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30 May
30May

Mit dem "Sondervemögen" für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro werden die Rufe nach Reformen in der Beschaffung lauter. Sascha Soyk wagt es, eine Teillösung im Kampf gegen Ineffizienzen anzubieten. Die digitale Beschaffungsplattform GovRadar soll Auftragsvergaben vereinfachen und beschleunigen. Sein Start-Up hat bereits Erfolge nachzuweisen: Seit Oktober 2021 nutzen mehr als 100 Städte, Landkreise oder Kommunen das - salopp ausgedrückt - „Online-Shopping". In der Rüstung wird es nicht um den Leopard-2-Panzer gehen, sondern um standardisierte Ware wie Schutzkleidung, Rucksäcke oder Munition. Topmanager Wolfgang Reitzle und Finanzcheck-Mitgründer Andreas Kupke sind im Mai als Investoren eingestiegen und überzeugt von der Geschäftsidee des in Bundeswehr und Nato vernetzten aktiven Reserveoffiziers Soyk, Kompaniechef der 6. Kompanie im Gebirgsjägerbataillon 231.

30. Mai 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Die Vorstellungen von Sascha Soyk sind klar. Ihm mangelt es nicht an Ideen, wie das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte  „Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr schnell und effektiver als bisher erfolgte Rüstungsinvestitionen des Bundesverteidigungsministeriums vergeben werden kann. Eine digitale Plattform mit einer automatisierten Vergabe von Aufträgen ist in seinen Augen eine Lösung, um der in der Berliner Politik wachsenden Kritik an unzulänglichen, zeitraubenden, teuren, ineffizienten Vergaben durch die Bundeswehr gerecht zu werden. Sascha Soyk hat nicht nur die Ideen, er hat auch die Erfahrungen. Denn dass das funktionieren kann, beweist er anhand des mit Daniel Schiessl gegründeten Start-Ups GovRadar. Es ist eine Online-Beschaffungsplattform für den öffentlichen Sektor - was nicht ohne ist. Denn Auftragsvergaben von Behörden, Länder, Kommunen, Landkreisen unterliegen strengen Vorschriften nach gesetzlich festgelegten Vergaberichtlinien. 

Das ist der Grund, warum die öffentliche Hand nicht einfach mal online bei Amazon Business shoppen kann. Öffentliche Beschaffung ist zumeist teuer wie langwierig - und alles andere als innovativ. Das Prinzip von GovRadar: In wenigen Klicks Ausschreibungsunterlagen statt händisch in monatelangen Prozessen generieren. So stellt sich der Gründer des Münchner Start-Ups das abgewandelt auch für die Bundeswehr vor. Er weiß, dass er mit derlei Plänen - nämlich Tempo in eine kostengünstigere Beschaffung der Bundeswehr hineinzubringen - ein „ziemlich dickes Brett bohren muss“.

                                                  Sascha Soyk                                              Fotos GovRadar

Soyk, 36 Jahre, ist Betriebswirt und aktiver Reservist der Bundeswehr, Kompaniechef der 6. Kompanie im Gebirgsjägerbataillon 231; er arbeitete als Strategieberater bei Roland Berger und als Manager beim US-Unternehmen Palantir. Erst seit Oktober 2021 live geschaltet, nutzen bereits mehr als ein hundert öffentliche Stellen die digitale Plattform als abonnierten Software-as-a-Service (SaaS); Städte wie Kaiserslautern oder Biberach, Landkreise wie Bayreuth oder Gifhorn, Institutionen im Land Hessen, in etlichen Gemeinden. Doch das Verteidigungsministerium mit dessen Bundeswehr-Beschaffungsamt und den 1200 Vergabestellen ist ein anderes Kaliber; bestückt mit jahrzehntelang eingefahrenen Prozessen, mit Bedenkenträgern und Blockierern gegenüber Reformen, durchzogen von Bürokratie und nicht mehr zu durchschauenden Entscheidungsprozessen. Name ist Programm: Für den Einkauf ist das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr - kurz: BAAINBw - in Koblenz zuständig. Zunehmend wird in der Politik und unter Parlamentariern die Forderung nach einem Umbau laut. Von Kaputtsparen der Bundeswehr in den vergangenen Jahren, von dem viele Politiker sprechen, kann jedenfalls nicht die Rede sein, wenn jährlich deutlich mehr als 50 Milliarden Euro in den Verteidigungsetat fließen, davon rund die Hälfte in Material und Ausrüstung. 

