Kleine und mittelständische Unternehmen von den teuren Launen der Strommärkte zu befreien, das sehen Jil und Mark Hellmann Regouby als ihre Mission. Sie haben ElectroFleet gegründet, die Betriebe mit der Installation von Photovoltaik-Anlagen unabhängig vom Netz macht und eine langfristig sichere, zuverlässige, zu festen Preisen kalkulierbare Stromvollversorgung ermöglicht. Durch die virtuelle Vernetzung einer Solar-Flotte entsteht so ein großes Kraftwerk - verteilt über das ganze Land. Jil Hellmann Regouby stammt aus der Familie, die den Logistikkonzern Hellmann betreibt. Sie repräsentiert die fünfte Generation.
31. Januar 2023 - Von Rüdiger Köhn, München
Gemeinsam sind Einzelne stärker. Viele Solaranlagen bilden zusammen ein riesiges Kraftwerk. So soll kleinen und mittelständischen Unternehmen die Unabhängigkeit von großen Stromerzeugern, Netzbetreibern und vor allem von unberechenbaren Strombörsen ermöglicht, eine klimaschonende Versorgung mit erneuerbarer Energie günstig gesichert werden. Mit ElectroFleet wollen Jil und Mark Hellmann Regouby einen solchen Sonnen-Verbund errichten. Unternehmen erzeugen dabei mit ihren Photovoltaikanlagen auf dem Dach aber nicht nur den von ihnen benötigten Strom, sondern geben überschüssige Energie an das errichtete virtuelle Netz von ElectroFleet ab, im Grunde ein großes, über die Fläche verbreitetes Solarkraftwerk. Mark Hellmann Regouby nennt es das „Virtual Power Plant“.
Noch bevor die 2019 enstandene Idee nun mit Pilotprojekten in diesen Wochen in die konkrete Aufbauphase geht, hat sich schon ein potenter Interessent und Privatinvestor aus der Energiebranche gemeldet. „Wir haben bereits ein Kaufangebot erhalten“, sagt Mark Hellmann Regouby. Das sei exakt das Modell, dass er suche, soll der potentielle Käufer gesagt haben. Der wisse, wovon er spreche. Ehefrau Jil fügt hinzu: „Da gibt es Unsummen von Geld, die in Technologien nachhaltiger Energieerzeugung investiert werden wollen.“ Jil Hellmann Regouby stammt aus der Unternehmerfamilie des internationalen Logistikdienstleisters Hellmann Worldwide Logistics aus Osnabrück.
Jil und Mark Hellmann Regouby Foto Elektrofleet
Mehr Bestätigung für die Geschäftsidee des Ehepaares geht kaum. Doch für die Gründerin ist klar, verkauft wird nicht. „Wir versuchen, so viel wie möglich ohne Investor zu stemmen.“ Der Interessent habe eine Vision - und ziemlich viel Kapital, macht Ehemann Mark einen offenbar Gleichgesinnten aus. Wenn auch nicht so viel Geld, Vision und Leidenschaft investieren die beiden Start-Upper mindestens genauso viel.
Die Vorbereitungen laufen schon seit drei Jahren, auch was das Einsammeln von Kapital angeht. Jil und Mark Hellmann Regouby, 36 und 52 Jahre alt, haben aber erst im März vergangenen Jahres ElectroFleet gegründet. Der Pilot für ihr ehrgeiziges Projekt soll noch im ersten Quartal mit einem Kunden starten. Im Laufe des Jahres könnten nach erfolgreichem Start dann zwei Anlagen im Monat entstehen, schon nach eineinhalb Jahren ein kommerzieller Status erreicht werden. „So könnten wir gar bis Ende 2023, profitabel sein“, hofft Mark Hellmann Regouby.
Fast jedem Satz ist die Passion für das Neue, die Disruption, für Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu entnehmen. „Wir wollen ein wirklich kritisches Problem im Ungleichgewicht der Stromversorgung lösen“, sagt er. „Dazu setzen wir viele Stücke und Teile zusammen, was wohl sonst niemand gern machen möchte, um Netzstabilität in der nachhaltigen Stromversorgung zu erzielen.“ Das sei nicht unbedingt ein schönes, prickelndes Geschäft, weil es darum gehe, „Ordnung in ein Chaos, in einen undurchsichtigen und hochkomplexen Energiemarkt zu bringen“. Bei ElectroFleet handele es sich ja nicht nur um den Aufbau einer virtuellen Plattform, die einfach über die Cloud vertrieben werde.
Das Konzept der Elektroflotte besteht schließlich darin, kleinen und mittelständischen Unternehmen eine langfristig zuverlässige, planbare, autarke und günstige Versorgung mit nachhaltigem Strom aus Sonnenkraft zu ermöglichen, ohne von Preisschwankungen und absehbaren weiteren Verteuerungen sowie unsicherer Versorgungslage abhängig zu sein: eine „Stromvollversorgung“, die vertraglich für zwanzig Jahre zu Festpreisen garantiert werde. Warum solle man nur großen Energiesversorgern die Stromproduktion überlassen, warum solle nicht jedes Unternehmen in die Erzeugung einsteigen können?
