"Trinity" ist Hubschrauber und Segelflugzeug zugleich. Quantum Systems entwickelt leichte Drohnen, die für Überwachung, Sicherheit oder Kontrollen eingesetzt werden. Firmenründer Florian Seibel feilt gerade an einem Konzept, das gleich eine Armada von Drohnen etwa aus einem Hangar aufsteigen lässt. Er nennt es "Droneport".
23. November 2020
Das Schienennetz der Deutschen Bahn ist 33499 Kilometer lang. Regelmäßig wird es inspiziert; zwei Mal im Jahr zumindest, einmal wenn Bäume Blätter tragen und einmal, nachdem sie im Herbst das Laub abgeworfen haben. Unregelmäßig kommen Kontrollen etwa nach Stürmen hinzu, um Gleisbett und Oberleitungen auf Schäden durch Baumbruch zu überprüfen. Es ist eine Sisyphusarbeit für die DB-Inspektoren.
Geht es nach Florian Seibel, übernehmen diese Aufgabe bald Drohnen. Die sollen per Autopilot gesteuert in Flottenstärke ausschwärmen und über weite Distanzen Kontrollflüge vornehmen.Seit September 2019 entwickelt der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Quantum Systems mit der DB Fahrwegdienste, einer Tochtergesellschaft der DB Netz, eine autonom fliegende Langstreckendrohne.
Das Projekt „Freerail“ wird unterstützt durch das Bundesministerium für Verkehr und Digitaler Infrastruktur. Das Leichtflugzeug kann flächendeckend mit Kameras aus 30 Meter Höhe die Gleise abfliegen, ohne den Bahnbetrieb zu stören. Was derzeit in den Tests noch manuell erfolgen muss, könnte 2021 automatisiert außerhalb der Sichtweite geschehen, wenn gesetzlich sind Flüge ohne Sichtkontakt erlaubt sein werden.
Florian Seibel Fotos Rüdiger Köhn
Seibel hat Quantum Systems mit drei Partnern im Jahr 2015 gegründet, die in Gilching nahe dem Sonderflughafen Oberpfaffenhofen vor den Westtoren Münchens das „einzige zivile Drohnensystem“ entwickelt hat. Das Fluggerät startet und landet senkrecht, geht nach dem Abheben in den Flugmodus über. Rund 1000 solcher Drohnen mit einer Fluggeschwindigkeit von bis zu 80 Kilometer in der Stunde sind bereits verkauft worden.
Das erste Modell kam mit Tron 2017 auf den Markt, die aktuellen Weiterentwicklungen heißen Trinity, Vector und Scorpion.Der Vorstandschef, 40 Jahre alt, Luft- und Raumfahrttechnik-Absolvent der Universität der Bundeswehr München, denkt in größeren Dimensionen. Der „Visionär“ in der vierköpfigen Gründertruppe hat das Konzept „Drone Port“ angestoßen. Das hat den Status der Vision hinter sich gelassen und befindet sich in der konkreten Entwicklung: Eine, wie Seibel sagt, „fliegende Plattform“ soll bis 2024 marktreif sein.
Eine Armada von Drohnen soll von kleinen Startvorrichtungen aus großen Containern oder Hangars starten und landen. Sie können auf Abruf oder autonom starten, um ihre Missionen entsprechend vorgegebener Routenpläne selbsttätig erfüllen. Per Autopilot steuern sie Ziele an und können weitflächige Beobachtungsflüge unternehmen – zur Kontrolle eines 33499 Kilometer langen Schienenwegs etwa. Genauso selbständig sollen sie zurückkehren und auf ihrer „Rampe“ landen.
Die Einsatzszenarien sind vielfältig. Die Drohne kann leichte Gewichte transportieren, hat einmal versuchsweise Covid-19-Tests von der Aufnahmestation auf der Münchner Theresienwiese zum sechs Kilometer entfernten Labor schnell und ohne Verkehrsstaus befördert. In Afrika hat sie testweise Blutkonserven in entlegene Regionen geliefert. Doch mit 0,7 bis 1 Kilogramm ist die Nutzlast gering. Hauptaufgabe sind Aufklärung oder Vermessungen: in der Land- und Forstwirtschaft, über Bergbau-Minen, Industrieanlagen, bei Erdbeben, Überschwemmungen, Feuer oder Vermisstensuche sowie im Grenzschutz. Das Fluggerät kann von Schiffen zur Suche von Flüchtlingen im Mittelmeer starten, zur Kontrolle von Fischbeständen oder zur Hai-Beobachtung in der Nähe von Stränden eingesetzt werden. Trinity hat Stromtrassen und Pipelines ebenso überflogen wie den radioaktiv verseuchten Katastrophen-Kernkraftwerk Tschernobyl.