„Wenn man bei den 100 Milliarden Euro in der gleichen Weise vorgeht wie in den letzten Jahren, wird die Beschaffung wohl nicht richtig laufen“, sagt Soyk. Beschleunigen lasse sich der Prozess mit bisherigen Strukturen sicherlich nicht. „Schnell handeln, einfach mal pragmatisch sein und anders denken“, fordert er. Mehr Start-Up-Denke müsse auch im Sinne eines gesunden Risikomanagements im öffentlichen Sektor wie im Bundesverteidigungsministerium sein. Vergebe man zum Beispiel 10 Millionen Euro an zehn Start-Ups, mögen neun davon vielleicht scheitern, bleibe aber immer noch eines erfolgreich, zeichnet Soyk ein Szenario. Legendär ist das Beispiel der Corona-App, die in Deutschland teuer von SAP und T-Systems für rund 53 Millionen Euro entwickelt worden ist, in Irland hat ein Start-Up dafür nicht einmal 1 Millionen Euro ausgegeben. Und das Beste ist, sie funktioniert.

Hoffen auf eine Audienz

Doch unterscheiden sich die Anforderungen für die Beschaffung im Militärbereich. Sascha Soyk arbeitet mit Hochdruck an einer militär-adäquaten Version und hofft, in zwei bis drei Monaten die Tür in Berlin aufstoßen zu können. „Wir entwickeln gerade eine Lösung für die Plattform, über die ein Teil des 100-Milliarden-Etats verwendet werden könnte." Er hofft auf Gehör; oder auch auf Audienzen. Die richtigen Gesprächspartner identifizieren, lautet eine seiner Herausforderungen. Denn auf die üblichen Ansprechpartner im Ministerium auf unteren Ebenen oder beim BAAINBw wird er kaum setzen können. Der Ansatz von GovRadar kommt schließlich einer Kulturrevolution im Beschaffungswesen der Bundeswehr gleich. Auf die wichtigen Schaltstellen mit Entscheidungsbefugnissen kommt es ihm offenbar an. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, und der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestages, haben sich zum Beispiel besonders mit Forderungen nach Reformen hervorgetan. Bei ihnen tatsächlich Gehör zu finden, darum müsste es Soyk eigentlch gehen, dürfte aber ziemlich ambitioniert sein. „Es muss der Druck da sein, etwas zu ändern“, sagt er. Soyk kennt sich aus, er ist in dem Metier kein unbeschriebenes Blatt, könnte ihm sein umfangreiches Netzwerk in der Bundeswehr und Nato helfen (siehe unten: Gründer Sascha Soyk und Daniel Schiessl)

                                                  Daniel Schiessl

Um Missverständnissen vorzubeugen: GovRadar maßt sich nicht an, eine automatisierte Beschaffungsplattform für F-35-Kampfjets, Hubschrauber, U-Boote, Korvetten, Leopard 2- oder Puma-Panzer anzubieten. Derlei Entscheidungen sind nicht über Software-Plattformen zu treffen. Das Geschäftskonzept von GovRadar ist es, standardisierte, automatisierte Beschaffungen vergaberechtskonform vorzunehmen. Da geht es um reproduzierbare Prozesse, wenn es etwa im öffentlichen Sektor um den Kauf von IT-Hardware wie Computer oder Laptops geht, nicht aber um die Bestellung eines Feuerwehrzuges. So soll es in der Rüstung sein: Warum nicht Rucksäcke für Soldaten über Händler ordern, die so etwas für Wanderer oder Outdoor-Begeisterte anbieten; gleiches gilt für Kleidung, Helme,  Funk- oder Nachtsichtgeräte, sogar Munition. „Nichts ist standardisierter als Munition, die nach Nato-Kriterien und -Bedürfnissen definiert wird“, sagt Soyk. Es könne doch nicht so schwer sein, Munition über ein automatisiertes Verfahren auszuschreiben.

