er hätte sich gerechnet, weiß er heute. Doch es kam, wie es der damalige Geschäftspartner und Hilfesuchende befürchtete: Der musste an einen strategischen Investor verkaufen. Das Unternehmen gibt es heute nicht mehr. Jahrzehntelange leidenschaftliche, idealistische Aufbau- und Arbeitsleistung: perdu.

Es gebe viele solcher Situationen, Es müsse in einer ungeklärten Nachfolgefrage doch auch andere, bessere Optionen geben, als an einen Konkurrenten oder an einen Finanzinvestoren zu verkaufen, dachte sich Zimmer und konzentrierte sich vor zweieinhalb Jahren auf die Gründung von Tradineo, die für ihn eine Mission ist; nämlich einen für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Wirtschaftsbereich zu unterstützen. Den letzten Anteil an Coffee Bike hatte er 2023 verkauft.

Unternehmertum heißt nicht nur Start-Up

„Ich wollte zu allererst immer Unternehmer werden - was mir mit dem Start-Up Coffee Bike ja gelungen ist.“ Unternehmertum sei für viele junge Menschen ein Thema. Die meisten dächten dann in Start-Up-Kategorien, wenn sie gestalten und Verantwortung übernehmen wollten. Dabei wüssten sie gar nicht, dass es auch einen „Nachfolgemarkt“ mit entsprechenden Möglichkeiten gibt. Ihre Ziele könnten sie genauso im Mittelstand erreichen, indem sie in eine etablierte, erfolgreich agierende Firma einstiegen, nicht bei Null anfingen, auf vorhandenes Know-how, einen Kundenstamm, Lieferanten-Netzwerke sowie Kontakte zurückgreifen könnten - damit nicht das hohe Risiko des Scheiterns eines neu aufzubauenden Geschäftsmodells eingingen, wirbt der Tradineo-Gründer. Hohe Geldsummen mit etlichen Finanzierungsrunden für den Aufbau seien in seinem Modell nicht erforderlich. „Wir entkoppeln die Finanzierung von dem Eintritt eines Nachfolgeunternehmens.“ Das sei doch ein vielversprechender Weg in die Eigenständigkeit. „Im Mittelstand gibt es eine Erfolgswahrscheinlichkeit von vielleicht 97 Prozent, damit ein Ausfallrisiko von 3 Prozent.“ Bei Start-Ups sei das genau umgekehrt, zeichnet er holzschnittartig ein Bild. 

Eine Betreuung in einer zwangsläufig längeren Übergangsphase vom Alteigentümer zum neuen Betreiber ist jedoch immer erforderlich. Da ist Zimmer als Unternehmensberater gefragt, obwohl er seine Aufgabe nicht so definiert und das auch gar nicht sein Ziel ist. Aber im Zuge der Kontakte und Recherchen fallen immer wieder Anfragen, Berateraufträge oder auch Management-Unterstützung mit Schwerpunkt Unternehmensnachfolge an, die willkommene Einnahmen generieren. Der Kern des Geschäftsmodells werden langfristig allerdings die laufenden Beteiligungserträge eines wachsenden Portfolios sein, das über viele Jahre gehalten wird.

Dabei hilft, dass kleine Unternehmen niedrig bewertet seien. „Es ist eine spannende Anlage- und Assetklasse.“ Selbst für tolle kleine, profitable Mittelständler gäbe es keinen Markt und damit auch keinen richtigen Verkaufskanal. Es gebe nur wenig Akteure und Interessenten. Tobias Zimmer ist davon überzeugt, dass er ein gutes Konzept hat. Und die Eintrittshürde ist mit einem meist sechsstelligen Betrag aus seiner Sicht eher niedrig. Der günstige Wert allein ist für Tobias Zimmer jedoch nicht alles, was das Geschäft von Tradineo lukrativ macht: „Der Hebel für unseren Erfolg wird in der hohen Qualität der Beteiligungen liegen.“

https://www.tradineo.com/


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