Das Deep-Tech eleQtron entwickelt einen Quantencomputer, der in Sekunden komplexeste Aufgaben berechnet, wofür normale Computer Tausende von Jahre benötigen. Quantenphysiker Christof Wunderlich und Michael Johanning haben ihn an der Universität Siegen entwickelt - und 2012 den ersten deutschen Quantencomputer geschaffen. Das 2020 gegründete Spin-Off will eine effiziente, raum- und energiesparende, damit auch wirtschaftlichere Alternative zu den Supercomputern anbieten, die Google und IBM aufbauen. Die nun vereinbarte strategischen Kooperation mit dem Forschungszentrum Jülich ist eine wichtige Bestätigung des Geschäftsmodells. Jan Henrik Leisse ist Mitgründer und CEO von eleQtron. Er hat die Aufgabe übernommen, mit den Forschungserfolgen der Physik-Koryphäen ein Unternehmen aufzubauen, das allerdings erst in einigen Jahren auf den kommerziellen Durchbruch hofft.
München, 15. Juli 2023 - Von Rüdiger Köhn - aktualisiert am 27. März 2024
Für eleQtron-Vorstandsvorsitzenden Jan Henrik Leisse ist es ein wichtiger und äußerst willkommener Meilenstein, den der Quantencomputer-Entwickler nun erreicht hat. Meilensteine sind für Deep-Tech-Startups entscheidend, als Beweis für erfolgreiche Arbeit, als Visitenkarte für Geldgeber und potentielle Kunden. Die diese Woche bekanntgegebene „Entwicklungspartnerschaft Ionenfallen-Quantencomputer“ mit dem Forschungszentrum Jülich und dessen weltweit führendes Supercomputer-Zentrum ist eine Anerkennung der bislang geleisteten Forschungs- und Entwicklungsarbeit des jungen Unternehmens aus Siegen.
Hinter dem Projekt steht vordergründig der Auftrag aus Jülich zur Lieferung eines Quantencomputers von eleQtron. Es ist der dritte, den das Startup baut und dafür Geld bekommt, nachdem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zwei Anlagen bestellt hat, die in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Für Nummer drei - der Quantencomputer für Jülich - wird ebenso bezahlt werden, der 2027 in Betrieb gehen soll.
Noch wichtiger ist die Idee, die hinter der Kooperation steht: Denn es wird ein modulares System aus einem Höchstleistungsrechner, einem Supercomputer, und einem Quantencomputer entstehen. Dieser Hybrid kann den Einsatz in der Praxis etwa in der Logistik, Verfahrenstechnik, im Verkehr, in der Grundlagenforschung von Medizin, Physik, Biologie oder Chemie erleichtern. Die Vorteile beider Systeme werden so verbunden. Denn: Supercomputer sind keine Quantencomputer, Quantencomputer sind keine Supercomputer. Für das Forschungszentrum Jülich gehört aber auch das Quantencomputing nach eigenen Angaben zu einem seiner vorrangigen Ziele.
„Die Partnerschaft mit dem renommierten Forschungszentrum Jülich und die Auslieferung des Quantencomputers sind ein großer Meilenstein für eleQtron; unser Ziel ist es, Quantencomputer als Schlüsseltechnologie der Zukunft schnell für industrielle Anwendungen marktreif zu machen“, sagt Jan Henrik Leisse, Bauingenieur, Betriebswirt, Familienunternehmer, Restrukturierungsberater und Sanierer, seit dem Jahr 2020 auch Mitgründer des Start-Ups eleQtron. Eines ist der 46 Jahre alte Manager mit den so vielseitigen Erfahrungen jedoch nicht: Physiker, schon gar nicht Quantenphysiker. „Ich mache alles - außer Physik“, lacht er. Aber selbst mit einem so komplizierten Metier kommt er zurecht - zumindest wenn es darum geht, das kaum zu durchschauende Leben eines Quantencomputers nahezubringen; einer Technologie, die mit zunehmender Reife ihre großen Vorzüge gegenüber anderen Hochleistungsrechnern im realen Leben, in Wirtschaft und Finanzen, in der Industrie oder im Gesundheitswesen ausspielen kann.