Es geht es um beachtliche Volumen. In Militärkreisen ist die Forderung zu vernehmen, dass 20 der 100 Milliarden Euro  „Sondervermögen" allein für die notwendige Auffüllung der Munitionsbestände erfordern könnten. Eine solche Plattform, sagt Soyk, ermögliche nicht nur eine schnelle und günstigere Beschaffung. Sie wirke ebenso Personallücken entgegen. Die Arbeit der Entscheidungsträger könne sich damit nämlich auf die tatsächlich schwierigen, zeitintensiven, komplexen bis äußerst komplizierten, strategisch wichtigen Projekte richten. „Wie oft wird im öffentlichen Sektor geklagt über Personalknappheiten“, fragt Soyk, mit der Folge, dass Entscheidungs- und Analysehoheit nicht selten an teure externe Berater ausgelagert werden.

Argumente gegen Bremser und Reformgegner

Den Einwand, mit seiner Mission auf eine Mauer von Bremsern oder Reformgegnern zu stoßen, will Soyk nicht gelten lassen. „Wenn wir tatsächlich eine für die Bundeswehr speziell zu entwickelnde Plattform anbieten und zeigen, dass effizient, schnell, günstiger Artikel beschafft werden können, werden alle die Vorteile erkennen.“ Es müsse ja nicht um die Vergabe eines Großteils der 100 Milliarden Euro gehen. Wenn nur ein Prozent - also 1 Milliarden Euro - als Pilot dafür verwendet werde, sei schon ein Schritt getan. Es gibt zudem knallharte wirtschaftliche Argumente: Er zitiert eine Studie, wonach in Europa jährlich 34 Milliarden Euro Prozesskosten für Ausschreibungen und Angebotsverfahren aufgebracht werden müssen. Davon entfielen ein Viertel auf die öffentliche Seite ,aber drei Viertel auf die Bieter, also die Rüstungsindustrie. Daher müsste eigentlich auch sie an einer Modernisierung - sprich: Digitalisierung - interessiert sein. Mehr noch: Von den 12.000 im Jahr vom BAAINBw vergebenen Aufträgen erreichen 11.000 Vergaben ein Volumen von weniger als eine halbe Million Euro; ein gewaltiges Potential für einen automatisierten Vergabeprozess öffnet sich.

In der öffentlchen Hand außerhalb des Miliitärs geht es indes um ganz andere Beträge. Der Markt, den Softwareentwickler GovRadar mit seiner Plattform für die Beschaffung adressiert, erreicht in der EU rund 8,5 Milliarden Euro. In Deutschland handelt es sich zumeist um Auftragsvergaben über jeweils 50.000 bis 100.000 Euro. Da geht es um standardisierte, auch kleinere Teile, die im Preis geringer positioniert sind und in größeren Stückzahlen bestellt werden, womit also der Entscheidungsprozess bei weitem nicht so komplex ist als bei der Anschaffung des Feuerwehrautos oder eines Bus-Fuhrparks. Das könne ohne weiteres über die digitale Plattform abgewickelt werden.

GovRadar führt zurzeit Angebote von mehr als 3500 Produktkategorien mit jeweils Hunderttausenden Artikeln als Referenzprodukte online, die im Falle der Ausschreibung anonymisiert sind. Die Daten sowie Leistungsbeschreibungen werden gesammelt, über Künstliche Intelligenz sowie Machine Learning ausgewertet und erweitert, damit der Auftraggeber das Produkt zum günstigsten Preis auswählen kann; dazu ist er schließlich gesetzlich verpflichtet. Genauso, wie dieser mindestens drei Angebote einholen muss. Die Software-Plattform ermöglicht, die individuellen Anforderungen der Ämter in Echtzeit mit dem verfügbaren Angebot zu vergleichen.

Alles andere als Online-Shopping

Auch wenn das Start-Up damit wirbt: „Öffentliche Beschaffung so einfach wie Online-Shopping". Gemein hat das Konstrukt damit wenig. GovRadar unterscheidet sich gravierend von Amazon Business, den zahlreichen Preisvergleichsplattformen wie check 24 oder billiger.de. „Wir sind weder Marktplatz, noch sind wir Händler oder Makler“. So sei schließlich der Name entstanden. „Wir bringen die richtigen Lösungen für die öffentliche Hand auf das Radar.“ Die hat nämlich gar nicht alles auf dem Schirm, was es da draußen alles so gibt. Das bedeutet allerdings auch eine Gefahr für langjährige Haus-und-Hof-Lieferanten.

