Studenten der TU München haben eine Kapsel für ein Tunnel-Transportsystem entwickelt, in dem einmal in Schallgeschwindigkeit von San Francisco nach Los Angeles in weniger als eine Stunde gereist werden soil. Die haben alle vier Pod-Wettbewerbe von Elon Musk gewonnen - und die Konkurrenz internationaler Universitätsteams in den Schatten gestellt. Nun denken sie darüber nach, später einmal ein Start-Up zu gründen.
4. Oktober 2019
Das graue Oval hat wahrlich nicht die Ausmaße der 1,25 Kilometer langen Röhre, die in Los Angeles auf dem Gelände des Raumfahrtunternehmens Space X des Tesla-Gründers Elon Musk steht. Gerade einmal sieben Meter im Außendurchmesser und nur etwas mehr als dreißig Zentimeter dick ist die Vakuumröhre aus Beton. Prominent und für jeden sichtbar ist die graue Röhre zwischen grünen Sträuchern auf Steinfundamenten errichtet worden; draußen an der Lichtenbergstraße am Forschungszentrum in Garching bei München. Kabel hängen heraus. Doch die Röhre ist sauber verarbeitet und hat - anders als die Röhre von Space X - keine Unebenheiten. So kann eine kleine, schwebende Kapsel (Pod) sauber mit hohen Geschwindigkeiten ihre Runden drehen.
Die 50 Studenten der Technischen Universität München (TUM) setzen mit diesem etwas provisorisch anmutenden Konstrukt ein Zeichen. Sie nehmen nach ihren vier souveränen Siegen in der "Space X Hyperloop Pod Competition" selbst die Entwicklung eines visionären Transportsystems in die Hand. Ein Kern von zwölf Studenten verschiedener Fakultäten will die Entwicklung eines völlig neuen Transportkonzeptes vorantreiben, mit dem Menschen in einer Vakuumröhre in Überschallgeschwindigkeit befördert werden können. Sie wollen ein Start-up gründen und "TUM Hyperloop" zu ihrer Zukunft machen. Geht alles gut, soll in etwa fünf Jahren eine zehn Kilometer lange Röhre mit zwei Meter Innendurchmesser als Referenzstrecke fertig werden.
Dann, sagt Florian Janke, könne die Kommerzialisierungsphase beginnen. Janke, 26 Jahre, ist der technische Leiter im Team von "TUM Hyperloop". Er beginnt demnächst die Masterarbeit für den Abschluss zum Luft- und Raumfahrtingenieur. Seit März 2017 ist er Teil des Teams. Die Erfolge der Gruppe in den von Musk für Universitäten dieser Welt ausgeschriebenen Wettbewerbe haben gezeigt, dass sie mehr können - und nehmen es so mit mächtigen, stark finanzierten amerikanischen Start-ups wie Virgin Hyperloop One und Hyperloop Transportation Technologies (HTT) des Deutschamerikaners Dirk Ahlborn auf.
"Das ist der Grundstein für unsere nächsten Schritte", sagt Janke und schaut auf das kleine graue Oval, welches in wenigen Wochen errichtet worden ist. Das Projekt ist zum Aushängeschild für die Universität und für das Engagement von Studenten geworden. Sie haben Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf den Plan gerufen, der Hyperloop werbewirksam zu einem Baustein seines Luft- und Raumfahrtprogramms "Bavaria One" auserkoren hat. Söder besuchte die erfolgreichen Tüftler vor drei Wochen, zur Visite musste die Röhre daher fertig sein. Reif für den ersten Testbetrieb wird sie im November sein. "Vor dem ersten Schnee", sagt Janke.
Die Gedanken über ein Start-up kreisen schon länger. Die Studenten haben sich inzwischen organisiert, herrschte doch in den vergangenen Jahren eher kreatives Chaos. Führung und Buchhaltung spielen auf einmal eine Rolle. Sie haben den Verein "Next Prototypes" mit 50 Mitgliedern gegründet. Das erzeugt einen souveränen Auftritt gegenüber Sponsoren, zu denen Airbus, Infineon, Siemens, Panasonic oder die TU München gehören. Janke ist Schatzmeister des Vereins.
