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10 Feb
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Die Formel 1 interessierte sich für die Strömungssonden von Vectoflow. Gründerin Katharina Kreitz konnte  es zunächst nicht glauben und dachte an einen schlechten Scherz, die Webseite des Start-Ups sei gehackt worden. F1-Teams aber waren ihre ersten Kunden. Schon drei Jahre nach Gründung erzielt Vectoflow Gewinne, so gefragt sind die Produkte, die von 3D-Druckern ausgespuckt werden. Denn die Sonden messen genauer als herkömmliche. Sie sind extrem belastbar. Sie können individuell und flexibel gedruckt werden, weshalb sie überall einsetzbar sind - selbst in Dunstabszugshauben.

10. Februar 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Der Druck ist in den zurückliegenden Wochen noch schlimmer geworden. Ohnehin zieht er sich seit November schon hin. „Natürlich wollen die alles immer schon gestern haben“, sagt Katharina Kreitz. Die? Das sind die Formel-1-Teams, die ihrerseits mächtig unter Druck stehen. Ihre Boliden für die neue Rennsaison 2022 werden auf der Teststrecke in Barcelona zwischen dem 23. und dem 25. Februar erstmals ihre Runden drehen. Das Design der Autos von Max Verstappen (Redbull), Louis Hamilton (Mercedes) oder Sebastian Vettel (Aston Martin) stand eine Woche vor Weihnachten fest. In der zweiten Januar-Hälfte mussten Kreitz und ihr Team aus mehr as 20 Mitarbeitern liefern. Das sei jedes Jahr so, lacht sie. „Manchmal ist das wie ein Überraschungsei, denn was wir bauen, ist so ziemlich am Limit, was überhaupt machbar ist.“ Und immer wieder klappt es: „Jedes Mal ein Herzschlag-Finale.“

     Katahrina Kreitz                                                                                                     Foto Rüdiger Köhn

Die Strömungssonden, die Kreitz mit ihrer 2015 gegründeten Vectoflow GmbH für die F1 liefert, sind klein und kaum erkennbar. Manchmal sehen die Mini-Aufbauten - Rechen genannt - wie kleine Antennen aus. Tatsächlich strecken sie ihre Fühler aus, um Luft-Strömungen zu messen. Hunderte kleine Sonden können in einem Formel-1-Rennwagen verbaut werden, die mal 50 Euro das Stück kosten oder aber 12.000 Euro. Jedes F1-Team benötigt für seine Modelle eigens konzipierte Sonden. Welche und wie viele Teams Vectoflow ausrüstet, darf Kreitz nicht sagen. Strikte Geheimhaltung, wie bei der Formel 1 üblich. „Ziemlich viele“, sagt sie nur. „Fast alle“, ergänzt sie und lacht.

Die Sonden sind nicht nur dazu da, die Geschwindigkeit zu messen. Statische Drücke, Strömungswinkel (also die Richtung einer Strömung) oder Temperaturen werden an zahlreichen Stellen am Auto erfasst. „Das sind Datensammler ohne Ende“, sagt Kreitz. Daher gibt es vom Unternehmen neben der Hardware auch Software für Datenerfassung und Auswertung. So können die Strömungslinien für das Fahrzeug optimiert, der Luftwiderstand vermindert werden. Zu ermitteln sind die Drücke in den Kurvenlagen, vor allem aber für den Auf- und Abtrieb des Fahrzeugs, damit es bei dem hohen Tempo nicht abhebt und in der Spur bleibt. Nur in begrenztem Umfang ist es den Teams erlaubt, ihre Tests im Windkanal durchzuführen. Vieles an Entwicklungsarbeit muss auf der Teststrecke erfolgen. Da helfen die Sonden von Vectoflow, die alle notwendigen Daten zur Kalibrierung bereitstellen.

 Sonde auf der Vorderachse. Von Vectoflow? Darf Kreitz nicht sagen.                     Foto Ferrari

Mit jeder neuen Saison wechseln die Anforderungen. Gewicht muss sowieso immer eingespart, also auch der Sensor leichter werden. Mit dem neuen Design des Autos ändern sich Anschlüsse, Größen und Formen. Die Technologie von Vectoflow wird diesen hohen Ansprüchen gerecht, da die Teile individuell den Umgebungen angepasst werden können. Denn 3D-Drucker fertigen die Sonden im additiven Verfahren: Materialien werden Schicht für Schicht aufgetragen. Neben der hohen Flexibilität in der Form ermöglicht dieser Fertigungsprozess den Einsatz unterschiedlicher Rohmaterialien, seien es Keramik, Kunststoffe oder Sondermetalle zum Beispiel mit speziellen Nickellegierungen. So entstehen einmalige Eigenschaften, die eine extreme Belastung ermöglichen. Die Produkte sind robust und stabil. Sie sind hitzebeständig und ertragen Temperaturen von bis zu 1800 Grad wie auch enorme Temperaturschwankungen. Und als Krönung kommt die Messgenauigkeit hinzu, die im Vergleich zu herkömmlich hergestellten Sonden deutlich höher ist.