„Die Neutralität müssen wir wahren, GovRadar hat keinen Einfluss auf die Auftragsvergabe“, sagt Soyk. Es gebe keine Marktverengungen, indem „Goldpartner“ oder bevorzugte Anbieter ausgewählt und in einer Art Ranking besonders sichtbar aufgelistet werden. Das verbietet das strenge Vergaberecht. „Compliance by Design“ nennt er das; also ein angepasstes regel- und gesetzeskonformes Verhalten. Es ist eine Software entwickelt worden, die die Besonderheiten des geltenden Rechts berücksichtige und damit bedenkenfrei angewendet werden könne. Die Plattform sei so strukturiert, dass das Vergaberecht eingehalten werde. Dazu hat das Start-Up eigens ein Gutachten durch die auf Vergaberecht spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei KNH Rechtsanwälte Hochstadt und Partner aus Frankfurt erstellen lassen. Diese Form der Unbedenklichkeitserklärung soll bei den Beschaffungsämtern Zweifel ausräumen.

Ungefähr 30.000 Vergabestellen gibt es in Deutschland, davon etwa zwei Drittel im kommunalen Bereich. Jede Gemeinde beschaffe für sich selbst und erfinde das Rad immer wieder neu, klagt Soyk. So musste es denn auch mit Digitalpakt Schule alles andere als rund laufen. Nur wenig floss von dem 2019 aufgelegten Programm über 6,5 Milliarden Euro ab, die vor allem in Corona-Zeiten mit Schulschließungen für den Kauf von Tablets und Laptops so dringend benötigt gewesen wären. Für Sachbearbeiter war es eine Herausforderung, das vom Himmel fallende Geld vergaberechtskonform in kürzester Zeit in Schul-IT zu investieren. Er muss die Ausschreibungen formulieren und die notwendigen Informationen allen Anbietern zukommen lassen, was heutzutage immerhin tatsächlich online erfolgt, über Vergabeplattformen wie Cosinex und Administration Intelligence, die aber in erster Linie die technische Abwicklung übernehmen, nicht einen transparenten Angebotsüberblick verschaffen. Mit der Gründung unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie konnte die Markterkundungsplattform GovRadar jedoch keinen Beitrag leisten.

Denn erst im Oktober 2021 ging sie nach eineinhalb Jahren Entwicklungs- und Aufbauzeit operativ an den Start. Begonnen hat es in der Tat mit der Beschaffung von IT für die öffentliche Hand. In diesem Bereich ist es relativ einfach leistungsbezogene, herstellerunabhängige Produkt- und Marktdatensätze der Anbieter zu erwerben. Schwieriger ist das für Büromöbel oder Reinigungsdienstleistungen, da es sich um weniger standardisierte Kategorien handelt. Um diese Bereiche geht es nun in einem weiteren Schritt des Angebotsausbaus.

Wieviel Kosten die Nutzer bislang aufgrund der größeren Transparenz eingespart haben, lässt sich nach den Worten von Soyk nicht konkret ermitteln; allein schon, weil GovRadar gar nicht weiß, wer den Zuschlag am Ende erhalten hat. Die Zeitersparnis jedoch ist enorm. Mehr als 6000 Stunden seien mit der Anwendung weniger aufgebracht worden. Da könne eine Leistungsabfrage über GovRadar eine halbe Stunde dauern. Normalerweise komme es erst einmal zwei Wochen lang zu einem „Email-Pingpong“ in den Vergabestellen der Behörden untereinander sowie mit den Anbietern. Da kämen schnell einmal 40 Stunden Arbeit zusammen, bis ein Auftrag erteilt werde, vergingen Wochen oder Monate bis zum Zuschlag. „Die Zeitersparnis ist der wesentliche Faktor.“

Wolfgang Reitzle und Andreas Kupke als Investoren

Kommerziell läuft die Plattform. Profitabel sei sie bei weitem nicht. Für die deutlich größere Herausforderung, ein vergaberechtlich zulässiges System für die Bundeswehr aufzubauen, benötigt GovRadar Geld. Im Mai hat er erfolgreich eine Pre-Seed-Finanzierung über einen „hohen sechsstelligen Betrag“ abgeschlossen und prominente Investoren gewonnen. Der Spitzenmanager Wolfgang Reitzle, Aufsichstratsvorsitzender von Continental und langjähriger Vorstandschef des Dax-Konzerns Linde, beteiligt sich über sein eigenes Investmentvehikel, mit dem er sich schon bei etlichen Neugründungen engagiert hat. Andreas Kupke ist ebenso von der Partie, Mitgründer von Finanzcheck und Risikokapitalgeldgeber für zahlreiche andere Unternehmensbeteiligungen. Soyk motiviert das zusätzlich, das dicke Brett zu bohren. „Basierend auf den noch vergleichsweise niedrigen Umsätzen ist die Pre-Seed-Beteiligung ein wesentlicher Meilenstein für GovRadar.“ Nicht auszuschließen scheint, dass Reitzle und Kupke auch in der nächsten Runde dabei sein dürften. Für beide scheint der Anreiz groß zu sein, kommt doch die Denke von GovRadar, etwas aufzumischen, durchaus deren Philosophie nahe.