„Stell dir vor, du stehst vor einer verschlossenen Tür, hast eine Kiste gefüllt mit Schlüsseln, und du musst den passenden für das Schloss finden“, sagt Leisse. Einen nach den anderen ins Schloss stecken, bis der richtige gefunden ist? Das kann dauern. „Ein Quantencomputer würde alle Schlüssel auf einmal ins Schloss stecken und sofort die Tür aufschließen.“ Wahrscheinlich würden seine Mitgründer von der Universität Siegen bei derart platten Analogien mit den Augen rollen: die Quantenphysiker Christof Wunderlich, 62 Jahre und Professor, und Michael Johanning, 52 Jahre und Doktor habil. Sie sind Experten in der Quantenphysik, haben über Jahre mit Nobelpreisträgern eng zusammengearbeitet und geforscht. Wunderlich und Johanning haben vor elf Jahren den ersten deutschen Quantencomputer entwickelt. Der steht in Siegen.
Jan Henrik Leisse Fotos eleQtron
Ein Quantencomputer arbeitet - anders als jeder übliche Computer - nicht die Binärcodes, Bits und Bytes, Nullen und Einsen nacheinander ab, sondern berechnet alle Eins/Null-Kombinationen sowie alle Zustände, die dazwischen liegen, zur selben Zeit. Das macht ihn so schnell. Möglich macht es ein elektrisch geladenes Atom, Ion genannt. Das ist der große Unterschied zu Hochleistungscomputer oder Supercomputer, deren Entwicklung mit Hochdruck vorangetrieben wird. Deren Prinzip basiert auf Halbleiter beziehungsweise Schaltkreise. Mag ein solcher Supercomputer noch so rasant Bits und Bytes verarbeiten, er berechnet seine Aufgaben immer noch nacheinander und muss wesentlich mehr Rechenprozesse aufsetzen. Ein Quantencomputer kann hochkomplexe Berechnungen in wenigen Minuten vornehmen, für die ein Supercomputer tausende von Jahren benötige, zieht Leisse den Vergleich.
Er ist im Team derjenige, der das Geschäftsmodell der im Mai 2020 gegründeten eleQtron nicht nur verständlich erklären, sondern vor allem umsetzen muss. Nach den jahrelangen aufwendigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an der Uni Siegen braucht es in seinen Augen mindestens noch weitere fünf bis sieben Jahre bis zur kommerziellen Reife der Technologie. Es handelt sich um ein Deep-Tech-Start-Up, das viel Zeit und viel Geld für den Aufbau benötigt.
eleQtron ist ein Spin-Off der Universität Siegen, das sich anschickt, auf Augenhöhe von Google und IBM eine herausfordernde, aber zukunftsträchtige Technologie marktfähig zu machen. Mehr noch: Die Gründer sind überzeugt, dass ihre Technologie weniger aufwendig ist, wirtschaftlicher arbeitet, deutlich weniger Energie verbraucht, wesentlich platzsparender ist und geringere Fehlerwahrscheinlichkeiten hat. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Wunderlich und Johanning gelten auf dem Gebiet der Quantenoptik als Koryphäen - und als Pioniere. „In Siegen steht seit 2012 der erste Quantencomputer in Deutschland“, sagt Leisse, „entwickelt am Lehrstuhl von Christof Wunderlich.“ Sehr früh hegten er und Johanning Gedanken, aus ihren Forschungsergebnissen etwas Reales zu machen, kreierten schon in der Anfangsphase ihres Projektes den Namen „eleQtron“ - ein Unternehmen, das einmal „Maschinen“ produzieren soll. „Unsere DNA liegt klar auf der Hardware-Seite“, sagt CEO Leisse. „Wir sind ein Quantencomputer-Hersteller, es geht um Engineering.“ Die Grundlagen der Technik und die Baupläne seien vorhanden. „Nun müssen sie abgearbeitet werden.“
Jan Leisse, Christof Wunderlich, Michael Johanning (v.l.)
