Der plastikfreie Nassrasierer aus rostfreiem Metall soll eine Antwort auf die Wegwerfrasierer sein, die Müllmengen in wenig bekanntem Ausmaß verursachen. Und er ist ein Statement gegen das „Rasierklingen-Modell" der etablierten Anbieter, auch wenn die Anschaffung des Design-Produktes auf dem ersten Blick teuer erscheint, sich aber schnell amortisiert hat. Maschinenbauer und Tüftler Armin Lutz Seidel hatte die Idee und sie im 3D-Drucker umgesetzt. Er und seine Tochter Romy Lindenberg, erfahrene Start-Upperin und Marketingexpertin, haben 2020 Shavent gegründet und bislang 30.000 Stück ihrer Rasierer mit Schwingkopf verkauft. Der frühere Formel-1-Rennfahrer Nico Rosberg und Unternehmerin Judith Williams sind als Investoren eingestiegen, wollten mehr, mussten sich aber mit je 7,5 Prozent Anteil begnügen.
28. November 2022 - Von Rüdiger Köhn, München
Das Herz von Shavent schlägt in einer kleinen Kammer, vollgestopft mit teils archaisch anmutenden Gerätschaften. Das ist die Werkstatt von Armin Lutz Seidel. Geräte sind in Regalen gestapelt, die er selbst gebaut hat, auch mit Hilfe eines 3D-Druckers. Den hat Romy Lindenberg ihrem Vater zu Weihnachten 2019 geschenkt. Sie kennt dessen Tüftler-Leidenschaft als Maschinenbauer zur Genüge.
Shavent-Gründer Romy Lindenberg und Armin Lutz Seidel Fotos Rüdiger Köhn
Etliche Türen entfernt befindet sich das Büro der beiden, wo vier Mitarbeiterinnen in aller Stille das Online-Portal von Shavent betreuen und Bestellungen abwickeln. Ein paar Stockwerke höher geht es in die Werkstatt, wo Nassrasierer mit Schwingkopf endgefertigt werden, von Armin Lutz Seidel, 65, und Tochter Romy Lindenberg, 38, höchstselbst, unterstützt durch Teilzeitkräfte. Auf dem Tisch stehen diverse Maschinchen „Made by Seidel". Auf demselben Flur sitzen nebenan in einem viel größeren Lagerraum zwei Mitarbeiterinnen und verpacken die bestellte Ware: ein exklusives, silberfarbenes Rasiergerät aus rostfreien Metall. Mehr als 30.000 Päckchen haben sie bislang versendet.
Was sich in München-Obersendling auf dem ehemaligen Siemens-Gelände im ziemlich unübersichtlichen M-Gewerbepark in Gebäude 64.07a niedergelassen hat, ist nichts anderes als eine Garage, wie man sie zu Start-Up-Gründerzeiten aus dem Silicon Valley kennt; allerdings ohne Tor und in vier Räumen auf zwei Stockwerken verteilt. Als Romy Lindenberg an jenem Heiliagabend 2019 ihrem Vater den 3D-Drucker schenkte, ahnte sie nicht, was dieser nur wenige Tage zuvor unter der Dusche ausgeheckt hatte. Es müsste einen plastikfreien Schwingkopf-Rasierer geben, dachte er sich während der Rasur. Ihn nervten die Wegwerfrasierer aus Plastik mit ihren kleinen Klingen, die Kunststoff in ungeahntem Ausmaß vergeuden und nicht recyclebar auf dem Müll landen. Noch an den Weihnachtentagen 2019 druckte er mit dem Präsent der Tochter den ersten Prototypen eines ungewöhnlichen, massiven Schwingkopf-Rasierers aus. Wenn Seidel sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist er nicht zu bremsen; so wie er begeistert über seine Maschinen-Kreationen spricht.
Die Shavent GmbH wurde wenige Tage vor dem Shutdown Mitte März 2020 gegründet. Ein halbes Jahr später, im September, begann der Verkauf auf der eigenen Online-Plattform. Ein Crowdfunding finanzierte die ersten 100 ausschließlich in Deutschland hergestellten Stücke. Ein Unternehmen in Thüringen fertigt Schaft und Schwingkopf im Druckguss-Verfahren. Die Teile werden mittlerweile in größeren Mengen nach München geliefert, wo sie im Haus 64.07a des M-Gewerbeparks zusammengesetzt werden. Die für den Schwingkopf erforderliche Feder, die für die lange Lebensdauer funktionieren muss, setzt etwa eine kleine Maschine präzise ein - gebaut von Seidel, versteht sich.