Mit den Mitteln soll aber nicht nur der ambitionierte Vorstoß im Verteidigungssektor gestemmt, sondern auch der Vertrieb in Deutschland sowie die Präsenz in den Kommunen bis Mitte 2023 ausgebaut werden, bevor es dann in europäische Ausland geht. Die Software für die Bundeswehr ist zwar die gleiche. Doch die Prozesse und die Abläufe unterscheiden sich. Sind bis dato auf der Plattform viele Behördenstellen auf eine Vielzahl von Anbietern gestoßen, gibt es mit dem Verteidigungsministerium nur einen Abnehmer mit einem Etat, dem viele Lieferanten gegenüberstehen. Immer mehr rückt der aufwendige, damit teure Erwerb von Datensätzen in den Vordergrund. Denn anders als bei Computern, Tablets oder Smartphones sind öffentlich zugängliche Marktdaten über Gewehre, Munitionen, Helme oder andere Produkte mit besonderen Anforderungen rar. Kommerzielle Datenträger, von denen marktrelevante Informationen zu erhalten sind, gibt es kaum. Es bedarf so einer besonderen „Schnittstelle“ zu den Anbietern. „Je besser die akquirierten Daten sind, um so leistungsfähiger sind die Lösungsangebote für die Ausschreibungen.“ 

Das treibt Sascha Soyk besonders um, zumal die Debatte um den „Bundeswehr-Sondervermögen" in diesen Tagen an Dynamik gewinnt und konkretisiert wird. Er hat die Hoffnung, mit seinem ehrgeizigen und zugleich schwierigen Geschäftsmodell Anfang 2024 in die Gewinnzone zu gelangen - mit der Rückendeckung von Reitzle und Kupke. „Ich muss mich manchmal selber bremsen, damit ich nicht gleich los sprinte, weil ich immer alles schnell erreichen will.“ Auch mit Blick auf die neuen Investoren sagt er klar, dass es mit GovRadar - im Gegensatz zu manch anderen Venture-Capitlal-Engagements - kein Exit-Szenario in drei oder vier Jahren, sondern eher in fünf bis acht Jahren geben könne. Der GovRadar-Gründer schmunzelt: „Das wird eher ein Marathon sein, den wir laufen.“


Die Gründer Sascha Soyk und Daniel Schiessl

Es gebe kein Innovationsproblem, sondern ein Implementierungsproblem, weiß Sascha Soyk, 36 Jahre, aus seinen mitunter leidvollen Erfahrungen mit Behörden. Er verfügt über ein in vielen Jahren aufgebautes Netzwerk in der Bundeswehr und in der Nato, dass ihm helfen könnte, Türen in Berlin zu öffnen. Er kennt die Verhältnisse in der öffentlichen Beschaffung, auch im Militärgeschäft, aus verschiedenen Blickwinkeln; als Unternehmensberater, als Manager in der Privatwirtschaft, als Angehöriger der Bundeswehr. Im Ergebnis hat ihn das im März 2020 zur Gründung von GovRadar gebracht, obwohl er eigentlich keine derartigen Ambitionen hegte. „Es muss eine Plattform geben, die beide Seiten zusammen bringt“, sagte Soyk sich damals; die Einkäufer in den Ämtern und die Anbieter, zu denen auch innovative Start-Ups gehören sollten, die im heutigen Vergabesystem strukturell benachteiligt sind.

                                                  Sascha Soyk (links), Daniel Schiessl

Er studierte Betriebswirtschaft an der Frankfurt School of Finance & Management (Bachelor) und der Universität Mannheim (Master). Seinen ersten richtigen Job nahm er bei Roland Berger an, wo er bis 2016 mehr als vier Jahre als Strategie- und Restrukturierungsberater arbeitete.