Die Studenten aus den Fächern Luft- und Raumfahrt, Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik, Informatik, Bauingenieurwesen oder Betriebswirtschaft haben mittlerweile verstanden, die Rahmenbedingungen selbst zu setzen und nicht auf die Ausschreibungen von Musk angewiesen zu sein, auch wenn sie bald wieder zum fünften Wettbewerb antreten wollen. Die Teströhre steht für einen konkreten Geschäftsplan.
Schon Ende 2020 soll eine 20 Meter lange Röhre mit einem Innendurchmesser von zwei Metern stehen, in der eine Kapsel in Originalgröße Platz findet und mit lebenserhaltenden Systemen in einer Vakuumröhre getestet werden kann. Jeweils weitere eineinhalb Jahre später folgt eine Teststrecke über 400 Meter, dann eine über drei Kilometer mit Kurvensegmenten. Bisher sind alle Test, ob von den Münchnern oder den Amerikanern, auf Geraden erfolgt. Über die Zehn-Kilometer-Referenzstrecke voraussichtlich im Jahr 2024 gehen die Planungen nicht hinaus. Kann sie auch nicht - zu viele Unwägbarkeiten, weiß Janke.
Träumereien aber sind das nicht. Die Studenten haben in den Wettbewerben von Musk das Gegenteil bewiesen. Sie ließen alle Wettbewerber renommierter Universitäten in den Space-X-Wettbewerben weit hinter sich. Im August 2018 stellten sie mit 467 Kilometern in der Stunde einen Geschwindigkeitsrekord für den von ihnen entwickelten, selbst angetriebenen Pod auf, den damals nicht einmal Hyperloop One oder HTT geschafft hatten. In diesem Jahr sollte die Marke von 600 Kilometer in der Stunde geknackt werden.
Doch wurden offiziell "nur" 463 Kilometer in der Stunde gemessen. Der 1,50 Meter lange und 69 Kilogramm schwere Pod musste früher abbremsen, weil wegen der schlechten Wegstrecke ein Bauteil weggerissen wurde und es zur Notbremsung kam. Zwei Sekunden Beschleunigungszeit fehlten. Und in zwei Sekunden wurde auf null abgebremst. Im Nachhinein - ein schwacher Trost - bestätigten die ausgewerteten Telemetriedaten: Sie haben mit 482 Kilometer doch einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt.
Gegenüber Hyperloop One haben die Studenten aus München kaum Chancen, sollte man meinen. Florian Janke rechnet sich dennoch welche aus. Sie planen eine Nummer kleiner. Mit einem Durchmesser von zwei Metern seien derlei Projekte in der realen Welt leichter umzusetzen. Hyperloop One legt sein Konzept auf drei Meter aus, weil auch an Frachttransporte gedacht wird. Menschen, sagt Janke, reichten kleinere Durchmesser. "Der kleinste Privatjet hat weniger als zwei Meter Innendurchmesser." Den Studenten schweben nicht die Märkte Europa oder Amerika vor, sondern Asien oder der Mittlere Osten.
Rückendeckung für ihre Vision erhalten sie vom Freistaat Bayern und von der Universität. Söder brachte bei der Visite in Garching einen Scheck über 80000 Euro mit. "Der Besuch hat gezeigt, dass die Staatsregierung und der Ministerpräsident unser Projekt ernst nehmen", sagt Janke und hofft auf mehr Unterstützung. Seit Jahresanfang hat Hyperloop eine Stelle im Haushaltsplan des Finanzministers. Die ist aber noch mit "Null" versehen.
Ein wichtiges Signal ist zudem von der Universität gekommen. Die Studenten des Kernteams beginnen demnächst mit ihren Masterarbeiten. Nachvollziehbar, aber nicht selbstverständlich ist, dass sie ihre Abschlussarbeiten über ihren Hyperloop schreiben dürfen. Antriebssysteme und Schwebetechnik sind dabei nur ein kleiner Teil. Es geht um Energieversorgung, Notbremsung, lebenserhaltende Systeme, um das Design der Kapsel - innen wie außen. Ein halbes bis dreiviertel Jahr haben sie Zeit. Mit den erfolgreichen Abschlüssen ist dann auch die Grundlage für einen Geschäftsplan entstanden.