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28 Aug
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Bobby Östberg kann mit Mode von der Stange nichts anfangen. Er hasst Kompromisse. Daher hat er eine Software entwickelt, mit der Hemden maßgeschneidert per Internet bestellt werden können. Unglaublich aber wahr: Die Hemden passen - die Rüclaufquote beträgt nicht einmal fünf Prozent.

28. August 2020

Bobby Östberg ist digital. Es gibt kein "Sowohl-als-auch", sondern nur ein "Entweder-oder"und - wie es in der Programmiersprache heißt - "1" oder "0". Mag Östberg noch so viel lächeln, selbst mit seiner freundlichen Miene kann er in einer Sache unerbittlich werden: "Wenn ich ein Hemd trage, muss ich mich darin wohl fühlen." Groß ist seine Abneigung, in einem Modegeschäft einzukaufen. Das Passende finde er eh nie. All der Aufwand, um am Ende Kompromisse machen zu müssen? "Das will ich nicht", ist Bobby Östberg absolut kompromisslos

.Das hat ihn geradezu "besessen" gemacht. Seine Unzufriedenheit ist nicht latent, sondern dauerhaft. Seit sieben Jahren treibt sie ihn um, weshalb er sich der individualisierten, aber erschwinglichen Mode widmet. 2017 gründete er das Start-up ZyseMe. Das hat eine Software entwickelt, mit der sich online maßgeschneiderte Hemden bestellen lassen, die in wenigen Minuten produziert und binnen zwei Wochen ins Haus geliefert werden. Fünf Fragen über Größe, Körperbau oder Training, den Rest übernimmt künstliche Intelligenz, die das Schnittmuster entwirft. Um jede spontan aufkommende Skepsis im Keim zu ersticken: Die Hemden passen - in der Regel. Die Rücklaufquote, sagt Östberg, betrage nicht einmal 5 Prozent. Das ist für ihn ein Beleg für die hohe Zuverlässigkeit seiner Software.


                                   Bobby Östberg                                                                                                                                        Foto ZyseMe

ZyseMe liefert das Programm, nicht die Hemden. Das übernehmen die Modekette Hennes & Mauritz (H&M) sowie das Herrenmodehaus Hirmer als Kooperationspartner, die Hemden in verschiedenen Formen und Mustern als Unikat fertigen und ausliefern. "Tausende Hemden " seien verkauft worden. Bobby Östberg hat sein Start-up in Berlin gegründet, wo er seit sieben Jahren lebt. Davor arbeitete er sieben Jahre für die Unternehmensberatung McKinsey als Einzelhandelsfachmann in New York. 

Er liebte den stressigen Job, wollte aber wieder zurück nach Europa, "zu Familie und Freunden". Berlin ist zwar nicht Schweden und schon gar nicht sein Heimatort Skinnskatteberg, ein kleines Nest 150 Kilometer nordwestlich von Stockholm. Doch Berlin hat eine ausgeprägte Start-up-Szene, und sein Bruder lebt dort. Der 43 Jahre alte Bobby Östberg ist der große Bruder vom drei Jahre jüngeren Niklas Östberg, dem Gründer und Vorstandschef des seit August 2020 im Dax notierten Essenslieferanten Delivery Hero. Beide verbindet eine enge Beziehung, obwohl über viele Jahre die räumliche Distanz groß war.

Ehrgeiz liegt in den Genen der Östberg-Brüder

"Wir sind beide sehr ehrgeizig, wir bewundern uns gegenseitig und hinterfragen uns auch immer wieder, um besser zu werden", sagt der Große, der mit seinem Stolz gegenüber dem Kleinen nicht hinterm Berg hält. Der eine kümmere sich eben um die Hungrigen, der andere um die Modischen, lacht Bobby Östberg. Beide seien sehr ambitioniert. Wettstreit zwischen ihnen habe es schon zu Kinderzeiten gegeben - aber immer nur im Spaß, nämlich wenn es um messbare Ergebnisse etwa im Sport gegangen sei. Beide seien sehr beschäftigt, doch es gebe Zeit, sich zu beratschlagen oder gemeinsam im Berliner Grün zu laufen.Unternehmertum ist beiden in die Wiege gelegt. 