Wesentlicher Bestandteil des Virtual Power Plant ist die intelligente Vernetzung der Stromerzeugung vieler Photovoltaikanlagen der Unternehmenskunden, aber auch der Speicherung von Solarstrom als wichtiges integrales Element des Geschäftsmodells „Speichern ist der Schlüssel“, sagt Mark Hellmann Regouby. Das mache die Virtualisierung erst möglich. Das lasse den Bau riesiger Kraftwerke mit hohen Investitionen im Vergleich dazu fast schon unnötig erscheinen. Das Konzept trägt der erforderlichen Lokalisierung der Produktion erneuerbarer Energien Rechnung. Egal, wo die Anlage stehe, durch die Speicherung könne flexibel der Strom bedarfsgerecht genutzt und bei Überschussmengen auch verteilt werden, abgekoppelt von Preisspitzen zu Stoßzeiten.
Das Start-Up bietet schlüsselfertige Anlagen an. „Wir übernehmen alle Risiken“, sagen die Gründer. In dem gesamtheitlichen Ansatz installiert ElectroFleet die Panelen auf dem Dach, errichtet die Infrastruktur, übernimmt Service und Wartung, die Vermarktung des Solarstroms während der Vertragslaufzeit sowie die Finanzierung. Für den Handel des überschüssig vom Kunden erzeugten und gespeicherten Solarstroms ist im Gegensatz zur Autarkie der Unternehmen als Kunden natürlich der Zugang zum Versorgungsnetz erforderlich. Dazu hat Mark Hellmann Regouby das intelligente, virtuelle Stromnetz entworfen, um den Stromüberschuss optimal zu handeln. Das wird die eigentliche Ertragsquelle des Start-Ups werden.
Die Anlagen bleiben im Besitz von ElectroFleet. Sie erhält das Recht, das Dach oder andere bereit gestellte Flächen für die Solarpanelen zu nutzen sowie Batterien aufzustellen. Der Kunde unterzeichnet einen langfristigen Abnahmevertrag zum Festpreis, für den die Stromkosten über zwanzig Jahre damit fest planbar sind. Der Preis wird vorab auf Basis von Bedarf, Stromproduktion, der Kosten für Aufbau der Anlage sowie für die Finanzierung kalkuliert. „Wir berechnen Kosten und Preise anhand von Modellen, die unabhängig von den Entwicklungen der Märkte sind und nicht extern beeinflussten Schwankungen unterliegen“, sagt Mark Hellmann Regouby.
Unkontrollierbare Preisentwicklungen, wie man sie seit einem Jahr erlebe, würden ausgeschaltet, das Unternehmen bei wichtigen Energiekosten auf einem belastbaren Fundament stehen. So könnten die Strompreise um ein Drittel bis um die Hälfte günstiger sein. Das Konzept ähnelt dem Angebot von Enpal oder Sonnen GmbH, die Photovoltaik-Anlagen auf Dächer von Wohnhäusern installieren und unter eigener Regie betreiben. Während diese jedoch den Privatmarkt und Konsumenten (B2C) adressieren, spricht ElectroFleet Unternehmen an (B2B). Dort können Solarprojekte in sehr viel größeren Dimensionen errichtet werden.
Auf die Geschäftsidee gekommen ist das Ehepaar 2019. Gestartet wurde das Fund Raising bei nicht näher beschriebenen Geldgebern (Family Offices) im Jahr 2020. Da lebten beide noch in Amerika, in der Nähe von Mark Hellman Regoubys Familie. In den Vereinigten Staaten gibt es angesichts der Weite in abgelegenen Regionen mit dünner Besiedelung, mitunter aber auch aus regulatorischen Gründen (Zugangsrechte) seit langem unabhängige Stromversorgungen mit regenerativen Energien, die auf Insellösungen basieren; sie sind nicht an ein Stromnetz angeschlossen. Etliche Gigawatt würden auf diese Weise erzeugt, ohne mit überregionalen Netzen verbunden zu sein. Davon ist Deutschland weit entfernt.
Nach nicht einmal einem Jahr haben es Jil und Mark Hellmann Regouby geschafft, das erste Pilotprojekt mit einem Kunden in Angriff zu nehmen und schon bald den ersten Solarstrom zu handeln. Mit 15 laufenden Anlagen werde man die Gewinnlinie überschreiten, auf deren Grundlage man konstante Einnahmeströme generieren könne. Mit Hochdruck arbeiten sie daran, die Lieferkette für die Anlagen sicherzustellen, was gegenwärtig mit Blick auf die Knappheiten etwa bei den Solarpanelen, aber auch bei den Batterien eine Herausforderung ist. Die Finanzierung einzelner Anlagen erfolge über lokale Kreditintsitute.
Gibt es eine bessere Bestätigung für eine solches Geschäftsmodell, wenn ein potenter Investor dafür bietet, bevor überhaupt ein Watt Solarstrom darüber erzeugt und verkauft worden ist? Jil Hellmann Regouby hält den Ball flach. „Ein besserer Beweis für den Erfolg ist es, wenn wir in einem Jahr noch einmal sprechen und alles so umgesetzt ist, wie wir es geplant haben“, lacht sie.