Aufgabe ist es, das zu skalieren und kommerziell auszurollen, was am Lehrstuhl der Uni Siegen entwickelt worden ist: das Produkt kleiner und wartungsärmer zu machen, die Leistung zu erhöhen, über Einsatz von Algorithmen eine automatische Kalibrierung zu ermöglichen. „Faszinierend ist, wie schnell die Rechenprozesse ablaufen“, sagt Quanten-Laie Leisse. Rechenleistungen ließen sich mit jedem zusätzlichen Qubit als kleinste Recheneinheit des Quantencomputers exponentiell enorm steigern (Siehe auch: „Auf zum Qubits einfangen").
Von der kommerziellen Marktreife ist man noch weit entfernt. Und doch gibt es wichtige Durchbrüche. Im Jahr 2022 hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zwei Quantencomputer von eleQtron bestellt, um bessere Rechenprozesse für seine anspruchsvollen Projekte zu erlangen. Aufragswert: 82 Millionen Euro. Die ersten Anlagen, die von 2024 an unter Realbedingungen arbeiten, sind keine Piloten und keine Prototypen, sondern voll entwickelte Superrechner. Aber: „Das sind keine Produkte, die die Industrie kaufen würde und für sie anwendbar wäre“, sagt Leisse. „Die verlangt einen echten Nutzen und natürlich die Profitabilität einer solchen Investition.“ Diese Erfüllung, betont er, bleibe eleQtron noch schuldig. Die beiden „Maschinen“ für den DLR seien ein Zwischenschritt auf dem Weg zu mehr Leistung und konkreten Nutzen - und eine Bestätigung für das Geschäftsmodell. Mit dem Projekt in Jülich wird schon dieses Jahr begonnen, Ende des Jahres soll ein Pilotsystem ausgeliefert und das "Endnutzersystem" dann 2026 installiert sein.
Derartige Etappen sind nicht nur willkommene Finanzierungshilfen, sondern auch entscheidend, um wichtige Kooperationspartner zu gewinnen. Ende Juni vergangenen Jahres erst ist der Münchner Halbleiterkonzern Infineon Technologies eine Allianz mit dem Deep-Tech eingegangen. Zwar ist der Dax-Konzern klassischer Halbleiter-Hersteller. Gleichzeitig befasst er sich in seinen Forschungsabteilungen mit der Quantentechnologie, womit er wertvolles Know-How aus einer derartigen Kooperation ziehen kann. Infineon-Konkurrent NXP ist schon zuvor bei den beiden DLR-Projekten Partner geworden.
Ist ein kommerzieller Reifegrad erreicht, sind die Einsatzmöglichkeiten und Anwendungen nahezu grenzenlos. In der Materialforschung, der Logistik, im Lieferkettenmanagement, für Routenoptimierungen im Luft- und Landverkehr, Verkehrs- und Ampelsteuerungen, im Energienetz-Management, in der Biotechnologie, der Pharmazie mit individuellen Medikamentenentwicklungen in Kleinstmengen oder in der Chemie werden die Superrechner mit „Fingerspitzengefühl“ (Leisse) einmal helfen können. Im Dienstleistungsbereich könnten sie Wetter- und Klimaveränderungen präziser und frühzeitiger prognostizieren, Finanz-Modellierungen die künftigen Lagen an den Kapitalmärkten voraussagen, das Risikomanagement verbessern.
Ein wichtiges Betätigungsfeld wird die Kryptographie sein; allerdings im doppelten Sinne. Einerseits könnten Quantencomputer sehr viel schneller und effektiver Codes knacken und somit als schlagkräftige wie gefährliche Cyber-Waffe eingesetzt werden. Andererseits schaffen sie die Möglichkeit, die Cyber-Sicherheit deutlich zu erhöhen. Statt ein- oder zweistellige Codes einzusetzen erhöhen achtstellige die Hürden für Hacker erheblich.
Der Versuchsaufbau des Siegener Quantencomputers vor vielen Jahren
Das Geschäftsmodell von eleQtron besteht darin, Quantencomputer herzustellen. Der Fahrplan sieht vor, dass diese zuerst in Forschungsinstitutionen und Universitäten installiert werden. Im Mittelpunkt soll langfristig jedoch neben dem Verkauf der Anlagen ebenso ein Abo-Modell (SaaS - Software as a Service) stehen. Die Maschinen werden in Rechenzentren aufgestellt, um Rechenleistung und -zeiten für Dritte zur Verfügung zu stellen. Leisse spricht von QaaS statt SaaS: „Quanten as a Service“.