Sie sind in einer Kleinunternehmerfamilie aufgewachsen, die ein vom Großvater gegründetes Sportgeschäft in Skinnskatteberg betrieben hat. Damit, so Bobby Östberg, war schon einmal die Nähe zum Einzelhandel gegeben. Seine Studienabschlüsse in Wirtschaft und Maschinenbau waren das eine. Vorher war Sport in den jungen Jahren das wichtigste, und zwar Skilanglauf. "Bis Anfang 20 war das ein großer Teil meines Lebens", sagt der einstige Schüler eines Sportcolleges, der für das schwedische Nationalteam Wettkämpfe bestritt. "Ich wollte die Olympischen Spiele gewinnen", macht er keinen Hehl aus seinem Ehrgeiz.Daraus wurde nichts. Mehr und mehr geriet die New Economy in den Fokus, die erste große Welle von Gründungen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre.

Mit einem Inkubator begann alles

Während des Studiums gründete er an der Uni nebenher einen nichtgewinnorientierten Inkubator, wodurch damals schon eine Leidenschaft für Start-ups entbrannte. Er habe anderen geholfen und "etwas Beratung gegeben". Über die Kooperation im Inkubator mit McKinsey kam der Kontakt zu seinem ersten Arbeitgeber zustande. Schon da sah er sich mit den für ihn unbefriedigenden Ergebnissen von Online-Textilhändlern konfrontiert. Das Heimweh zog ihn nach Europa zurück. Offenbar ließ sich auch das Gründergen nicht mehr unterdrücken. Mit 24 Ideen für Gründungen in der Tasche oder im Kopf ließ er sich in Berlin nieder. Viele hätten mit Gesundheit zu tun gehabt, manche mit Datenmanagement und eines mit Podcasts. 

Östberg blieb textil. Nach Erkundungen in der europäischen Modeszene gründete er 2014 Tailor & Tales, ein Internetunternehmen für maßgeschneiderte Männerkleidung. Doch das Geschäft wollte nicht in Fahrt kommen. Es war schwierig, maßgeschneiderte Hemden oder Jacketts in den notwendigen Mengen an den Mann zu bringen. Auf seinen Erfahrungen aufbauend, gründete Östberg ZyseMe, das heute rund 15 Mitarbeiter beschäftigt.Er konzentriert sich auf Software, nicht auf Fertigung. Seit Anfang 2019 hat er H&M und Hirmer als Partner. Die Zusammenarbeit laufe gut. 

Es bleibt ein Start-Up - aber es wächst

"Wir befinden uns nun in einer Phase der Kommerzialisierung", sagt Östberg. Im Herbst würden weitere Kunden hinzukommen; auch ausländische, etwa einer aus den Vereinigten Staaten und ein größerer in Europa. Er hofft, bis Jahresende fünf bis zehn neue Partner zu gewinnen. Anfang 2021 soll das Portfolio für Maßgeschneidertes erweitert werden, etwa um bequeme Hosen, Sweatshirts und Sakkos.Östberg weiß, dass ZyseMe für lange Zeit ein Start-up bleiben wird. Vielleicht werde es einmal ein großes Start-up sein, lacht er. 

"Es wird noch Jahre dauern, bis wir etabliert sind", gibt sich Bobby Östberg im Gegensatz zum im Establishment angekommenen Bruder Niklas zurückhaltender, dessen Delivery Hero noch keinen Euro verdient hat.Bobby Östberg geht es auch um eine "Mission": Sein Modesystem entferne sich von der traditionellen Produktion, in der es unvermindert maßlose Produktionsexzesse mit einer unglaublichen Verschwendung von Ressourcen gibt. Jedes Jahr würden gewaltige Mengen nicht verkaufter Saisonware vernichtet.

Mit seinem Konzept der bedarfsgerechten Fertigung könnte dieser Wahnsinn gestoppt werden. Etwa 3 Prozent des Kohlendioxidausstoßes verursache allein die Überproduktion von Textilien. Auch deshalb ist er von ZyseMe überzeugt, mag es noch so lange ein Start-up bleiben. Das muss ihn nicht an seinem Stolz hindern: "Das, was ich tue, ist richtig und gut."

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