Der umtriebige Tüftler und die Start-Up erfahrene Tochter haben Shavent gegründet, weil sie eine umwelt- und ressourcenschonende Antwort auf den riesigen, verschwenderischen Markt für Wegwerfrasierer geben wollen. Hersteller wie Gilette oder Wilkinson bieten den Schaft verlockend billig mit einem kleinen Set von Aufsätzen im Paket an; richtig kassiert wird in der Folge mit dem Verkauf der Rasierklingen-Sets, die nach mehrmaligem Benutzen im Müll landen. Dieses lukrative „Rasierklingen-Modell" wird auch gerne von Anbietern zum Beispiel von Kaffee-Kapseln oder Wasserfiltern genutzt, die ebenso enorme Müllmengen verursachen. Shavent setzt auf den Einmalverkauf, ohne große Anschlussgeschäfte. Der rostfreie Rasierer kostet 105 Euro. Im Set mit 100 klassischen Rasierklingen liegt der Preis bei 112 Euro. Von den scharfen Schneiden, wie sie Coiffeure bei professionellen Rasuren nutzen, werden drei sogenannte „Half-Blades“ eingelegt; eine Packung ergibt also 33 Sets. Der Preis erscheint nur auf dem ersten Blick stolz: „Je nach Anwendung hat sich der Kauf nach zwölf bis 24 Monaten amortisiert“, sagt Seidel.
Tatsächlich geht es um ganz andere, kaum vorstellbare Zahlen. Allein in Deutschland fällt jährlich Müll von einer halben Milliarde nicht recyclebarer Wechselköpfe aus Plastik, Aluminium und Edelstahl an, hinzukommen die Schafte aus Plastik. Dieser Unrat, haben Seidel und Lindenberg ausgerechnet, findet Platz in einhundert 40-Tonnen-Lastwagen und hat ein Gewicht von 16 Freiheitsstatuen. Diese Massen kommen zustande, weil sich ein beachtlicher Anteil der Männer nass rasiert. Laut Statista sind es in Deutschland 40 Prozent; immer noch 24 Prozent rasieren sich sowohl nass als auch trocken (siehe Grafiken). Etwa 35 Prozent der Frauen bevorzugen laut Statista den Einweg-Nassrasierer, 25 Prozent ein Nassrasierer-System (Mehrfach-Nennungen). Auf europäischer Ebene weichen die Zahlen nicht wesentlich ab. Armin Seidel schaute sich die Marktstudien an und staunte nicht schlecht. Ihm drängte sich nämlich zu allererst die Frage auf: „Lohnt sich die Geschäftsidee überhaupt?“ Sie lohnt sich.
Der Shavent ist für Männer ebenso geeignet und gedacht wie für Frauen. Genderspezifische Produkte mit rosafarbenen Rasierern für die weibliche sowie schwarzen oder blauen für die männliche Klientel spielen in den Augen von Lindenberg streng genommen keine Rolle und sind Marketing-Schnickschnack. Käufer der silberfarbenen Nassrasierer sind ihren Angaben zufolge zu 60 Prozent Männer und zu 40 Prozent Frauen. Berücksichtigt man, dass ein Teil der weiblichen Kundschaft den Shavent als Geschenk bestellt, schätzt Lindenberg das Nutzerverhältnis auf 70 zu 30. Dass das Konzept funktioniert, sehen die Gründer in der Rücklaufquote der bestellten Produkte im nur einstelligen Prozentbereich, ein für den Online-Handel ungewöhnlich niedriger Wert.
Armin Seidel setzt mit seiner gebauten Maschinen die Feder ein.
Das gesamte Geschäft läuft über Internet, rühren die Gründer die Werbetrommel nur über soziale Medien und Netzwerke. Stationärer Handel kommt bei diesem Nischenprodukt so gut wie nicht in Frage. Nur vereinzelt haben kleine Fachgeschäfte das Produkt im Sortiment, die darauf aufmerksam wurden und mit dem sie sich gegenüber Konkurrenten vor Ort absetzen wollen. Seit jüngstem gehört die Handelskette Manufactum als größerer Abnehmer zu den Kunden, die sich auf ein exklusives, ausgefallenes Sortiment von Luxusartikeln konzentriert. So verhält es sich auch in der Schweiz, wo einige größere Händler mit Edelprodukten den Rasierer in ihr Programm genommen haben.