Seit jeher hat ihm die Bundeswehr viel Antrieb und Motivation gegeben, wo er ab 2005 bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall diente, die ihn bis heute nicht losgelassen haben. „Ich habe dort viel für mein Leben gelernt.“ Entscheidungen zu treffen zum Beispiel („Lieber eine schlechte als gar keine Entscheidung“) oder strukturiert, lösungsorientiert, pragmatisch zu denken und handeln. Noch immer ist er Kompaniechef des 231. Gebirgsjäger-Bataillons in Reserve. Diese Beziehung und sein Berater-Hintergrund führten dazu, dass Soyk nach Roland Berger zum Cyber Innovation Hub der Bundeswehr wechselte, das die Digitalisierung und Cyber-Sicherheit in der Truppe voranbringen soll, als Direktor Operationen und Finanzen. Er blieb nur ein Jahr. Die Eindrücke dürften prägend gewesen sein, wie Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen in einem so drängenden Thema getroffen worden sind.

Er wechselte 2018 zum US-amerikanischen Big-Data-Konzern Palantir, der als Softwareentwickler für Datenanalyse unter anderem staatlichen Behörden große Datenmengen liefert; beispielsweise im Kampf gegen Kriminalität. Soyk arbeitete von London aus für die Amerikaner, die stärker in Deutschland mit Polizei, Militär oder Nachrichtendiensten ins Geschäft kommen wollten. Doch das war schwierig. Die Skepsis gegenüber Palantir ist groß gewesen, da es als amerikanisches Unternehmen Datenschutz nicht so ernst nehmen mag, löste auch immer wieder Kritik wegen fehlender Transparenz und möglicher Verwicklungen mit Geheimdiensten aus.

Ernüchterung auch dort, obwohl anders als im Cyber Innovation Hub. Soyk blieb ein Jahr, verließ Palantir, ohne etwas Neues zu haben. Die Idee des Start-Ups reifte. „Wenn man seinen Traumjob nicht findet, sollte man ihn sich selber schaffen." Dabei hatte er nie vor, ein Unternehmen zu gründen, um die gesammelte Expertise etwa mit Sicherheitsbehörden zu nutzen. Im Founders Institute in München setzte er sich damit auseinander und machte ein „kleines MBA“. Null Ahnung habe er gehabt vom „pitchen“, also dem Präsentieren eines Geschäftsmodells. Die Entscheidung, eine Online-Plattform für die öffentliche Hand aufzubauen, war gefallen. „Ich wusste, was ich machen wollte, die Idee stand, der Bedarf ist da.“ Genauso klar war: Eine One-Man-Show wird es nicht. Er suchte einen Partner, der technisch bewandert ist - „und bereit war, wenig Geld zu verdienen“. 

Daniel Schiessl, 33 Jahre, ist derjenige gewesen. Zunächst im Frühjahr 2020 als Berater und Unterstützer eingestiegen, übernahm er im Mai 2021 als Chef Technical Officer die Verantwortung als „Vollzeit-Gründer“.
Schiessl hat an der TU München Elektrotechnik studiert und nahm an Lehrveranstaltungen des Center for Digital Technology and Management (CDTM) teil, einem Forschung- und Lehrinstitut der TUM und der Ludwig-Maximilians-Unversität München (LMU). Mehr als acht Jahre arbeitete Schiessl bei dem Nanotechnologie-Unternehmen attocube Systems.

Schiessl und Soyk kannten sich nicht. Vermittelt - oder besser verkuppelt - hat den Co-Gründer sein Bruder Christian Soyk, der seinerseits gerade erst ein Unternehmen namens skailark in München gegründet hat, das eine Software zur Flugroutenoptimierung für Fluggesellschaften entwickelt. Der kannte Schiessl aus seinem CDTM-Alumni-Netzwerk. Er war an den Punkt angelangt, sich zu verändern, und hatte bereits reichlich Jobangebote. Aber Sascha Soyk, hartnäckig wie er ist, ließ nicht locker, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Der öffentliche Sektor war für Schiessl nicht sonderlich prickelnd, habe sich aber auch nicht abschrecken lassen, grinst Soyk. Denn wie er hat sein neuer Kompagnon erkannt, dass es da einen ziemlichen Handlungsbedarf gibt.

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