Sonde bei Aston Martin. Von Vectoflow? Darf Kreitz nicht sagen.      Foto Aston Martin

Das macht die Einsatzgebiete so vielfältig. Gemessen wird alles, was strömt: Luft, Wasser, Öl, Gas. Nicht nur in der Autoindustrie, wo die Sonden etwa von BMW im Windkanal genutzt werden, sind sie im Einsatz. In der Luft- und Raumfahrt eröffnen sie neue Messmöglichkeiten. Airbus, General Electric, die französischen Unternehmen Safran sowie Onera verwenden sie ebenso wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder der amerikanischen Technologiekonzern United Technologies (UTC). In und an Raketen sind sie installiert, um Strömungen wie Aerodynamik, den Treibstofffluss aus den Fest- oder Flüssigstofftanks zu erfassen. In Turbomaschinen messen sie genauso wie in Gas-Turbinen von Siemens Energy. In größeren Taxi- oder Transportdrohnen erkennen sie Turbulenzen und Windböen, um Ausweichmanöver einzuleiten. Sie leisten Dienste in Windkraftanlagen oder in der Gebäudeklimatisierung.

     Sonde am Frontspoiler. Von Vectoflow? Darf Kreitz nicht sagen.                Foto AMG Mercedes

Den Einsatzmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt - und lassen selbst Katarina Kreitz staunen. So habe der Hausgerätehersteller BSH Bosch Siemens tatsächlich einmal für Luftstrom-Messungen in deren Dunstabzugshauben angefragt. Die wohl „coolste“ Anwendung ist ihr vor nicht langer Zeit mit der kompletten Instrumentierung einer Milchpulveranlage über den Weg gelaufen, um das Verkleben des Pulvers zu verhindern. „Auf die Idee wäre ich nie gekommen.“ Immer öfter und an immer mehr Positionen wird gemessen, beschreibt sie einen sich beschleunigenden Trend. Denn mit Blick auf Umwelt und CO2-Emissionen kämen neue Herausforderungen auf viele Industrien hinzu, weshalb Anlagen weiter optimiert werden müssten. Die Kundenanfragen jedenfalls nehmen stetig zu, kann sich Vectoflow vor Aufträgen kaum retten.

Äußerst ungläubig war Kreitz gleich zu Beginn des Start-Ups. Die Gründer haben für Vectoflow eine Website erstellt. „Die war nicht schön, hatte aber ein Kontaktformular.“ Nach einer Woche schon hat sich „aus dem Nichts“ darauf ein Formel-1-Team gemeldet. Spontan dachte sie, da hätten Leute die Seite gehackt. Doch die Formel 1 wurde ganz real, als tatsächlich die Gründer zur Präsentation eingeladen wurden. Das F1-Team war der erste Kunde, da hat es Vectoflow noch nicht mal als Gesellschaft gegeben. Welches Team es war? Darf Kreitz nicht sagen.

     Kataharina Kreitz, Christian Haigermoser und Florian Wehner                        Foto Vetcoflow

Die 34 Jahre alte Maschinenbau-Ingenieurin mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München wie auch ihr Mitgründer Christian Haigermoser, 42 Jahre und ebenfalls Maschinenbauer/Luft- und Raumfahrttechnik, hatten ins Schwarze getroffen. „Wir haben offene Türen eingerannt“, sagt Kreitz. Schon 2018, im Jahr drei nach Gründung, wurden bereits Gewinne erzielt und Liquidität (Cash flow) generiert, was wichtig für die Finanzierung weiterer Investitionen ist. Der Umsatz erreicht mehr als 2 Millionen Euro. Daher sei Vectoflow ein „junges, aber relativ normales Unternehmen“. Bei den Kunden jedenfalls stelle man sich längst nicht mehr als Start-Up vor. 

Frau in einer Männerdomäne

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. Eine Frau, technikorientiert, in der aerodynamischen Messtechnik tätig - eine Männerdomäne, in der Kunden eher konservativ orientiert sind. Das gilt für die Autoindustrie, erst recht für die Formel 1 und noch mehr für die Luft- und Raumfahrtbranche oder der Öl- und Gasindustrie. Und Katharina Kreitz mittendrin. Da muss man abgehärtet sein und sich einfach cool geben. So zumindest wirkt sie mit fast jedem ausgesprochenen Satz. Sie wird in der Branche mit ihren zahlreichen Auftritten, nicht selten auch zum Thema „Frau“, gerne als Symbol für einen Aufbruch betrachtet; ob ihr das gefällt oder nicht. All das scheint von ihr abzugleiten. Sie weiß: Was sie, was ihr Mitgründer, was das „unheimlich innovative Team“, was Vectoflow bieten, wird dringend benötigt. Dem Kunde sei es doch egal, wie man ein Problem löse. „Hauptsache, wir bekommen es hin“, sagt sie. „Und wir erfüllen mit unserer 3D-Druck-Technologie, was wir versprechen.“