Herausfordernd ist für den Vorstandschef der lange Atem, den der Aufbau des Deep-Tech verlangt. Der Bauingenieur, der an der Uni Siegen studierte, arbeitete zunächst als Bauleiter. Er erweiterte seinen Horizont mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der WHU - Otto Beisheim School of Management und machte seinen MBA. Da habe er sich den „Virus“ für die Unternehmensberatung eingefangen, sonst wäre er wohl gleich unter die Entrepreneure gegangen, grinst er. Insgesamt arbeitete Leisse sieben Jahre als Restrukturierungs- und Sanierungsberater bei der SMP Struktur Management Partner, später im Bereich Merger & Aquisitions (M&A) des Familienunternehmens und Klimatechnikherstellers Viessmann.
Im Jahr 2013 folgte er dem Ruf seiner Familie und übernahm als Geschäftsführer der Freudenberger Albrecht Bäumer GmbH & Co.KG die Verantwortung. Der Spezialmaschinenbauer und Hersteller von Schaumstoffschneidemaschinen musste neu aufgestellt, die Strukturen internationalisiert, die Digitalisierung vorangetrieben werden. Um beim Zuschneiden von Schaumstoffen möglichst effektiv zu sein und wenig Abfall zu verursachen, ist Software gefragt; dafür wie auch für Zuschnitte von Stahl- oder Blechplatten könnte übrigens ein Quantencomputer große Dienste leisten und massiv Material einsparen. Auf Dauer wollte Leisse nicht im Familienbetrieb arbeiten und fing nach sieben Jahren bei Bäumer Ende des Jahres 2020 bei eleQtron an.
Ionenfallen-Chip
Wie kommt ein Restrukturierer und Bauleiter mit den Physikern Wunderlich und Johanning zusammen, die in der Quantenforschung 30 beziehungsweise 25 Jahre tätig sind? Es ist das umfassende Netzwerk in Siegen im Entrepreneurship-Metier gewesen, das die drei zusammengebracht hat. Als Geschäftsführer im Familienunternehmen Bäumer hat Leisse gute Kontakte zu Martin Hill gehabt, der nicht nur ein Family Office betreibt (das sich an eleQtron beteiligt hat), sondern auch als Professor an der Uni Siegen im Fach Entrepreneurship lehrt. Ob er einmal „zwei total verrückte Typen“ kennenlernen wolle, fragte der Professor den Manager. Eine Woche später traf er diese „Typen“, die seit jeher über ein Spin-Off nachgedacht hatten, aber eben einen Unternehmertypen brauchten. Wunderlich forscht nach wie vor an seinem Lehrstuhl für Quantenoptik der Uni Siegen und ist nicht in Vollzeit zu eleQtron gewechselt; Johanning schon. Als Technikvorstand (CTO) bildet er die Brücke zwischen dem Forscher Wunderlich und dem Strategen Leisse.
Bis zum Ende dieses Jahrzehnts, sagt der CEO, müssten die Systeme „erkennbar performanter sein und Nutzen zeigen". Die ersten einschneidenden Fortschritte erwartet er in den nächsten zwei bis drei Jahren, bis es 2030 zu einem „Regelnutzen“ komme. „Das sind zehn Jahre nach der Gründung.“ Es klingt durch, dass er das ziemlich zügig findet. Das Projekt gewinnt auch heute schon an Tempo. Die Belegschaft soll bis Ende 2023 von 30 auf rund 70 Beschäftigte gestiegen sein. Einfach sei es nicht, rare Spezialisten und Fachkräfte anzuheuern. Die Finanzierung des Aufbaus und Wachstums ist durch Investoren abgesichert. Im Jahr 2022 hat eleQtron insgesamt 50 Millionen Euro mobilisiert, einschließlich Fördermittel von 9 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium BMBF. Hauptinvestor ist der Risikokapitalgeber Earlybird, der mit einer ersten Tranche schon 2021 eingestiegen war. Zu den Geldgebern gehört auch der Siegerlandfonds sowie die Unternehmensberatungs- und Beteiligungsgesellschaft Hill (Family Office) von Martin Hill.