„Rund 80 Prozent unserer Arbeit besteht aus Software-Entwicklung“, beschreibt Seibel die Kernarbeit des Start-Ups. Künstliche Intelligenz spielt für den Einsatz von Autopiloten oder für Missions- und Flugplanungen ebenso eine Rolle wie für die Auswertung Datenmassen, die auf Flügen etwa für die Kartographie gesammelt worden sind. Die eigens entwickelte Software „Q-Base“ ist quasi das Gehirn und programmiert die Flüge, wobei ein Eingreifen eines Drohnenpilots nicht mehr notwendig, aber immer noch möglich sein wird.
Trinity wiegt nur 5 Kilogramm, hat eine Spannweite von 2,40 Meter, kann bis zu 90 Minuten mit einer Reichweite von 100 Kilometer in bis zu 3000 Meter Höhe fliegen. Auseinandergenommen, lässt sie sich in einer großen, tragbaren Umhängetasche verstauen. Die drehbaren Rotoren ermöglichen den Übergang von Senkrechtstart in den Flugmodus – genannt Transition, eine der großen technischen Herausforderungen.
Warum nicht die Vorteile eines Segelflugzeuges mit denen eines Hubschraubers verbinden, fragte sich Seibel im Studium an der Bundeswehr-Uni vor mehr als zehn Jahren – Segelflieger und Hubschrauberpilot in Passion. Der Gedanke reifte, die „zwei Flugmodi“ zu verbinden. Ein Segelflieger ist leicht, benötigt keine Energie, dafür aber Starthilfe. Der Hubschrauber startet platzsparend senkrecht, benötigt für den Vortrieb aber viel Energie. Mit Elektromotoren ausgestattet, fliegt das Gerät sehr effizient.Aus einer Studienarbeit entstand eine Unternehmensidee.
Seibel schloss sich mit seinen 2010 kennengelernten Studienkollegen Tobias Kloss, 43 Jahre, und Michael Kriegel, 44 Jahre, zusammen; während Seibel heute das Gesicht nach Außen ist, tüfteln die beiden im Hintergrund an Aerodynamik, Bodenkontrolle, Autopilot und Software. Wirtschaftsingenieur Armin Busse, 39 Jahre, kam kurz nach Gründung hinzu, ist Geschäftsführer, kümmert sich um die operativen Geschäfte. Ihr Startkapital haben sie sich damals mit dem Verkauf gewöhnlichen normalen kleinen, zum privaten Spaß genutzten Drohnen finanziert, die zu jener Zeit Verkaufsrenner gewesen sind.Sie erschlossen sich mit Tron den zivilen Markt.
Eine Wahl gab es nicht: Denn als Start-Up waren sie chancenlos, Aufträge von Behörden, geschweige denn vom Militär zu bekommen. „Normalerweise werden solche Technologien aus dem Militär- und Rüstungsbereich in die zivile Anwendungswelt übertragen“, sagt Seibel. „Bei uns ist es umgekehrt.“ Heute holen die 70 Mitarbeiter rund 8 Millionen Euro Umsatz herein; vor einem Jahr waren es noch 3 Millionen Euro. Im Zivilgeschäft Fuß gefasst, geht es um das erschließen neuer Märkte. Seibel weiß, dass sich mit „behördlichem Geschäft“ gut Geld verdienen lässt.
Mit der eigenen, geschlossenen Autopilot-Software eröffnet sich Quantum Systems ein wichtiger Zugang – „der Schlüssel zum Behördenmarkt und zu Verteidigungsministerien“, wie er sagt. Er hofft auf Aufträge für Drohenprojekten, die in den nächsten Jahren von amerikanischen, aber auch von deutschen Militärs vergeben werden.Das ist ein Grund, warum sich die ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH aus Fürstenfeldbruck an Quantum im Jahr 2017 mit einem Investment von 4 Millionen Euro in einer ersten Finanzierungsrunde beteiligt hat, womit das Start-Up damals nach nur zwei Jahren Existenz mit rund 40 Millionen Euro bewertet worden ist. Kurz danach kam noch einmal eine Finanzspritze von 2,5 Millionen Euro hinzu, womit ESG mit 16 Prozent Anteil als strategischer Investor eingekauft hat. ESG ist ein Rüstungsdienstleister, der komplexe, sicherheitsrelevante Elektronik- und IT-Systeme für Militär, Behörden sowie Unternehmen betreibt. Sie wurde vor fünf Jahren von Airbus an Investoren verkauft.
Ein Übernahmeangebot aus den Vereinigten Staaten für 100 Millionen Euro hat Seibel gerade erst ausgeschlagen. Für sein Drone-Port-Projekt will er 2021 eine zweite Finanzierungsrunde starten und 20 bis 25 Millionen Euro einsammeln. Naheliegend, dass mit Blick auf anstehende amerikanische Aufträge Investoren aus den Vereinigten Staaten willkommen sind. Das kann wichtige Türen im Pentagon öffnen.