Bekanntheit haben Seidel und Lindenberg durch den Auftritt bei der Investorenshow „Höhle der Löwen“ erlangt. Dadurch sind der frühere Formel-1-Rennfahrer Nico Rosberg sowie die Unternehmerin Judith Williams als Financiers mit jeweils 7,5 Prozent aufgesprungen, auch wenn sie 25 Prozent forderten. Mehr aber wollten die Gründer nicht abgeben, so überzeugt sind sie von ihrem Konzept. „Wir wollen immer selbst finanziert bleiben und haben von Anfang an mindestens mit einer schwarzen Null operiert“, sagt Lindenberg. Der Fernsehauftritt war für sie ein Marketing-Vehikel. Mit Kosmetik-Unternehmerin Williams kooperieren sie jedoch konkret auch beim Verkauf von Accessoires.
Ein paar Geräte, Marke Eigenbau
Armin Seidel und Romy Lindenberg, Senior und Juniorin, Tüftler und Start-Up-Erfahrene sowie Marketingexpertin - beide ergänzen sich ideal und treiben ihre Idee mit Verve voran. Seidel hat Maschinenbau in Chemnitz studiert. Ihm gelang die Ausreise aus der DDR noch vor dem Mauerfall, zog mit seiner Frau (ebenfalls Maschinenbauerin) und Tochter Romy („Ich war ein typisches Kindergarten-Kind“) Anfang 1989 nach Augsburg. Dort fand er sofort eine Anstellung, machte sich mit einem Partner sechs Jahre später selbstständig. Mit seinem Ingenieurbüro spezialisierte er sich auf Anlagen- und Maschinenbau sowie Industrieautomatisierung, war am Bau von Roboter- sowie Schweißstraßen bei BMW, an der Automation in der Fertigung von Osram und Kuka beteiligt. „Ich habe nicht selbst konstruiert, sondern als Berater die Projekte geführt.“ Jahre später verkaufte er seine Firma, gingen die Partner getrennte Wege. Ihn zog es ins italienische Bergamo, wo er als Consultant einem Unternehmen aus der Krise geholfen hat. Noch heute lebt er dort. Zurzeit jedoch sei er vielleicht gerade einmal drei Tage im Monat dort, die andere Zeit verbringe er in München.
Romy Lindenberg hat an der WHU - Otto Beisheim School of Management in Koblenz Business Adminstration beziehungsweise Betriebswirtschaft studiert. Sie arbeitete zwei Jahre als Unternehmensberaterin bei Booz & Company, vier Jahre bei Hubert Burda Media und machte einen kurzen Zwischenstopp bei Sky Deutschland, die dann aber von der britischen Muttergesellschaft einverleibt wurde. Im Jahr 2015 zog es sie zum Start-Up und Kochboxen-Anbieter Hellofresh, wechselte später als operative Vorständin (COO) zu BodyChange, einem Anbieter von Fitness- und Ernährungsprogrammen. Dort schied sie 2019 nach knapp zweieinhalb Jahren aus. Nebenher berät Lindenberg heute noch Unternehmen und Start-Ups.
Selbst gebaute Etikettiermaschine, aus seinem 3D-Drucker
Als Armin Seidel unter Dusche stand, konnte er sich noch nicht vorstellen, was er für eine Idee ersonnen hatte. Und seine Tochter hatte auch nicht ahnen können, dass ein umweltfreundlicher, nachhaltiger Nassrasierer auf großes Interesse stößt. Das wurde beiden erst bewusst, als sie ihre Errungenschaft im Fernsehen präsentierten und durch die erlangte Bekanntheit rechtzeitig vor Weihnachten 2021 einen Schub im Absatz verzeichneten. Doch selbst nach dem Abflauen des Hypes durch die Fernsehsendung konnten sie das Verkaufsniveau einigermaßen hoch halten. „Wir haben gesehen, wie viel Marktpotential in dem Rasierer steckt“, sagt Lindenberg. Nach zwei Jahren schon bei Manufactum gelistet zu sein, sei ja auch nicht schlecht, grinst sie.
Eine Erweiterung des Produktangebotes über den Nassrasierer hinaus, steht nicht an. Im nächsten Jahr sei die regionale Expansion das große Thema, soll der Verkauf in Österreich und Schweiz angetrieben werden. Erste Gehversuche macht Shavent nun in Großbritannien. In „Buy Me Once“ haben die beiden Gründer eine britische Online-Plattform als Partner gefunden, die ausschließlich langlebige und nachhaltige Produkte anbietet - die man eben nur einmal im Leben zu kaufen braucht. Von der Resonanz hängt es ab, ob der Vorstoß auf die britische Insel ernsthaft angegangen wird und auch andere Märkte in Europa ins Auge gefasst werden. Der Garagenbetrieb hat viele Pläne, weshalb Romy Lindenberg fest davon überzeugt ist: „Wir sind jetzt erst mal die Rasierer-Experten“, lacht sie. Es sei denn, Vater und Seidel kommt mal wieder auf neue Ideen; muss ja nicht unbedingt unter der Dusche sein.