„Quanten und Quantencomputer müssen in aller Munde sein, es muss noch mehr passieren“, fordert Gründer Leisse. Unabhängig von den Fortschritten bei eleQtron stellt er die Frage, ob die Wirtschaft überhaupt schon bereit ist für diese Kerntechnologie. Er spricht mehrfach vom „Aufschlauen“ von Menschen und Unternehmen. Da müsse die Industrie nachziehen, in dem das Bewusstsein wachse und die Vorteile erkannt, aber auch Fachkräfte ausgebildet würden. In Frankreich zum Beispiel sei man schon lange dabei, die Quanteninformatik an den Universitäten mit Hochdruck voranzutreiben und jene Fachkräfte ausgebildet werden, die mit solchen Maschinen arbeiten können. „Wir werden immer von der Industrie gefragt, wann wir als eleQtron endlich soweit sind.“ Das provoziert Leisse dann zur Gegenfrage: „Wann seid ihr soweit, um uns zu verkraften.“
Das von eleQtron entwickelte Quantencomputing-Konzept arbeitet mit Atomen. „Die können zur selben Zeit hier und da sein und alles machen“, drückt Gründer und CEO Jan Henrik Leisse das Prinzip ziemlich banal aus. Der Quantencomputer werde das Leben grundlegend verändern und Anwendungen anbieten, die heute noch nicht einmal im Ansatz denkbar seien. „Er wird einmal Krankheiten heilen, die heute noch nicht bekämpft werden können.“ Die Maschine wird aber auch gebändigt werden müssen, da sie viele kritische Anwendungsfälle ermöglicht. Es wird ein leichtes sein, mit ihm Verschlüsselungen zu knacken und Cyberangriffe zu fahren.
Was Leisse nicht daran hindert, von der Genialität der Technik zu schwärmen. Es gibt in der Entwicklung dieser Technologie zwei Grundrichtungen, die schwerpunktmäßig verfolgt werden: die eine basiert auf Halbleiter (Google, IBM), die andere auf Atome (eleQtron). Gemein hat der Quantencomputer bei beiden, dass Quantenbits - kurz: Qubits - die kleinste Recheneinheit darstellen; das was Bits und Bytes beim Computer sind. Qubits können viele Zustände parallel und zur selben Zeit berechnen; nicht wie bei der klassischen Computertechnik nacheinander. Damit kann ein Quantencomputer äußerst komplexe Probleme in drei Minuten berechnen, wofür ein herkömmlicher Computer 10 000 Jahre bräuchte.
Vakkumpumpe mit der Ionenfalle
Kern des von Christof Wunderlich und Michael Johanning erforschten Systems ist die Ionenfalle, die in einem elektromagnetischen Feld einzelne Atome des Metalls Yttrium fängt, verdampft, verarbeitet und programmiert. Es gibt außer eleQtron etwa drei bis vier andere Unternehmen auf der Welt, die ebenfalls mit dem Prinzip der Ionenfalle arbeiten. Die Siegener Forscher haben ein Patent auf ihre MAGIC-Technologie („MAgnetic Gradient Induced Coupling”), die sich von der Nutzung von Halbleitern/Schaltkreisen (Superconducting Qubits) durch Google und IBM unterscheiden. eleQtron setzt Hochfrequenzwellen ein, um Qubits zu steuern und programmieren. Dadurch gelinge es, die Qubits besser abzuschirmen und zu kontrollieren, erläutert Leisse. Die Mikrowellen-Technologie sei wesentlich präziser und skalierbarer, vergleichsweise günstig und leicht zugänglich. Für das „MAGIC-App-Projekt“ hat eleQtron 2022 vom Bundesforschungsministerium (BMBF) eine Förderung von 9,2 Millionen Euro erhalten.
