Es geht zu spröde zu in der deutschen Wissenschaft und auch zu unpragmatisch. Das behindert viele junge Wissenschaftler, Forscher und Studenten an deutschen Hochschulen, ihre Ideen und Technologien über Unternehmensgründungen in die Realität umzusetzen. Aber es menschelt auch. Einstellungen, Emotionen, Frustrationen oder unterschwellige Konflikte stellen sich als Hindernisse heraus. Das kann man ändern durch spielerische Herangehensweise, klare Prozesse, insbesondere durch mehr unternehmerisches Denken - hat eine Studie der Hamburger Joachim Herz Stiftung zusammen mit dem Entrepreneurship Research Institute der TU München ergeben.
10. Februar 2021
Drei Jahre lang wurden in Deutschland akademische Unternehmensgründer befragt und beobachtet, um zu ergründen, welche - auch - psychologischen Faktoren Gründungsprozesse beeinflussen. Denn es hakt bei den Ausgründungen aus der Wissenschaft in Deutschland, mag es noch so viele bekannte Beispiele mit dem E-Flugzeughersteller Lilium oder mit dem Busunternehmen Flixbus geben. Fazit der von der Joachim Herz Stiftung finanzierten Untersuchung des Münchner Entrepreneurship Institutes: Spielerische Herangehensweisen beflügeln das Interesse am Unternehmertum; klare, arbeitsteilige und praixisorientierte Prozesse verhindern Frustrationen im Gründerteam; ohne unternehmerisches Denken gibt es kaum Erfolgschancen für Start-Ups.
Dazu wurde eine Online-Umfrage unter 128 Gründungsteams durchgeführt, 52 Teams in einem experimentellen Umfeld und Teilnehmer mehrerer Makeathons beobachtet, außerdem wurden Gründerteams und Gründungsberater im Inkubator der TUM befragt. „Deutschland ist weltweit einer der Top-Standorte für Forschung und Innovation", sagte Henneke Lütgerath, Vorstandsvorsitzender der Joachim Herz Stiftung, am Mittwoch auf einer virtuellen Pressekonferenz. "Doch wissenschaftliche Erkenntnisse werden kommerziell zu wenig genutzt." Dabei hätten sich die Rahmenbedingungen für eine Gründung wie die Finanzierung stark verbessert. „Die Studie macht klar, dass gute Ideen oftmals an der Einstellung und ungeklärten Konflikten im Gründungsteam, Emotionen und Frustrationen scheitern." Die Ergebnisse sollten helfen, neue Lehr- und Trainingsformate zu entwickeln und auf diese Weise die Anzahl und den Erfolg von Start-Ups aus der Wissenschaft zu steigern.
Erstens: Die Kluft zwischen der akribischen Denkweise als Forscher und der pragmatischen Herangehensweise als Unternehmer muss überwunden werden. Das fällt vielen Forschern an der Uni schwer, weil sie den Fokus zu sehr auf die Entwicklung ihrer Technologie und weniger auf die Erfüllung von Kundenbedürfnissen richten, also nicht marktorientiert denken.
Zweitens: Klare Prozesse verbessern die Zusammenarbeit. Erfolgreiche Gründer schaffen es, Wissen aus verschiedenen Disziplinen mithilfe klarer Arbeitsprozesse und zusammenzuführen. Interdisziplinäre Gründungsteams konnten laut der Studie von ihren unterschiedlichen Expertisen profitieren, wenn sie ihr Wissen auf der Grundlage fest vereinbarter Austauschformate teilen. Hier gibt es noch großen Nachholbedarf: Nur einem Drittel der untersuchten Teams gelang es, das vorhandene Expertenwissen der einzelnen Mitglieder vollständig zu nutzen.
Dafür gibt es an der TU München zwei Beispiele, die nicht Gegenstand der Studie sind, da es sich nicht um StartUps handelt; noch nicht. Das Projekt TUM Hyperloop der Studenten praktiziert genau das. In dem Team von 85 Studenten finden sich alle Disziplinen - von Luft- und Raumfahrt, über Physik bis hin zur Beriebswirtschaftslehre. Sie arbeiten an der Entwicklung einer Kapsel für das Tunnelstransport-System, in dem Menschen einmal in Schallgeschwindigkeit befördert werden sollen. Die TUMler haben schon alle Wettbewerbe gewonnen, die Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk in Los Angeles ausgetragen - und die Konkurrenz in den Schatten gestellt. Ihnen gleich tut es das Team Horyzn: Die knapp 40 Mitglieder aus verschiedensten Disziplinen haben in nur einem Jahr eine Transportdrohne entwickelt, die mit einer außergewöhnlichen Konstruktion besonders leicht und effektiv ist.
Womit man bei Drittens ist: Hochschulen starten die Entrepreneurship-Ausbildung am besten spielerisch. Interdisziplinäre Formate wie Makeathons, bei denen Gründungsteams über einen Zeitraum von drei Tagen bis zwei Wochen eine unternehmerische Idee und ein Produkt entwickeln, vermitteln nicht nur Wissen, sondern vor allem Spaß an Unternehmertum. Der spielerische Charakter hilft dabei, erste unternehmerische Fertigkeiten wie gute Planung und Denkweisen oder eine Nutzerorientierung zu entwickeln. Viele Teilnehmer, das ist ein Ergebnis der Untersuchung, identifizieren sich stark mit der Rolle als Unternehmer und setzen ihre Gründungsidee um.
Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurial Behavior, und Holger Patzelt, Professor für Entrepreneurship, leiteten die Studie am Entrepreneurship Research Institute. Sie bauten ein interdisziplinäres Forschungsteam aus den Bereichen Anthropologie, Entrepreneurship, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften auf. Die verschiedenen Herangehensweisen ermöglichten es, Forschungs- und Datenerhebungsmethoden neu zu kombinieren und den Forschungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven zu untersuchen. „Gründungsteams, die ernsthaft mit ihrer Gründung weiterkommen wollen, brauchen eine individuelle Förderung", sagte Breugst. "Ergänzend zur Beratung wirtschaftlicher Aspekte ist ein persönlichkeits- und teamorientiertes Coaching ratsam." Das helfe, bei Konflikten und Unstimmigkeiten zwischen den Teammitgliedern zu vermitteln und Kompetenzen aufzubauen. "Damit führt ein Scheitern im Team nicht zu einem Firmenscheitern; das zeigen unsere Ergebnisse deutlich.“
Doch es hapert an der Umsetzung. Viele Gründungsberater betreuen an den Hochschulen oft über zwanzig Teams gleichzeitig. Da bleibt wenig Zeit, neben der wirtschaftlichen Beratung auch auf psychologische Dynamiken in den Gründungsteams einzugehen. Und dann kommt noch ein ganz menchliches Phänomen hinzu: Manch Gründungsteam stellt im Beratungsgespräch ihren Fortschritt – teils unbewusst – zu positiv dar. Berater, die für teampsychologische Effekte und ihre Auswirkungen sensibilisiert sind, können Widersprüche in der Selbstdarstellung von Teams leichter erkennen und frühzeitig handeln.
Das Entrepreneurship-Denken, so die Empfehlung, sollte in der Hochschulleitung verankert, Gründungsvorbilder aus dem Hochschulumfeld sichtbar gemacht und Freiräume für unternehmerische Ideen wie Gründungs-Sabbaticals ermöglicht werden. Das habe sich bewährt. Genauso gehört zur Gründungskultur an Hochschulen die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit in Projekten – auch mit der Industrie.