Im Studium kam während der Vorlesungen ziemlich schnell Langeweile auf. Daher zog sie es vor, zu tüfteln, in Unternehmen und in der Praxis zu arbeiten; bei Airbus, bei der Nasa oder bei BMW, wo sie auch ihre Diplomarbeit erstellte. Immer wieder ärgerte sie sich über die marktüblichen, ungenauen Strömungssensoren, die in ihren Augen qualitativ einfach schlecht waren. Allein schon die Größe derartiger Sonden verfälschen die Messergebnisse. Da, wo sie einzusetzen waren, passten sie nicht hinein, musste um sie herum gebaut werden, oder sie hielten keine Hitze und extremen Temperaturschwankungen aus. Sie fand die Lösung der Probleme im 3D-Druck. Bessere, leistungsfähige und beständige Materialien konnten verwendet werden. Es wurden Sonden ausgedruckt, die kleiner, stabiler, flexibel, individualisierter, passgenauer, vor allem präzise und zuverlässiger sind.

Kalibrierwindkanal, der Luft auf das 1,4-fache Schallgeschwindigkeit beschleunigt. Foto Vectoflow

Kreitz traf Christian Haigermoser, der ebenfalls an der TUM studierte. Seit 2011 arbeitete er bei BMW an der Aerodynamik von Autos. Er war ihr Betreuer für die Diplomarbeit im Jahr 2013. Im Jahr 2015 taten sie sich zusammen und gründeten Vectoflow. Die GmbH wurde in nicht einmal zwei Wochen eingetragen, nachdem das nicht genannte Formel-1-Team den Auftrag erteilte und die Gründer über die GmbH ihr Risiko begrenzen mussten. Der Geschäftsplan stand längst. Das Produkt, ein Prototyp, war auch schon da. Das habe zwar sch… ausgesehen, lacht Kreitz. „Aber es funktionierte.“ Doch es fehlte noch etwas, um das Anfang 2014 beantragte Gründerstipendium aus dem EXIST-Programm vom Staat zu bekommen: der Kaufmann im Gründerteam.

Ende einer Hass-Liebe

Das, was da zwischen Ingenieuren und BWLern laufe, sei eher Hass-Liebe, grinst sie. Im Grunde sah sie sich ja „im Keller als Konstrukteurin“, fühlte sich vor Kunden und Investoren anfangs eher unwohl. Sie fasste sich ein Herz: Sie machte, wie Kreitz sagt, die „BWL-Trulla“. Im Aufbaustudium am Pariser Collège des Ingénieurs schloss sie nach zehn Monaten ihr MBA ab, erfüllte die Zusage und die Voraussetzungen für EXIST, womit das Geld fließen konnte. In Paris lernte sie den Maschinenbauingenieur Florian Wehner kennen, der im selben MBA-Jahrgang studierte. Er schloss sich als dritter Gründer an und hat Vectoflow maßgeblich mit aufgebaut. Aus persönlichen Gründen zog er in die USA und schied Ende 2018 aus; ein großer Verlust für Kreitz. Übrigens: Die Hass-Liebe gibt es nicht mehr. „Ich möchte die Zeit in Paris und das Studium nicht mehr missen.“ Sie plädiert gar für eine engere Verknüpfung beider Disziplinen, wo es in Deutschland im Vergleich zum Ausland noch Defizite gebe.

                         Kalibrierung im Windkanal                                                  Foto Vectoflow

Mit Formel 1 konnte es eigentlich kein besseres Entree in eine kleine, aber sehr wichtige Marktnische geben. Einen entscheidenden Durchbruch gab es 2016, als die Vectoflow-Sensoren zum ersten Mal in eine große Gasturbine des Kraftwerksherstellers Siemens eingebaut wurde. Denn damit bewies das Produkt seine Leistungsfähigkeit in sehr teuren Anlagen. Bis dahin schreckten große Unternehmen nämlich wegen der hohen Risiken und potentiellen Schäden zurück. Die Tür zu Luftfahrtunternehmen und Triebwerksherstellern wie General Electric, Safran oder MTU sind damit aufgestoßen worden.

Die Einmaligkeitsstellung hält Vectoflow. Es gibt nur ein Unternehmen in den USA, das als Konkurrent auf dem Markt mit einem wachsenden Bedarf auftritt. Es gilt, die Technologie weiter zu verbessern, die Genauigkeit nochmals zu erhöhen. Es gebe noch so viele Herausforderungen, und wenn es allein um den Einsatz neuer Materialien gehe, um Robustheit oder die Temperatur-Beständig weiter zu erhöhen. Hört man Katharina Kreitz in ihrer Leidenschaft zu, könnte man meinen, sie ist erst am Anfang. Sie lacht, wenn das Trendthema 3D-Druck als etabliert angesehen wird. Weit gefehlt: „Der steckt doch noch in den Kinderschuhen, da muss noch sehr viel geschehen und verbessert werden.“

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