„Das besondere an der Technologie ist, dass mit jedem zusätzlich eingesetzten Qubit der Leistungszuwachs exponentiell steigt.“ Doppelte Rechenleistung bedeutet nicht doppelt so viel Hardware. Zugleich ist eine deutlich kleinere Peripherie vonnöten, da die für die Herstellung von Qubits notwendige Kühlung effektiver ist. eleQtron setzt Laser statt Stickstoff oder Helium ein. Wenn die Rede von IBM- und Google-Superrechnern ist, wird in der Regel auf die riesigen „goldenen Kronleuchter“ verwiesen, die als Kühlaggregate eingesetzt werden. Nur in Kältebädern mit extrem niedrigen Temperaturen lassen sich die Qubits behandeln. Die kann man sich bei der Ionenfallen-Technik sparen.
Quantenprozessor „IBM Quantum System One" Foto IBM
Programmieren mit Mikrowellen, Kühlen mit Lasern - das ist der große Unterschied von eleQtron zu Google und IBM, die quantenmechanische Schaltkreise einsetzen und auf sogenannte Suprachips aufgetragen und dann mit Lasern bearbeitet werden. Die müssten also erst einmal „von Hand“ gefertigt werden, womit immer auch ein Fehlerrisiko verbunden sei, erläutert Leisse. Bei Atomen sei das nicht der Fall, da würden Qubits durch Hochfrequenzwellen in einer Ionenfalle direkt gesteuert. So könnten sie besser von äußeren Störungen abgeschirmt, daher präziser und in größeren Stückzahlen produziert werden. eleQtron arbeitet zwar auch mit Chips, aber als Mittel zum Zweck. Mit denen werden die Ionen in der Ionenfalle gefangen und dann programmiert. „Für uns ist das Ion der Qubit, den wir kontrollieren, nicht ein Halbleiter.“
Die Ionenfalle ist das Kernprodukt, das eleQtron einmal fertigen und kommerziell verkaufen will. Die befindet sich in einer Vakuumkammer, 60 mal 40 Zentimeter groß. Durch die Änderung des elektromagnetischen Feldes können die gefangenen Qubits bewegt und in bestimmte Kettenformationen versetzt werden. Dabei gilt es, diese Qubits nicht herumtanzen zu lassen, sondern sie stabil und ruhig zu halten. Makro- und Mikrofallen kontrollieren die Rechenbausteine.
Sie sind durch ein Glasfenster im Vakuumzylinder mit einer Spezialkamera sogar zu sehen, die vom Laser angestrahlt werden und reflektieren. Am Ende geht es darum, möglichst viele Qubits in einer Kettenformation zu erzeugen. Aktuell hat es eleQtron geschafft, fünf solcher Qubits aufzureihen. Ziel müsse es bei der Realisierung des Geschäftsmodell sein, diese zu vermehren und damit die Rechenleistung zu erhöhen. Da liegen dann doch derzeit noch Welten zwischen eleQtron und IBM oder Google. Die Amerikaner haben bereits um die 50 Qubits „angekettet". IBM beansprucht, schon 28 Quantencomputer im kommerziellen Umfeld im Einsatz zu haben, und strebt langfristig nach eigenem Bekunden einmal eine Rechenleistung von mehr als 1000 Qubits an.
Quantenprozessor „Sycamore" von Google Foto Google
Die Kühlung und der Energieaufwand werden - neben der Rechenleistung - ein wesentliches Kriterium für die Wirtschaftlichkeit von Investitionen in Quantencomputer sein. Am Ende wird die Klimatechnik um den Rechnerraum herum etwa vier Schaltschränke umfassen, könne ein eleQtron-Rechner mit allem drum und dran in einer Pkw-Einzelgarage Platz finden, sagt Leisse. Der Energieverbrauch liege in der Größenordnung eines Ein-Familienhauses, zieht er den Vergleich zum Supercomputer von IBM und Google. Der erfordere eine Fläche von vier Tennisplätzen; vom gigantischen Stromverbrauch einmal völlig abgesehen, der ein Vielfaches ausmache. Der horrende Bedarf an Energie und Kühlung beschränkt schon jetzt in der nicht-kommerziellen Phase oftmals die Leistung von Rechenzentren, da nicht genügend Strom bereitgestellt werden kann.